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"Wenn man diskutiert, gilt man gleich als zerstritten"

Ob Energiewende, Betreuungsgeld oder Vorratsdatenspeicherung: Vor dem heutigen Treffen der Regierungsparteien ist Michael Grosse-Böhmer trotz der Streitthemen der Koalition zuversichtlich. Man werde in den nächsten Wochen zu Entscheidungen kommen, meint der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion.

Michael Grosse-Böhmer im Gespräch mit Jasper Barenberg | 04.06.2012
    Jasper Barenberg: Energiewende, Vorratsdatenspeicherung, Mindestlöhne, Betreuungsgeld – Klärungsbedarf gibt es reichlich in der schwarz-gelben Koalition. CSU-Chef Horst Seehofer hat für das Treffen mit Angela Merkel und Philipp Rösler trotzdem noch drei weitere Themen oben draufgepackt: die PKW-Maut, einen nationalen Gedenktag für Vertriebene und die Entschädigung für deutsche Zwangsarbeiter. Eine Koalition auf der Suche nach Gemeinsamkeiten und drei Vorsitzende bei dem Versuch, das Bild einer zerstrittenen, handlungsunfähigen Koalition zu korrigieren. Was Funktionsträgern der CDU derzeit auf den Nägeln brennt, das konnte Angela Merkel am Wochenende schon bei einem Treffen in Berlin in Erfahrung bringen.
    Und den Fahrplan bis dahin sollen nach dem Willen der drei Parteien die Vorsitzenden heute Abend in groben Zügen festlegen. Mit dem Ergebnis muss dann auch der neue Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion klarkommen. Er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Michael Grosse-Brömer.

    Michael Grosse-Brömer: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Reden, Herr Grosse-Brömer, wollen die Drei, aber nichts entscheiden. Wenn keine der vielen schweren Brocken aus dem Weg geräumt werden soll, wozu ist dieses Treffen dann überhaupt gut?

    Grosse-Brömer: Dieses Treffen gilt als Arbeitstreffen und es ist sehr sinnvoll, sich noch mal auszutauschen, was vor uns ist, was noch zu erledigen ist. Wir kennen die Themen, von der Energiewende bis zu Europa, wo es sinnvoll ist, dass die Vorsitzenden diese Themen mal aufgreifen und im Zweifel auch mal so besprechen, dass wir wissen, die Diskussion kommt jetzt zu einem Ende und wir entscheiden auch.

    Barenberg: Es ist also schon ein Fortschritt, dass die Vorsitzenden der drei Parteien überhaupt wieder miteinander reden.

    Grosse-Brömer: Ich glaube nicht, dass da jemals Probleme bestanden haben in dieser Hinsicht.

    Barenberg: Man konnte den Eindruck bekommen.

    Grosse-Brömer: Ja, aber dann war der falsch. Ich weiß jedenfalls, dass die Kontakte zwischen den Vorsitzenden ja eigentlich sehr gut sind, und die werden ja noch sinnvollerweise ergänzt durch Minister, im Übrigen auch durch Fraktionsmitglieder und die durch die Fraktionsführung, sodass wir jetzt auch zügig weiterarbeiten und bis zum Ende der Legislatur auch sehr gute Ergebnisse vorlegen können.

    Barenberg: Das heißt, Sie versprechen uns angesichts der vielen Themen, die anstehen zur Entscheidung, dass wir die auch bald bekommen werden?

    Grosse-Brömer: Da bin ich sehr sicher. Es ist natürlich ein normaler Vorgang, über schwierige Themen auch etwas länger zu diskutieren. Das ist ja das Seltsame in der Politik: Wenn man diskutiert, gilt man gleich als zerstritten. Aber immer alles gleich zu entscheiden, ohne zu diskutieren, ist vielleicht auch nicht immer sinnvoll. Infolgedessen haben wir schon manches diskutiert, wir werden im parlamentarischen Verfahren auch noch manches diskutieren müssen, aber dann werden wir auch entscheiden, das werden Sie in den nächsten Wochen sehen.

