Samstag, 20. April 2024

Archiv


Wenn Leistung mehr zählt als Präsenz

Warum muss ein Firmenbesitzer, Arbeitnehmer oder Projektteilnehmer im selben Gebäude sitzen? Warum nicht Abertausende Kilometer entfernt? Dafür gibt es heutzutage Videotelefonate oder Telefonschalten - das ist billiger, angeblich effizienter und oft besser für die Work-Life-Balance. Wirklich?

Eine Sendung von Stefanie Meinecke | 08.04.2012
    Jeden Morgen ein ähnliches Bild: Stoßstange an Stoßstange rollen die Autos langsam Richtung Stuttgart. In der Gegenrichtung: freie Fahrt raus auf´s Land. Weich geschwungene Hügel, Wiesen, ein Kirchturm – Dorfidyll. Hier, eine gute halbe Stunde entfernt von den Hochhäusern und Großraumbüros der baden-württembergischen Landeshauptstadt, arbeitet Ludwig Bauer. Er ist studierter Informatiker und IT-ler aus Leidenschaft. In seinem Home-Office, in einem hübschen weißen Einfamilienhaus, kommen täglich Menschen aus aller Welt zusammen – per Telefon- oder Videokonferenz.

    Ludwig Bauer tippt konzentriert die Nummern für die Morgenkonferenz ein. Dann sitzt der 50-Jährige mit grauem Stoppelhaar entspannt an seinem Schreibtisch. PC, drei Bildschirme, zur Rechten ein Bücherregal, links ein knallrotes Sofa und an der Wand ein Herz aus Wasserfarben – so sieht Bauers Arbeitsplatz aus.

    Freundschaftlich begrüßt Ludwig Bauer seine Kollegin Marian; fast so, als stünden sie gemeinsam am Kaffee-Automaten plaudern die beiden per Telefon kurz über das vergangene Wochenende. Körperlich anwesende Kollegen hat Ludwig Bauer im Alltag nicht mehr. Sein Team ist auf viele Länder verteilt – die Begegnungen sind überwiegend virtuell, kommuniziert wird via Internet. Bauer arbeitet seit Jahren für ein IT-Unternehmen, das weltweit aufgestellt ist. Er ist verantwortlich für den Vertrieb von Netzwerken. Ihren Namen will die Firma nicht im Radio hören - Ludwig Bauer aber soll ruhig aus seiner Arbeitswelt erzählen.

    "Ich hab Leute sitzen in Dubai, in Grenoble, Paris, in UK – da sitzen die meisten. Das heißt, ich beginne früh am Morgen. Heute war´s relativ human um 9.00. Aber die Leute in Dubai, zum Beispiel, die haben drei Stunden Zeitunterschied; die fangen sehr früh an. Das ist ein arabisches Land, das heißt: Sie sind Freitag weg, Samstag weg, aber arbeiten schon am Sonntag."

    Und dann arbeitet Ludwig Bauer eben auch mal am Sonntag. Und wenn Kalifornien ruft, dann gehe es aufgrund der Zeitverschiebung auch immer wieder bis in den späten Abend. Alles kein Problem, lächelt Bauer breit: Flexible Home-Office-Arbeit – das sei eine Einstellungssache oder vielleicht sogar eher: eine Typfrage.

    "Bei mir ist es so: Ich liebe es. Kollegen von mir, die machen fast identisch den gleichen Job; die hassen es. Die gehen jeden Morgen ins Büro, weil sie sagen, sie wollen einen ganz klaren Schnitt haben: Da beginn ich und da hör ich auf. Bei mir ist das so: Ich nehm' mir zwischendurch mal einen Vierteltag, einen halben Tag. Ich mach das mehr flexibler."

    Die Fähigkeit zur Flexibilität scheint ein großer Vorteil zu sein in Zeiten des Umbruchs: Globalisierung und technologischer Fortschritt verändern unsere Arbeitswelt rasant. Ludwig Bauer hat in den vergangenen Jahrzehnten in verschiedenen Konstellationen und an verschiedenen Orten gearbeitet. Die jeweiligen Wechsel hat er offensichtlich gut überstanden. Er konnte sich anpassen an neue Bedingungen und ihnen sogar Positives abgewinnen. Bauer genießt zum Beispiel, dass er im Home-office einen Teil seiner Zeit selbst verwalten kann. "Zeitsouveränität" nennen das die Arbeitssoziologen.

