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"Wenn man sie fördert, kann Deutschland so viel profitieren"

"Ich hab immer Angst. Ich weiß es ja nicht, ob ich jetzt hier bleibe oder ich bekomme einen Brief: Packen Sie Ihre Sachen und gehen Sie zurück. Da fang ich neu in Bosnien wieder an. Was soll ich machen? Davon hab ich auch nichts. In Bosnien kann ich ja gar nichts machen. Da kann ich mir keine Zukunft aufbauen."

Von Albrecht Kieser | 20.11.2008
    Marita ist 21 und lebt seit mehreren Jahren als geduldeter Flüchtling in Deutschland. Eine von mehr als 180.000. Geduldet ist, wer zum Beispiel als Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland kommt und deshalb keinen Asylantrag stellen, aber auch nicht abgeschoben werden darf. Oder auch Asylbewerber, deren Antrag abgelehnt wurde, die aber aus gesundheitlichen Gründen oder wegen chaotischer Verhältnisse im Heimatland nicht abgeschoben werden können. Für diese Flüchtlinge gilt allerdings: Sobald die Ausländerbehörden zur Auffassung gelangen, eine Abschiebung sei möglich und vertretbar, können sie von einem Tag auf den anderen aus ihrer Unterkunft geholt und außer Landes gebracht werden.

    Vor zwei Jahren, Ende November 2006, beschloss die Innenministerkonferenz nach jahrelangen Protesten von Kirchen, Gewerkschaften und Flüchtlingsorganisationen eine Bleiberechtsregelung für Geduldete. Wer mit Familie länger als sechs Jahre oder als Alleinstehender bereits acht Jahre im Land war, sollte unter bestimmten Bedingungen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Allerdings nur, wenn ein ausreichend bezahlter Arbeitsplatz nachgewiesen werden konnte.

    "Meine erste spontane Reaktion war, das kann ja wohl nicht wahr sein. Denn nach den Voraussetzungen, die die Bleiberechtsregelung beinhaltet hat, war eigentlich ziemlich schnell klar, dass eigentlich nur ganz wenige begünstigt werden können. Und wie die Praxis danach ausgefallen ist, haben sich unsere Befürchtungen dann auch bestätigt."

    Für Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat ist die Bleiberechtsregelung auch dadurch nicht grundsätzlich besser geworden, dass im März 2007 das Aufenthaltsgesetz einen neuen Paragraphen 104a und b erhielt. Denn die neuen Bestimmungen übernahmen weitestgehend die von den Innenministern der Länder beschlossene Regelung, verlängerten allerdings die Frist zur Vorlage eines Arbeitsverhältnisses.

    "Wir haben mit dieser Regelung die großzügigste und umfassendste Altfall- und Bleiberechtsregelung gemacht, die es in der BRD bisher gegeben hat."

    Sagt der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenministerium, Peter Altmeier, CDU. Seitdem die beiden Regelungen in Kraft sind, können geduldete Flüchtlinge eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten; sie brauchen, jedenfalls vorerst, keine Abschiebung mehr zu befürchten und unterliegen nicht mehr dem Arbeits- und Ausbildungsverbot. Ende 2009 wird abschließend geprüft, ob sie sich – wie die Bestimmungen verlangen – hinreichend "sozial und wirtschaftlich integriert" haben. Dann dürfen sie bleiben. Aber nur dann.

    Nach aktuellen Schätzungen des Bundesinnenministeriums haben bislang etwa 55.000 Menschen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Weit weniger als ein Drittel der 180.000 Geduldeten. Über 80.000 Geduldete waren von vornherein von einer Antragstellung ausgeschlossen, weil sie zum Stichtag nicht lange genug in Deutschland gelebt hatten. Also mindestens acht Jahre als Alleinstehender bzw. sechs Jahre als Familie.

    Aber auch die, die am November-Stichtag 2006 bzw. am 1. Juli 2007 ausreichend lange in Deutschland geduldet waren, haben die befristete Aufenthaltserlaubnis nicht automatisch bekommen. Das wären nämlich über 90.000 Menschen gewesen. Aus den Unterlagen des Bundesinnenministeriums geht hervor, dass etwa die Hälfte der betroffenen Familien das Aufenthaltspapier erhalten hat, bei den Alleinstehenden sind es 80 Prozent.

    Denn es gibt zahlreiche weitere sogenannte Ausschlussgründe. Der erste: "kriminell" gewordene Flüchtlinge sollen kein Bleiberecht bekommen. Als "kriminell" gelten allerdings auch solche Geduldeten, die Bestimmungen des Ausländerrechts verletzt haben, zum Beispiel mehrfach unerlaubt den ihnen zugewiesenen Ausländeramtsbezirk verlassen haben. Selbst strafrechtlich relevante Vergehen, die nicht einmal ins polizeiliche Führungszeugnis aufgenommen werden, stufen die Bleiberechtsregelungen als "kriminell" ein. In der damaligen Debatte legten besonders die Innenminister Bayerns und Niedersachsens Wert auf diesen Ausschlussgrund. "Kriminelle Ausländer", hieß es, sollten sich nicht durch die Hintertür der Bleiberechtsregelung einen gesicherten Aufenthalt erschleichen dürfen.