    Barenberg: Das gilt ja beispielsweise auch für die Vorratsdatenspeicherung. Da diskutieren Sie allerdings schon einige Jahre. Es geht um die Speicherung von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten, besonders, um schwere Verbrechen zu bekämpfen. Nun verklagt die EU-Kommission inzwischen Deutschland, verlangt Hunderttausende Euro an Strafgeld für jeden Tag, den europäisches Recht nicht in geltendes deutsches Recht umgesetzt ist. Ist das nicht ein Beispiel, das zeigt, dass die Regierung im Grunde handlungsunfähig ist?

    Grosse-Brömer: Dieses Beispiel zeigt in erster Linie, dass die Bundesjustizministerin bei dem Thema größere Schwierigkeiten hat als Andere. Sie haben ja richtigerweise darauf hingewiesen, dass es bei der Vorratsdatenspeicherung nicht sozusagen um die Speicherung von Daten auf Vorrat geht, damit man in schlechten Zeiten dann Daten hat, sondern es geht um effiziente strafrechtliche Verfolgung von schweren Straftaten, zur Vermeidung von schweren Straftaten, und deswegen sind wir in der Union eigentlich der Auffassung, dass wir nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes sinnvollerweise diese Vorratsdatenspeicherung in Deutschland brauchen, und ich bin sehr dafür, dass sich Frau Leutheusser-Schnarrenberger jetzt auch intern mit der FDP mal zusammensetzt, um da ein Stück weiterzukommen. Wichtig ist in dem Zusammenhang vielleicht noch, darauf hinzuweisen, dass nicht aktuell schon Zahlungen fällig werden – der Eindruck entsteht manchmal in der Öffentlichkeit -, sondern diese Strafzahlungen werden erst dann fällig, wenn Deutschland verurteilt werden sollte. Aber das dauert ja auch noch.

    Barenberg: Man hat ja in den letzten Tagen und Wochen den Eindruck gewonnen, dass CSU und FDP, die beiden unterschiedlich geführten Ministerien für Inneres und für Justiz, da eine Einigung schon abgeschrieben haben für den Rest der Legislatur.

    Grosse-Brömer: Den Eindruck hatte ich nicht. Mein Bundesinnenminister hat sich da klar positioniert und ich bin auch sehr zuversichtlich, dass innerhalb der FDP eine Lösung gefunden wird. Ich weiß ja auch, dass zum Beispiel Innenpolitiker bei den Liberalen der Auffassung sind, dass diese Vorratsdatenspeicherung nun wirklich kein Teufelszeug ist.

    Barenberg: Lassen Sie uns über einen der wichtigsten Zankapfel sprechen: das Betreuungsgeld. Es soll am Mittwoch ja im Kabinett beschlossen werden. Soll es auch mit Ihrem Votum ganz nach Wunsch von Horst Seehofer auf Biegen und Brechen eingeführt werden?

    Grosse-Brömer: Dieses Betreuungsgeld ist aus unserer Sicht ein Beitrag, um Deutschland ein Stück weit kinderfreundlicher zu machen. Wir sind nicht wie die Opposition der Auffassung, dass nur eine Krippenerziehung das einzig wahre ist, sondern wir wollen Wahlfreiheit, und deshalb hat die CSU den Vorschlag des Betreuungsgeldes gemacht, dass auch diejenigen, die einen Krippenplatz eben nicht in Anspruch nehmen, sondern ihre Kinder, auch die kleinsten, zuhause erziehen, dass die eine kleine Aufmerksamkeit bekommen. Ich finde das keine schlechte Idee und ich glaube auch nicht, dass deutschlandweit alle gegen das Betreuungsgeld sind. Infolgedessen war es auch hier sinnvoll, ein wenig zu diskutieren, aber wir werden das jetzt auch zügig entscheiden.

    Barenberg: Die Opposition ist dagegen, die Gewerkschaften sind dagegen, die Wirtschaftsverbände sind dagegen, die Kommunen sind dagegen, die FDP ist im Grunde dagegen und viele in Ihrer CDU-Fraktion ja auch. Wie wollen Sie denn die 20 Gegner in den Reihen der CDU jetzt noch überzeugen?