    Flexibel zu sein, gilt mittlerweile als Kardinaltugend; Manager sehen darin vor allem den Wettbewerbsvorteil; Psychologen und Personalplaner den Schritt hin zu mehr "Work-life-balance". Arbeits- und Wirtschaftssoziologen wie zum Beispiel Professor Klaus Dörre aus Jena betrachten lieber den Menschen, die Gruppe der Beschäftigten, die in Beschäftigungsverhältnissen leben und arbeiten, die sich stetig verändern.

    "Also, man kann sagen, dass noch etwa die Hälfte der Beschäftigten in einem normalen Arbeitsverhältnis ist, also unbefristet, integriert in eine Normalbelegschaft mit einer Normalarbeitszeit und einem auskömmlichen Lohn. Für die andere Hälfte gilt das so nicht mehr. Die sind in sogenannten atypischen Arbeitsverhältnissen – Leiharbeit, Zeitarbeit. Man muss aber hinzufügen, dass auch diejenigen, die in Normalbeschäftigungsverhältnissen sind – das 'normal' kann man infrage stellen – dass die nicht unflexibel sind."

    Im Gegenteil, sagt Professor Wolfgang Dörre: In den Betrieben wachse die interne Flexibilität stetig. Beschäftigte müssten lernen, sich mit wechselnden Einsatzorten, flexiblen Arbeitszeiten und neuen Anforderungen zu arrangieren.

    Die Telefonkonferenz in Ludwig Bauers Home-Office hat mittlerweile Fahrt aufgenommen; der lockere Ton des Small Talks ist verschwunden. Ein Teammitglied nach dem anderen berichtet über die aktuellen Projekte, Probleme und Erfolge vor Ort. Wie lange sein Arbeitstag heute dauern wird? Ludwig Bauer weiß es nicht so ganz genau.

    Der IT-ler ist verheiratet und hat zwei Töchter im Alter von 16 und elf Jahren. Doch die Familie profitiert kaum vom flexiblen Arbeitsstil des Vaters. Gut, sagt Bauers Frau, wenn eine der Töchter mal den Hausschlüssel vergessen habe, dann könne der Vater unter Umständen die Tür aufmachen - das war´s dann aber auch schon.

    "Der ist nur körperlich anwesend. Mein Mann ist allerdings auch ein Workaholic. Er nimmt sich kaum Zeit für´s Mittagessen, wobei wir das ja einrichten können mit den Schulzeiten der Kinder. Aber er hat kaum Zeit für irgendwas."

    Deutlich über 50 Stunden, sagt Ludwig Bauer, das sei seine Wochenarbeitszeit. Im Home-Office lasse sich dieses "deutlich über" besser ins Leben einbauen als im Großraumbüro. Das wäre nämlich die Alternative, sagt Bauer und schüttelt den Kopf: Großraumbüro sei dauerhaft nichts für ihn.

    Ludwig Bauer ist zufrieden mit seinem Alltag. Seine Arbeit fülle ihn aus, er hat Karriere gemacht, seine Position im Unternehmen empfindet er als sicher. Er schätzt diese Sicherheit und merkt nachdenklich an, dass es die wohl für die nachrückende Generation so nicht mehr geben werde. Die IT-Branche baue sich stetig um, das Internet ermögliche einen immer schnelleren Austausch und weltweiten Zugriff auf gut qualifizierte Arbeitskräfte. Unternehmen versuchten verstärkt auf Projektarbeit zu setzen, also zeitlich begrenzte Einsätze ohne eine dauerhafte Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

    "Ich denke es ist ein Nachteil, weil Sie als junger Mensch keine Zukunft mehr planen können. Also, wenn ich nur noch über zwei Jahre – Projekt ist ja typischerweise ein Jahr, zwei Jahre – dann gehen sie kein Risiko mehr ein, dann gründen Sie zum Beispiel keine Familie, weil das eine Verpflichtung über 18, 20 Jahre ist. Und auf der anderen Seite kann ich meine Zukunft nur noch jährlich, zweijährlich einschätzen. Ob des der Weg der Zukunft ist, also ich bezweifle es."

