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Wenn Forscher zu lange forschen

Bei Medizinern sind lange Arbeitszeiten samt Schichtdienst, Bereitschaft und Überstunden fast die Regel, aber wie sieht es bei forschenden Wissenschaftlern an Hochschulen und in Forschungseinrichtungen aus? Das ist gar nicht so einfach herauszufinden, denn die Forscher können ihre Arbeitszeiten an der Uni oft flexibel gestalten. Informatiker aus China haben mit einer neuen Messmethode erste Ergebnisse erhalten.

Von Michael Böddeker | 26.09.2012
    Ja, auch sie arbeite oft lange, sagt Shenmeng Xu von der Technischen Universität Dalian in China. Und damit geht es ihr offenbar wie vielen Wissenschaftlern. Denn laut der aktuellen Studie, an der sie mitgearbeitet hat, sind Nacht- und Wochenendarbeit unter Forschern keine Seltenheit. Die Rohdaten dafür stammen aus dem Internet.

    "Wir haben die Zeiten gemessen, zu denen Fachpublikationen eines großen Wissenschaftsverlags heruntergeladen wurden. Denn wir gehen davon aus, dass ein Forscher, der Artikel herunterlädt, wohl bei der Arbeit sein muss."

    Möglich war das, weil der Verlag auf seiner Homepage unter anderem eine
    virtuelle Weltkarte anbietet, auf der in Echtzeit Downloads von Fachartikeln angezeigt werden. So kann man sehen, wann von wo auf der Welt wie viel heruntergeladen wird.

    Die USA, China und Deutschland bringen es demnach zusammen auf mehr als die Hälfte aller Downloads. Aus den Daten wurden genaue Profile in Form von Diagrammen erstellt. Darin veranschaulichen die Kurvenverläufe, wann besonders viel gearbeitet wird. Es zeigte sich: Überall auf der Welt sitzen Wissenschaftler bis spät in den Abend am Rechner, und oft ebenso an den Wochenenden. Auffällig sind laut Shenmeng Xu aber auch länderspezifische Eigenheiten. Zum Beispiel in den USA.

    "In den USA fällt besonders auf, dass viel in der Nacht und sogar noch bis in die frühen Morgenstunden gearbeitet wird."

    In Deutschland und China dagegen legen die Wissenschaftler zumindest nachts vorübergehend die Arbeit nieder. Dafür kommt man in Deutschland offenbar etwas früher wieder in die Gänge als in den Vereinigten Staaten: Bei deutschen Forschern steigt der Kurvenverlauf morgens steil an und erreicht schon am späten Vormittag ein Maximum.

    Der deutlichste Unterschied zu anderen Ländern zeigt sich aber in China.

    "Der typische Arbeitstag eines chinesischen Wissenschaftlers besteht aus drei Teilen, weil er durch das Mittag- und das Abendessen unterbrochen wird. In allen chinesischen Kantinen gibt es diese Mahlzeiten nur zu bestimmten, genau festgelegten Zeiten."

    Solche deutlichen Unterbrechungen des Arbeitstages gibt es in den anderen Ländern nicht. In Deutschland etwa fällt die Kurve mittags nur leicht und für einen kürzeren Zeitraum ab.

    Insgesamt zeigt die Erhebung: Wissenschaftler machen offenbar viele Überstunden. Häufig - so vermutet Shenmeng Xu - weil sie ihre Arbeit lieben und in ihr aufgehen. Doch andere Gründe seien ebenfalls denkbar, etwa der hohe Druck, unter dem viele Forscher stünden. Wie sich all das möglicherweise auf die Gesundheit auswirkt, soll in weiteren Studien untersucht werden.

    Für Ärzte und Mediziner, die viele Überstunden machen, gibt es bereits ähnliche Untersuchungen. Der Arzt und Medizinprofessor Salim Surani von der Texas A&M Universität hat kürzlich einen Übersichtsartikel dazu verfasst.

    "Es kann zu Problemen mit dem Körpergewicht und hohem Blutdruck kommen. Außerdem macht man häufiger Fehler."

    Und doch: Auch er kann die Arbeit nicht immer so einfach ruhen lassen.

    "Das ist schon eine ziemliche Herausforderung. Aber deshalb arbeite ich auch zu diesem Thema. Hoffentlich können wir die Menschen dazu bringen, mehr Lebensqualität zu haben und ausreichend zu schlafen."

    Mehr zum Thema

    "Exploring scientists' working timetable: Do scientists often work overtime?"
    Paper im Journal of Infometrics (Volume 6, Issue 4, October 2012, Pages 655-660) oder gratis als Preprint auf arXiv.org