    Grosse-Brömer: Ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen im Laufe der Debatte auch gesagt haben, wenn man das mal abwiegt, dann ist das Betreuungsgeld ja nicht so schlimm, wie es auch gemacht wird. Um das klar zu sagen: Es gibt auch jetzt schon Anzeichen von Kollegen, die sagen, wir wollten da auch mal drüber diskutieren, es gibt auch Aspekte, die mir nicht gefallen, aber in letzter Konsequenz werden wir das Betreuungsgeld umsetzen.

    Barenberg: Barbara Stamm, die stellvertretende CSU-Vorsitzende, rollt die Debatte jetzt noch mal von vorne auf. Sie macht nämlich heute in Deutschlandradio Kultur im Interview heute Morgen den Vorschlag, nach ihrer Ansicht sollten auch Hartz-IV-Empfänger vom geplanten Betreuungsgeld profitieren. Lassen Sie uns mal kurz hören, was sie heute Morgen in Deutschlandradio Kultur gesagt hat.

    O-Ton Barbara Stamm: "Rechtlich ist das in Ordnung, dass eben bei Arbeitslosengeld II das angerechnet wird, ja. Ich persönlich habe damit Probleme, weil ich schon der Meinung bin, mir würde es besser gefallen, wenn also die Hartz-IV-Empfängerin oder der Hartz-IV-Empfänger dieses Betreuungsgeld auch bekommen würde. Ich glaube, dann hätten wir auch in der öffentlichen Diskussion ein bisschen einen besseren Stand."

    Barenberg: So weit die stellvertretende CSU-Vorsitzende Barbara Stamm. – Was sagen Sie zu diesem Argument? Es war ja in der Öffentlichkeit besonders umstritten, dass ausgerechnet die Hartz-IV-Empfänger nicht davon profitieren sollen.

    Grosse-Brömer: Wenn ich das richtig verstanden habe, war das auch bewusst Frau Stamms persönliche Auffassung. Ich finde, wir laufen Gefahr, wenn wir von eingeübten Verfahrensweisen abweichen und immer wieder Ausnahmen zulassen, dass wir dann keine Struktur in der Sache haben. Infolgedessen glaube ich, dass das Betreuungsgeld sinnvollerweise wie andere staatliche Transferleistungen auch eben Anrechnung finden.

    Barenberg: Das heißt, eine Änderung der bisherigen Leitlinien der Eckpunkte sehen Sie nicht mehr bis Mittwoch?

    Grosse-Brömer: Ich halte das nicht für sehr wahrscheinlich. Das sind die Arbeitsgrundlagen, die jetzt im Kabinett beschlossen werden, und soweit ich das überblicken kann, findet das auch die Zustimmung der Fraktionen.

    Barenberg: Wann würden Sie denn sagen, nach dem Treffen der drei Vorsitzenden heute, das war ein Erfolg? Was muss erfüllt sein aus Ihrer Sicht?

    Grosse-Brömer: Das Treffen, ob und wann ich das als Erfolg bezeichnen kann? – Das Treffen wird eben als Arbeitstreffen normal abgewickelt. Ich weiß nicht, ob man jede Arbeitsrunde gleich bewerten sollte, ob es ein Erfolg ist oder nicht. Es wird gearbeitet, es werden Themen angesprochen werden, die auf den Weg kommen, die teilweise schon auf dem Weg sind, wie zum Beispiel die Energiewende, die sicherlich einen neuen Schwung bekommen hat, finde ich jedenfalls, durch den neuen Minister Altmaier. Solche Sachen werden besprochen und da ist eigentlich ein Arbeitsgespräch abzuwickeln, da sollte man dann gar nicht großartig herumphilosophieren, war das erfolgreich oder nicht. Es war ein Arbeitstreffen, es wurde gearbeitet, das ist in dieser Zusammenkunft.

    Barenberg: Gebremste Erwartungen also vom neuen Parlamentarischen Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion. Vielen Dank, Michael Grosse-Brömer, für das Gespräch.

    Grosse-Brömer: Gern geschehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.