    "Crowd-sourcing" nennt man diesen Vorgang, bei dem Unternehmen ihre Arbeitsaufträge an die Intelligenz im Netz auslagern. In Ausschreibungen werben sie um Experten aus aller Welt und wer den Zuschlag erhält, wird dann auf Zeit in ein genau definiertes Projekt eingebunden. Der Böblinger Betriebsseelsorger Walter Wedl beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Wenn nicht mehr nur Daten, sondern auch Menschen in der Cloud abgelegt und abrufbar seien, sollte das zu denken geben, mahnt der katholische Theologe.

    "Dahinter steht ja ein Generaltrend. Wenn man so etwas verstehen will, muss man fragen: Was treibt eine Firma dazu, auf so eine Idee zu kommen? Dahinter steckt die Idee, das unternehmerische Risiko auf null herunterzubringen. Und in dem Fall trägt das Risiko nicht mehr die Firma, die jemanden anstellt, sondern das Risiko trägt derjenige, der seine Idee programmiert, das Ergebnis einreicht und nicht weiß, ob er gewinnt oder nicht."

    Auch Gewerkschafter horchen auf, wenn sie von solchen Plänen – die in der IT-Branche mal laut, mal leise formuliert werden – hören. Christine Muhr ist bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di für die IT-Beschäftigten in Baden-Württemberg zuständig und bemängelt, dass zum Beispiel bei der Projektvergabe im Netz, also beim "crowd-sourcing" die Frage der Schutzrechte von Arbeitnehmern völlig ungeklärt sei.

    "Das sind Leih- und Zeitarbeiter – aber ohne die rechtlichen Regelungen, die wir derzeit haben. Das heißt, im Prinzip sind es Tagelöhner, freie Mitarbeiter, die für ihre Arbeit bezahlt werden und eben nicht für das Zeitvolumen oder auch wenn´s mal Ausfälle gibt, zum Beispiel Krankheit, sondern nur die Arbeit wird bewertet und entsprechend bezahlt."

    Die Gewerkschaftsfrau hält gesetzliche Regeln, um die Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen in der IT-Branche zu flankieren, für dringend notwendig.

    "Wir müssen uns ganz dringend um dieses Klientel kümmern. IT ist nach der Metallindustrie die zweitgrößte Beschäftigungsgruppe. Die Politik ist gefordert, auf Bundesebene ganz schnell zu europäischen Regelungen zu kommen. Es ist hier eine fließende Tätigkeit rund um den Globus, und da muss man den Schutz der Arbeitnehmer wahren. Es stellt sich natürlich auch eine moralische und ethische Frage, wenn Arbeit quasi über´s Netz ersteigerbar wird."

    Eine Studie der Technischen Universität Dortmund zur körperlichen und seelischen Gesundheit von sogenannten Alleinselbstständigen, also Freelancern, in der IT-Branche zeigt: Schon heute klagt mehr als die Hälfte der Befragten über psychische Probleme. Nur ein Drittel der Freelancer geht davon aus, bis zum Rentenalter durchzuhalten. Faktoren, die Angst- und Erschöpfungszustände auslösen, seien vor allem schlecht zu bewältigende Aufgaben, sinnlose Aufgaben und ein Mangel an Wertschätzung durch Vorgesetzte und Kollegen. Ein belastender Alltag, den auch der Betriebs-Seelsorger Walter Wedl aus Gesprächen mit Betroffenen kennt.

    "Je stärker ich Arbeit taylorisiere, modularisiere, in kleine Häppchen zerlege, umso mehr geht natürlich Sinn verloren. Die Leute sagen: Ich weiß zwar, was ich mache, aber ich hab den Blick für´s große Ganze verloren. Und der Mensch hungert natürlich auch nach sinnvoller Arbeit. Wie lange kann man eine Arbeit tun, wenn der Sinn verloren gegangen ist?"

    Soweit darf es erst gar nicht kommen, würde vermutlich Line Jehle sagen. Line Jehle ist studierte Betriebswirtin, geboren und aufgewachsen in Dänemark. Heute lebt die Unternehmerin in der beschaulichen Schillerstadt Marbach am Neckar.

