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Wenn die Erinnerung aussetzt

Wir kennen die Situation zu gut: Da verlegt man den Schlüssel und kann ihn einfach nicht mehr finden. Aber stellen Sie sich vor, Sie wissen abends nicht mehr, was Sie tagsüber gemacht haben! Genau mit solchen Phänomenen beschäftigen sich derzeit Mediziner der Universität in Kiel. "Transiente globale Amnesie" heißt eine vorübergehende Gedächtnisstörung, die jedoch nichts mit Alzheimer und Demenz zu tun hat. Dennoch kann es anscheinend jeden treffen.

Von Michael Wiczorek | 24.02.2009
    Jutta Thoms ist auch noch mit 70 eine agile, aufgeweckte Frau, die gerne und viel lacht. Sie ist gesund und lebt zusammen mit ihrem Mann Hans Peter in Kiel. Dass sie an einer rätselhaften Gedächtnisstörung leidet, hat sie bisher auch nicht gestört:

    "Ich wusste ja gar nicht, dass ich eine habe!"

    Kein Wunder, schließlich weiß der Mensch nichts davon, wenn er mal etwas vergisst. Sie hatte niemals Schmerzen, Schwächeanfälle oder sonstiges Unwohlbefinden verspürt, das eine Gedächtnisstörung ankündigen würde. Bis sie eines Tages einfach nur etwas durcheinander war:

    "Also ich war noch im Garten, ich bin von der Gartenarbeit reingekommen und dann hat mein Mann gesagt, dass ich da nur Unsinn gemacht habe."

    Mehr weiß sie selbst nicht mehr, dafür erinnert sich ihr Mann Hans Peter Thoms an den Tag sehr genau:

    "Zwei Tage vorher, im Flur - wir haben eine Matte da liegen, um da die Fliesen nicht dreckig zu machen - und da hatte sie eine zweite Matte hingelegt."

    Zwei Tage später arbeitete sie ein wenig im Garten:

    "Und wie sie jetzt aus dem Vorgarten reinkam, da sagt sie: Wie sieht das denn hier aus? Ich sag: Wie du das gemacht hast vor zwei Tagen. - Ich? Nein!"
    Ein unerklärliches Phänomen, das manche Menschen im Alter von 50 bis 70 Jahren betrifft. Es ist die so genannte Transiente Globale Amnesie, kurz TGA, eine spontan einsetzende Gedächtnisstörung, mit der sich der Kieler Neurologe Dr. Thorsten Bartsch seit nunmehr fünf Jahren beschäftigt:

    "Es ist eine der rätselhaftesten Störungen in der Neurologie, nämlich ein vorübergehender kompletter Gedächtnisverlust. Die Fähigkeit, neue Dinge abzuspeichern, geht verloren, die Behaltens-Spanne ist so auf 1-2 Minuten reduziert..."

    ... hier muss der Arzt schon zu einem praktischen Beispiel greifen, um das Phänomen annähernd zu erklären:

    "Es ist so wie wenn man bei einem Computer den Arbeitsspeicher herauszieht und dann nach einigen Stunden wieder reinschiebt, so dass Altgedächtnisinhalte so an Kindheit, Jugend sehr wohl erhalten sind, aber neue Dinge können nicht abgespeichert werden..."

    ...und deshalb klafft für die letzten 8 bis 9 Stunden vor dem blitzartigen Vergessen eine komplette Erinnerungslücke, obwohl der Betroffene im Augenblick des Geschehens alles um sich herum wie gewohnt wahrnehmen kann. Als die Ärzte schließlich den Kopf einiger Patienten durchleuchteten, sahen sie das:

    "Man mach eine Aufnahme vom Kopf und man sieht dann ein Pünktchen aufleuchten und man kann sehen, dass die Gedächtniszellen in diesem besonderen Areal geärgert wurden, so ein bisschen Stress abbekommen haben..."

    ...und zwar im Moment körperlicher oder emotionaler Anspannung:

    "Gartenarbeit, Bootsschleifen, Springen ins kalte Wasser oder Schwimmen im See - interessanterweise auch Geschlechtsverkehr."

    In fünf bis zehn Fällen pro 100.000 Menschen tritt diese Gedächtnisstörung auf. Pro Jahr untersucht die Kieler Neurologie 20 - 30 Patienten. Eine Behandlung gibt es bislang nicht, lediglich Untersuchungen im Computer- oder Magnet-Resonanz-Tomograph sowie ein paar Gedächtnistests. Neu ist jetzt die Erkenntnis, dass eine solche Störung meist nach circa 12 Stunden vorbei ist:

    "Dieses Pünktchen verschwindet nach einigen Tagen wieder und hinterlässt auch keine Spuren wie man es von einem Schlaganfall erwarten würde. Die eigentliche Gedächtnisfähigkeit ist dann wiederhergestellt."

    Mit Betonung auf Gedächtnisfähigkeit, denn das Vergessene ist nun mal unwiederbringlich verloren. Da müssen schon die Angehörigen einem wieder auf die Sprünge helfen. Auch wenn die Gedächtnisstörung - so die Studie - keine gesundheitlichen Einbußen mit sich bringt, wollen die Kieler Mediziner an diesem seltenen Phänomen weiter forschen. Die spannendste Frage ist für die Experten momentan, warum diese Art von Amnesie von selbst verschwindet.