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Wenn das Herz stillsteht

Sogenannte Prognose-Scores ermitteln in der Medizin die Chancen und Risiken einer Behandlung - abgestimmt auf den jeweiligen Patienten. Ein solches Wahrscheinlichkeitsmodell haben amerikanische Mediziner nun speziell für die Reanimation entwickelt.

Von Michael Engel | 14.08.2012
    In der Regel steckt ein Herzinfarkt dahinter, wenn der Kreislauf zusammenbricht und eine Reanimation nötig wird. Wenn so etwas auf offener Straße passiert, reagieren die meisten Menschen zu zögerlich, sagt Professor Johann Bauersachs, Leiter der Klinik für Kardiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover:

    "Das wichtigste ist, wenn ein Mensch am Boden liegt und nicht mehr ansprechbar ist, dass man sich ihm nähert, dass man überhaupt auf ihn zugeht. Dass man schaut, reagiert er auf Ansprache. Und wenn er das nicht tut, sollte man sehr rasch überprüfen, ob der Kreislauf vorhanden ist, einfach Finger an die Halsschlagader, und wenn man dort keinen Puls tastet, dann sollte man schnellstmöglich den Rettungsdienst informieren und dann mit wiederbelebenden Maßnahmen beginnen. "

    Ganz wichtig: Erst mal schauen, dass die Atemwege frei sind. Dann mit der flachen Hand in der Mitte des Brustkorbs fünf Zentimeter tief drücken und die Bewegung mindestens 100 Mal pro Minute wiederholen. Solange, bis die Rettungskräfte eintreffen.

    "Eine ganz wichtige Maßnahme des Rettungsdienstes ist die Feststellung des Herzrhythmus. In allen Fällen, in denen beispielsweise das Kammerflimmern Ursache des Herzstillstandes ist, kann man durch eine umgehende Defibrillation wieder einen Kreislauf herstellen."

    Sogenannte Defibrillatoren entsenden Stromstöße, die das Herz aktivieren. Amerikanische Wissenschaftler fanden anhand einer Auswertung von 43.000 Patientendaten heraus, dass man den Erfolg einer Reanimation mit großer Sicherheit vorhersagen kann. Bei einem pulslosen Herzrasen zum Beispiel mit einer Defibrillationsdauer von weniger als zwei Minuten war die Genesung durchweg erfolgreich. Ältere Patienten mit Bluthochdruck oder Niereninsuffizienz hingegen hatten weniger gute Prognosen.

    "Im Endeffekt fasse ich zusammen, dass wir uns bestätigt fühlen durch diese Studie. Es wird in der akuten Reanimationssituation aber wenig Bedeutung haben. Wir werden deswegen nicht schon in der Frühphase, schon in den ersten Minuten oder ersten ein bis zwei Stunden Reanimationsmaßnahmen anders machen als wir das bisher gemacht haben."

    Der sogenannte "Prognose-Score" umfasst 40 Punkte. Patienten mit Werten zwischen null und zehn Punkten überlebten den Herzstillstand unbeschadet. Sie waren in der Regel jung und hatten wenige Vorerkrankungen. Patienten mit 30 bis 40 Punkten hingegen überleben nur mit dreiprozentiger Wahrscheinlichkeit: Sepsis, Nierenschäden, Hypotonie – das alles wirkt sich negativ aus. Der Prognose-Score sei wichtig, um Patienten beziehungsweise die Angehörigen besser über den weiteren Verlauf der Behandlung informieren zu können, so die amerikanischen Wissenschaftler. Diese Einschätzung teilt auch Professor Daniel Strech, Medizinethiker an der Medizinischen Hochschule Hannover.

    "Bei Patienten, die vielleicht nicht mehr ansprechbar sind, und die dann reanimiert werden sollten, würde man aber immer noch bestmöglich versuchen müssen – als Arzt, als Ärztin – herauszufinden, was denn die Präferenzen in diesem speziellen Falle sind. Und das sind dann zum Beispiel die Angehörigen, mit denen man vorher gesprochen hat. Oder es liegt eine Patientenverfügung vor, durch die man dann schon vorher informiert worden ist, was sich der Patient wünscht."

    Wird eine maximalmedizinische Versorgung abgelehnt, etwa bei drohenden neurologischen Schäden, die nur den Todeszeitpunkt verlängern würden, müssen Mediziner die Geräte abschalten, so Daniel Strech. Prognose-Scores können hier eine wichtige Entscheidungsgrundlage sein.