    Line Jehle öffnet die Tür mit großer Herzlichkeit – sie wirkt präsent und zugewandt. Nähe herzustellen – das sei ihre große Stärke, wird sie später sagen.

    Die gebürtige Dänin coacht Menschen, vor allem Führungskräfte, die flexibel in oder mit virtuellen Teams arbeiten. Ihre Kunden sind vor allem große Unternehmen, die global arbeiten. Im Coaching gehe es meist um zwei Kernfragen. Erstens: Wie finden Teammitglieder aus unterschiedlichen Kulturkreisen eine gemeinsame Ebene der Arbeit und zweitens: Wie kann zwischen den virtuellen Kollegen Nähe entstehen?

    "Das Entscheidende ist, dass man sich nah fühlt, obwohl man getrennt sitzt. Das nennen wir 'virtuelle Nähe'. Wir haben im Alltag mehr Aufgaben, als das, was wir abarbeiten können. Und es ist so: Denjenigen, der mir am nächsten ist, den bediene ich, und deshalb wird aus meiner Sicht in der Virtualität der menschliche Teil noch wichtiger, sonst mach ich das nicht."

    Lächelnd streift sich Line Jehle eine kurze blonde Haarsträhne hinters Ohr und serviert Kaffee. Kaffeetrinken, sagt sie, das sei ein wunderbarer Weg, um sich näher zu kommen – auch wenn der Partner nur per Bildschirm zugeschaltet ist.

    "Also, ich coache einen Menschen, der in Luxemburg sitzt. Ich coache ihn darin, wie er besser virtuelle Meetings machen kann. Dann schau ich ihm zu und dann gibt´s nachher Feedback, und dann sind nur noch wir zwei – die Führungskraft und ich - übrig. Und das erste Mal – so wenn wir sagen: Jetzt brauchen wir aber mal Pause und einen Kaffee, dann nehme ich meinen Bildschirm, meinen Laptop, mit zum Kaffeeautomaten. Dann kann er sehen, wie mein Kaffeeautomat aussieht; er zeigt mir seinen Kaffeeautomaten."

    Was sich eigentlich einfach, ja fast banal anhört, werde im Alltag leider nur selten praktiziert, sagt Line Jehle. Der Umgang mit Flexibilität und Virtualität sei natürlich eng geknüpft an die Generation, in der man aufgewachsen ist. Die Jungen, die sogenannte Gaming-Generation, hätten weit weniger Schwierigkeiten, weil sie bereits einen Großteil ihres Privatlebens in Netzwerken zubringen. Bei den Älteren sehe das oft anders aus.

    "Das Interessante dabei ist oder das Traurige, dass die meisten Führungskräfte tatsächlich überfordert sind mit der Situation. Erst mal technologisch überfordert: Oh mein Gott, kann ich gar nicht – oder: Wie kann ich Leuten persönlich begegnen, ohne sie zu sehen?"

    Line Jehle hat einen hübschen Begriff für diese Beobachtung kreiert. Sie spricht amüsiert von der "Steckdosenangst". Vor allem die Deutschen würden darunter leiden, sagt sie lächelnd. Da Line Jehle mit Partnern in aller Welt arbeitet, glaubt die Betriebswirtin ganz gut zu wissen, wie andere Nationen mit Technologie umgehen. Auch ihr Heimatland – Schweden beispielsweise – sei da weitaus unbedarfter und freier, vielleicht auch pragmatischer.

    "Und da denk ich, der Deutsche ist da wesentlich bedachter, und da geht es überlegter zu. Und dann gibt es andere Länder – zum Beispiel Schweden –, die haben immer remote gearbeitet, also über Entfernung gearbeitet. Wenn man 9,2 Millionen Menschen hat und ein Land so groß wie Resteuropa, dann muss man, ohne physisch zusammen zu sein, funktionieren. Deshalb sind sie Lichtjahre voraus. Also, auch bei uns: Meine Eltern haben Skype. Die sind 85. Meine Mutter kam ins Krankenhaus und meines Papas größte Sorge war, wie das mit der Internet-Verbindung funktioniert, damit sie mit uns skypen könnte. Da, denke ich, ist der Deutsche noch bedachter und vorsichtiger."

