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Wenn Finanzdienstleister Unterrichtsunterlagen stellen

In Unterrichtsmaterial zum Thema Altersvorsorge wird oft ein Loblied auf die private Rentenversicherung gesungen - kein Wunder, wenn es von Banken und Versicherungen zur Verfügung gestellt wird. Tatjana Bielke vom Verbraucherzentrale-Bundesverband fordert daher ein unabhängiges Gütesiegel für Schulunterlagen.

Manfred Götzke sprach mit Tatjana Bielke | 23.04.2012
    Manfred Götzke: Finanzthemen! Ob jetzt Sicherheit beim Onlinebanking, Altersvorsorge, Handy-Verträge: Über all das lernen Schüler zu wenig in unseren Schulen, monieren Eltern, aber auch Lehrer immer wieder. Bisher tun die Kultusministerien allerdings wenig, um das zu ändern. Diese pädagogische Lücke, die wird jetzt gefüllt ausgerechnet von Banken und Versicherungen. Die bieten Schulen Materialien und ganze Unterrichtsreihen zu Finanzthemen an. Tatjana Bielke leitet das Projekt Materialkompass Verbraucherbildung. Beim Verbraucherzentrale-Bundesverband, da hat sie sich diese Materialien mal angesehen. Frau Bielke, sind das nun seriöse Unterrichtsmaterialien oder Werbung für die Versicherung?

    Tatjana Bielke: Es gibt beides. Es sind keine dabei, wo es reine Produktwerbung ist. Das liegt aber auch daran, dass das in deutschen Schulen verboten ist. Was wir festgestellt haben, ist aber, dass viele Materialien von Wirtschaftsunternehmen interessengeleitete Informationen verbreiten.

    Götzke: Was heißt das genau? Vielleicht könnten Sie mal ein, zwei Beispiele nennen?

    Bielke: Also, wir haben beispielsweise ein Material, was vom "Handelsblatt macht Schule" herausgegeben wird, zusammen mit der Deutschen Vermögensberatung. Und da ist auffällig, dass, wenn da über Kredite informiert wird, dass zum Beispiel auf die Risiken von Krediten sehr rudimentär aufmerksam gemacht wird, oder an Stellen, wo es um Provisionen geht. Darauf wird eben nicht aufmerksam gemacht. Das heißt, bestimmte Informationen werden einfach ausgespart. Ein anderes Beispiel ist bei dem Material "My Finance Coach", das ist eine Stiftung, die ist von der Allianz-Versicherung, McKinsey und Grey gegründet worden. Da ist es so, dass sie, um ein Beispiel zu nennen, bei der Altersvorsorge sagen, das Solidaritätsprinzip ist quasi gescheitert, wie man sieht am demografischen Wandel und so weiter, und darum ist es umso wichtiger, private Altersvorsorge zu betreiben, und das Solidarprinzip ist im Prinzip nicht mehr zu gebrauchen.

    Götzke: Das ist ja ganz klar tendenziös. Bei Schulbüchern ist es so, dass die in gewisser Weise Vorgaben der Kultusministerkonferenz entsprechen müssen, dass die auch in gewisser Weise überwacht werden, akkreditiert werden. Müsste das bei solchem Material denn nicht auch geschehen, damit so was verhindert wird?

    Bielke: Ja, das ist wichtig. Also, wir fordern auch eine unabhängige Prüfstelle für Materialien, weil es in der Tat so ist, dass im Moment die Schulleiter darüber befinden, welche Materialien von außen quasi in die Schulen kommen können oder welche nicht. Und das ist unzureichend. Was wir brauchen, ist eine Stelle, und wir brauchen Kriterien, die erfüllt werden müssen. Im Prinzip so was wie ein Gütesiegel.

    Götzke: Stoßen interessengeleitete Unternehmen bei diesem Thema, Finanzen, in eine Lücke, die der Staat nicht schließen kann oder will?

