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"Wenn man bei Ärzten nur spart, ist das ein falscher Weg"

Das System müsse reformiert werden, sagt der Ökonom Peter Oberender. Das Hauptproblem läge in der sektoralen Unterteilung von medizinischen Bereichen. Es sollten mehr Anreize zu integrierten Versorgungssystemen geboten werden.

Peter Oberender im Gespräch mit Jürgen Liminski | 04.09.2012
    Jürgen Liminski: Gesundheit ist einer der großen Wachstumsmotoren der wirtschaftlichen Entwicklung. In diesem Bereich werden mit die meisten Arbeitsplätze geschaffen. Es ist aber auch ein Bereich, der Unmengen an Geld verschlingt. Hier ist noch manches Sparpotenzial zu heben. Gefragt sind die Kassen, die Ärzte, die Pharmaindustrie. Gesundheit und Geld, das ist eine Kombination der Zukunft, und dazu wollen wir jetzt sprechen mit dem Direktor der Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie an der Universität Bayreuth, Professor Peter Oberender. Zunächst mal guten Morgen!

    Peter Oberender: Ja, guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Oberender, die Ärzte fordern elf Prozent mehr Lohn, das macht 3,5 Milliarden Euro. Die Kassen wollen dagegen 2,2 Milliarden weniger geben. Man müsse sparen, heißt es. Herr Oberender, haben Sie Verständnis für die Forderung der Ärzte?

    Oberender: Ich habe Verständnis für die Forderung der Ärzte, und zwar deshalb, weil das Argument richtig ist, dass die Kosten gestiegen sind, während die Erlöse ja budgetiert sind. Wir wissen, dass seit 2008 keine Honoraranpassung mehr stattgefunden hat. Ob das allerdings elf Prozent sein müssen, da bin ich etwas zurückhaltend, aber das haben wir ja immer in Tarifverhandlungen, dass man zunächst mit hohen Forderungen reingeht und am Ende dann sich einigt auf eine bestimmte Größe. Ich könnte mir vorstellen, fünf, sechs Prozent ist angemessen meiner Meinung nach.

    Liminski: Betrachtet man die vergangenen fünf Jahre, dann verbuchen die Ärzte ein Honorarplus von sechs Milliarden Euro, ein Zuwachs von 22 Prozent. Heruntergebrochen auf die einzelnen Ärzte kommt dabei nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ein Netto-Durchschnittseinkommen von 5500 Euro heraus – nach Praxiskosten und Steuern. Ist das nicht genug?

    Oberender: Es ist folgendes dran: Man muss bedenken, dass der niedergelassene Arzt Unternehmer ist. Das heißt, er hat das Investitionsrisiko für seine Praxis. Er hat das Risiko auch, dass er Angestellte hat. Er muss weiterhin seine Kosten abdecken, insbesondere der medizinische Fortschritt. Das ist, glaube ich, der entscheidende Faktor daran, was man hier klar sehen muss, dass eben die Kosten doch ziemlich steigen – denken Sie nur an die Energiepreisentwicklung, was alles daran hängt. Und ob 5500 angemessen sind, das ist immer ein Werturteil, was man fällt. Wenn Sie sich überlegen, Alternativberufe, Handwerker und so weiter mit weniger Verantwortung, die liegen zum Teil höher. Also insoweit, meine ich, ist es sehr müßig zu fragen, sind 5500 angemessen.

    Liminski: Die Kassen ruhen derzeit auf einem Polster von 20 Milliarden. Reicht das für die Zukunft?

    Oberender: Das wird sicher nicht reichen, und zwar deshalb nicht, weil wir eine alternde Bevölkerung haben, Multimorbidität haben. Das heißt, wir werden Steigerungen haben – wir haben das mal geschätzt hier – bis zum Jahr 2020: gegenwärtig geben wir etwa so 300 Milliarden im Gesundheitswesen insgesamt aus, GKV etwa 180 Milliarden, also die gesetzliche. Das wird steigen bis 2020 auf etwa 500 Milliarden, und den Hauptanteil wird letztlich der medizinische Fortschritt ausmachen. Von diesen 200 Milliarden schätzen wir, so 150 Milliarden macht allein der medizinische Fortschritt. Das heißt, wenn Sie tatsächlich gute Medizin weiter machen wollen, insbesondere für chronisch Kranke und so weiter, brauchen Sie das Geld, Sie brauchen wahrscheinlich noch mehr, als Sie hier zur Verfügung haben.

    Liminski: In der Finanzkrise müssen alle sparen, heißt es. Ist die Ärzteschaft nun eine geeignete Stellschraube, um im Gesundheitssystem zu sparen? In einer alternden Gesellschaft bekommt die Gesundheit ja auch einen höheren Stellenwert und das kostet. Wie viel muss den Versicherten eine gute medizinische Versorgung wert sein?