    Womöglich zu Recht! Immer online, immer flexibel ansprech- und einsetzbar, ständig erreichbar über Smartphone und Notebook, offene Terminkalender und sogenannte shared desktops, sprich: größtmöglicher Einblick für andere – das kann doch auch Gefahren bergen. Zum Beispiel, dass sich Kontroll- und Leistungsdruck auf den Einzelnen erhöhen und damit ein Klima des Unbehagens und Misstrauens entsteht. Line Jehle schüttelt den Kopf.

    "Das hat, glaub' ich, sehr viel mit der Führungskraft zu tun, und das ist das Schöne an der Virtualität: Wenn man da nicht mit aufrichtigen Absichten unterwegs ist, dann funktioniert es nicht. Und dann sind wir 'in a mode of friendly avoidance' – wir nennen das: freundliches Umgehen. Und das ist es, was wichtig ist: Ich kann den Chef nicht ausblenden, wenn er an mir vorbei in die Kaffeeküche geht. Aber in der Virtualität, da kann ich ihn ausblenden. Er muss sich viel Mühe geben um meine Zeit, meine Leistung zu bekommen."

    Eben weil der Blickkontakt fehle, weil der Vorgesetzte nicht eben mal kurz persönlich reinschauen könne, brauche es in virtuellen Teams eine viel tragfähigere Vertrauensbasis als in der realen Zusammenarbeit. Nur so lasse sich verhindern, dass der eine flexibel gestaltete Arbeitszeiten und -orte als Schlupfloch und der andere Transparenz und Videoübertragung als Kontrollinstrument missbrauche, sagt Line Jehle.

    Die Frau und Mutter weiß, wovon sie spricht. Line Jehle zieht gemeinsam mit ihrem Mann zwei Kinder groß – beide im besten Teenageralter. Nicht alles kann Line Jehle in ihrem Job zuhause oder im Büro per Bildschirm oder Telefon erledigen. Immer wieder ist sie auf Geschäftsreisen auch über Nacht weg. Was ja bei Teenagern eigentlich gar nicht gehe, sagt sie und lächelt in Richtung ihrer Tochter Sine. Sine ist 13 und erzählt, wie das so ist, wenn Mama morgens nicht da ist.

    "Also, dann sitzen wir wie beim normalen Frühstück und dann stellen wir den Computer an den Platz, an dem meine Mutter normalerweise sitzt. Und dann skypen wir, dann ist sie auf dem Bildschirm."

    Die Mutter legt Wert darauf, dass der Computer dann so platziert wird, dass sie möglichst viel im Blickfeld hat – auch die Treppe, auf der die Kinder morgens, bepackt mit dem Schulzeug, runterkommen.

    "Ja, und dann kann ich rufen: mein Gott Sine, Du hast deine Geige vergessen. Das seh ich dann hier – wie Du siehst – wenn sie die Treppe runterläuft. Dann seh ich schon, was sie in der Hand hat und was sie nicht in der Hand hat. Und ich sitz dann im Hotelzimmer mit meinem Gerät dann und guck dann zu."

    Beide Seiten kommen offensichtlich ganz gut mit der zeitweiligen, realen Abwesenheit zurecht. Klar, sagt Line Jehle, fehlten im virtuellen Kontakt die Gerüche und die Gefühle, wenn einer den anderen berührt, aber:

    "Ich glaub', ich würde es anders betrachten; dass ich wegreisen muss, um zu arbeiten, das ist so, sonst könnte ich meine Arbeit nicht machen. Aber dass ich diese Möglichkeit habe, eine Brücke zu schlagen, wenn ich weg bin, das ist das, was ich toll finde. Es ist ja nicht so, dass man sagt, die Mama muss nur virtuell da sein. Es macht schlicht und einfach das Leben ein Stück weit einfacher."

    Und hin und wieder, grinst Tochter Sine breit, habe eine virtuelle Mutter doch auch eindeutige Vorteile. Zum Beispiel dann, wenn sie zu nerven droht:

    "Ja, dann kann man sie ausschalten, wenn man gerade keine Lust hat mit ihr zu reden oder so."

    Schöne neue Arbeitswelt - Sendereihe zur Gegenwart und Zukunft unserer Jobs