    Bielke: Ich würde sagen, diese Themen, also nicht nur die finanzielle und ökonomische Bildung, sondern generell Konsumkompetenzen, Verbraucherbildung ist etwas, was wir mehr brauchen, als das früher der Fall war. Und ja, im Moment ist das zu wenig in den Curricula verankert und die Lehreraus- und -fortbildung ist auch, was diese Themen angeht, vielleicht im Moment unzureichend. Von daher stoßen sie in eine Lücke, die gefüllt werden muss und die natürlich bestenfalls von den Kultusministerien gefüllt werden sollte.

    Götzke: Das ist ja ein Thema – Sie haben das ja wunderbar erläutert beim Thema Rentenversicherung –, bei dem es einfach sehr viele Meinungen gibt und bei dem es ja umso wichtiger ist, objektive und neutrale Positionen zu vermitteln. Also sehr problematisch eigentlich?

    Bielke: Ja. Dinge, die in der Gesellschaft kritisch diskutiert werden, sollen auch im Unterricht kritisch diskutiert werden. Also, es kann nicht darum gehen, nur eine Seite darzustellen, sondern es müssen eben immer verschiedene Gesichtspunkte dargestellt werden. Und das ist die Aufgabe der Lehrkräfte. Darum ist es auch schwierig, wenn dann sogenannte Finanz- oder Versicherungsexperten in die Schulen kommen, weil die genau das nicht leisten. Es ist ja auch okay, wenn man mal einen Experten einlädt und dann die Expertenmeinung kritisch hinterfragt im Unterricht. Aber es geht eben nicht, dass diese sogenannten Experten den Unterricht übernehmen und dann ihre einzige Meinung alleinig darstellen dürfen.

    Götzke: Sie sprechen von Referenten, die von Banken oder Versicherungen auch in Schulen eingeladen werden beziehungsweise von den Lehrern. Müssten die Lehrer in solchen Situationen dann nicht auch den Gegenpart liefern? Können die das, können die das nicht?

    Bielke: Genau. Ich denke mal, viele Lehrer können das und viele Lehrer oder Schulleiter weigern sich ja auch, diese Unternehmer in die Schulen zu lassen. Andere sind natürlich dankbar. Ich sage mal, das Problem ist natürlich oft, dass Fachlehrer keine Wirtschaftsexperten sind, die haben dann meinetwegen mal Sozialwissenschaften studiert und haben aber keinen Schwerpunkt Wirtschaft und sind natürlich froh, wenn jemand kommt und dieses Thema übernimmt.

    Götzke: Schleswig-Holstein hat 2010 das Fach Haushaltslehre in Verbraucherbildung unbenannt und das Ganze auch modernisiert. Dort befassen sich die Schüler jetzt mit den Gefahren von Handy-Verträgen oder eben der privaten Altersvorsorge. Können sich da andere Bundesländer was abgucken?

    Bielke: Ganz bestimmt. Also, Schleswig-Holstein ist da ein Vorreiter und das funktioniert ja auch gut, dass man nicht ein neues Fach einführen muss, weil die Stundentafel eh voll ist, sondern dass man auch bestehende Inhalte entsprechend modernisieren kann und auch überlegt, was können wir fallen lassen zugunsten von modernen Themen, die wirklich notwendig sind, um im Alltag hinterher klarzukommen.

    Götzke: In den anderen Bundesländern, welches Ausmaß hat dort die Einbeziehung von Referenten, die Nutzung von solchen Materialien, die Sie auch untersucht haben?

    Bielke: Da tu ich mich jetzt ein bisschen schwer, eine konkrete Zahl zu nennen. Es zeigt sich allerdings, dass immer mehr Unternehmen diese Wege gehen und versuchen, in die Schulen reinzukommen. Inzwischen ist es aber auch so, dass die Kultusministerien da alarmiert sind, weil unsere Aufgabe als Verbraucherzentrale es natürlich auch ist, die Lehrerschaft und die Kultusministerien zu sensibilisieren.

    Götzke: Unterrichtsmaterialien zum Thema Finanzen sind oft tendenziös, sagt Tatjana Bielke vom Verbraucherzentrale-Bundesverband. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.