    Oberender: Ich glaube, folgendes ist daran: Wenn man bei Ärzten nur spart, ist das ein falscher Weg. Man muss das System wahrscheinlich grundsätzlich reformieren, und zwar Hauptproblem, was ich sehe, ist diese sektorale Unterteilung noch: das, was wir im ambulanten Bereich haben, der ein Eigenleben führt, dann der stationäre Bereich führt ein Eigenleben, dann die Reha, Pflege und so weiter, die haben alle Eigenleben. Ich glaube, man muss verstärkt hier Anreize schaffen – es sind ja einige Anreize da, nur werden sie nicht genutzt -, dass man integrierte Versorgungssysteme macht, mehr eben praktisch so eine ganzheitliche Gesundheitsversorgung. Das muss das Ziel sein.

    Liminski: Wird das für den einzelnen, also für den Patienten nicht teurer?

    Oberender: Natürlich wird es teurer werden, und zwar deshalb teurer werden, weil auch die Medizin insgesamt teurer wird. Wenn Sie zum Beispiel das Beispiel nehmen personalisierte Medizin, was ja jetzt sehr aktuell ist, wo man sagt, ich versuche, möglichst die Behandlung auf den einzelnen Patienten abzustellen, dann ist meine Auffassung, das wird teurer werden. Es steigt zwar die Qualität, aber insgesamt wird es nicht billiger und wir müssen uns dann überlegen, wie wir das finanzieren, und ich halte es für sehr wichtig, dass jeder in unserer Gesellschaft das bekommt, was er braucht, und ich glaube, das ist eine unwahrscheinliche Herausforderung.

    Liminski: Sie haben eben einige Zahlen genannt, die sind ja doch sehr beeindruckend gewesen, diese Zahlen, 300, 500 Milliarden. Wo sehen Sie denn noch Sparpotenzial im System, etwa in der Pharmaindustrie vielleicht?

    Oberender: Pharma glaube ich weniger, wenn man sich überlegt, dass bei Pharma etwa 28 Milliarden Euro ausgegeben wird, nur in der gesetzlichen Kasse von den 180 Milliarden. Ich glaube, es ist ganz einfach falsch, wenn man jetzt einzelne Player herausnimmt. Es muss insgesamt gelingen, glaube ich, durch die Integration, dass man versucht, diese Schnittstellen zu überwinden, dass man integrierte Gesamtsysteme anbietet. Was heißt das? Das heißt zum Beispiel, man bietet für einen Diabetiker eine Behandlung an, und zwar muss die ergebnisorientiert sein. Ich muss sagen, habe ich dort eine bessere Versorgung, und danach letztlich honoriere ich. Der Ökonom sagt dafür Bezahlung an dem Outcome, Was letztlich herauskommt, und ich glaube, da ist noch in der Tat sehr viel Potenzial drin. Ich schätze, von den 180 Milliarden, um Ihnen auch noch mal eine Zahl zu nennen, sind etwa 20 Prozent, die wir durch letztlich rationelles Verhalten einsparen könnten, ohne dass die Qualität sinkt. Das ist immer wichtig daran.

    Liminski: Muss die Politik zum Beispiel in diesem Konflikt eingreifen oder neutral bleiben? Kann sie nicht mit Richtungsweisungen sozusagen dieses Sparpotenzial heben?

    Oberender: Ich glaube, die Politik hat hier nur die Funktion letztlich der Rechtsaufsicht, wie wir das immer haben bei Tarifkonflikten. Das ist ein Tarifkonflikt für mich, ein klassischer, den wir so kennen. Es wird mit Streiks gedroht, was ja nicht geht bei Ärzten. Also das heißt, die Patienten brauchen sich keine Sorge machen, die Versorgung findet weiter statt. Es kann sein, dass bei elektiven Fällen, die eben keine Notfälle sind, die Wartezeit ein bisschen länger wird, aber hinsichtlich jetzt der Versorgungssicherheit sehe ich überhaupt kein Problem darin. Das sind so die Instrumente, die man jetzt eben fährt, ein Drohpotenzial, was wir ja kennen. Insofern soll sich die Politik heraushalten. Politik sollte nur letztlich eben entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, dass man hier tatsächlich ein Auskommen auch hat. Das ist wichtig an der Sache.

    Liminski: Man wundert sich, dass die Ärzte oder Kassen noch nicht mit dem Argument operieren, sie seien systemrelevant. Ist die Gesundheitsindustrie nicht der kommende große Wachstumssektor unserer Gesellschaft?

    Oberender: Herr Liminski, das ist in der Tat eine gute Sache, das wird sicher früher oder später kommen, wie wir das ja bei den Banken auch haben. Denken Sie bitte daran: Ich kann letztlich alles als systemrelevant ansehen, ich kann auch das auf die Flugfahrt übertragen, ich kann es auf die Polizei, innere Sicherheit, äußere Sicherheit. Es wäre möglich, dass das kommt, ich halte das aber für falsch.

    Liminski: Der drohende Streik der Ärzteschaft und die Zukunft des Gesundheitssystems – das war der Direktor der Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie an der Universität Bayreuth, Professor Peter Oberender. Besten Dank für das Gespräch, Herr Oberender.

    Oberender: Ja ich danke Ihnen auch. Alles Gute!


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