    Für Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat kommt diese Bestimmung einer juristisch fragwürdigen Doppelbestrafung gleich. Sie träfe zum Beispiel auch junge, straffällig gewordene Ausländer, die nie in der Heimat ihrer Eltern gelebt haben:

    "Fakt ist ja, dass Straftaten, wie beim deutschen Jugendlichen auch, bestraft werden. Und der Jugendliche muss seine Geldstrafe zahlen, muss seine Freizeitarbeiten machen, muss gegebenenfalls seine Strafe absitzen – das wird immer übersehen in dieser Diskussion. Es geht ja nicht darum, dass hier kriminelle Ausländer nicht bestraft werden. Sie werden bestraft, genau wie Deutsche auch. Bloß sie werden eben ein zweites Mal bestraft, indem gesagt wird, wenn ihr eure Strafe abgesessen habt, dann werdet ihr nicht resozialisiert, sondern dann schmeißen wir euch anschließend auch noch raus aus dem Land."

    Doch das Bleiberecht wird nicht nur dem Straffälligen selbst verweigert. Wenn er Angehörige hat, soll die gesamte Familie keine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Im Beschluss der Innenministerkonferenz von vor zwei Jahren heißt es unter Punkt 6.6.:

    "Bei Ausschluss eines Familienmitglieds wegen Straftaten erfolgt grundsätzlich der Ausschluss der gesamten Familie."

    Paragraph 104a Aufenthaltsgesetz nahm wenige Monate später diese Bestimmung auf:

    "Hat ein in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied Straftaten begangen, führt dies zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis für andere Familienmitglieder."

    Kritiker sprechen von Sippenhaft. Wie diese Regelung greift, beschreibt Muhammed Youni, der mit seiner Familie als 13-jähriger 1998 aus dem Libanon nach Deutschland geflohen ist. Er arbeitet in der Gruppe "Jugend ohne Grenzen" und lebte selber neun Jahre nur geduldet in Deutschland. Der 23-jährige Libanese berät schon seit Jahren andere junge Menschen im Duldungsstatus:

    "Ein Mädchen aus unserer Gruppe: Ihr Vater war getrennt von der Mutter und hat dann mehrmals die Residenzpflicht verletzt, weil er seine Familie besucht. Wurde dann mehrmals erwischt, hatte dadurch mehr als 90 Tagessätze und bekam kein Aufenthaltsrecht. Und davon war auch die ganze Familie betroffen."

    "Jugend ohne Grenzen" machte sich für die Familie stark. Ihr Treffpunkt, das Berliner Beratungs- und Betreuungszentrum, BBZ, schloss sich den Protesten an. Die Einrichtung wird unterstützt von Kirchen und Gewerkschaften und finanziert aus EU-Mitteln. Gemeinsam mit den Betroffenen und vielen Unterstützern erreichten sie die Revision der Entscheidung und eine Aufenthaltserlaubnis für die Familie. Nur für den Vater konnten sie nichts tun.

    "Er hat bis heute noch kein Aufenthaltsrecht. Obwohl der kein Krimineller ist. Also das ist ein Witz! Kein Deutscher wird aus dem Grund bestraft!"

    Georg Classen verweist auf das Urteil eines Jugendrichters in Bernau bei Berlin, der bislang als einziger der Frage nachgegangen ist, ob die Sippenhaftregelung überhaupt verfassungskonform ist. Zugrunde lag dem Urteil des Richters der Fall eines straffällig gewordenen Jugendlichen, der völlig verzweifelt war, weil bei seiner Verurteilung seine Geschwister und seine Eltern vom Bleiberecht ausgeschlossen worden wären. Der Jugendrichter, der den Jugendlichen angesichts seiner Vergehen eigentlich zu mehr als 50 Tagessätzen hätte verurteilen müssen, tat das deshalb nicht.

    "Das Amtsgericht Bernau hat dann festgestellt, dass nach seiner Auffassung die Bleiberechtsregelung verfassungswidrig ist, weil der Jugendrichter durch seine Verurteilung, die er normalerweise vornehmen müsste, nicht nur den Jugendlichen bestraft, sondern die ganze Familie mitbestraft, auch seine Geschwister, und hat das entsprechend auch ausgeurteilt. Dennoch hat die Familie bis jetzt kein Bleiberecht, weil das Verfahren bei höheren Instanzen anhängig ist und ich befürchte auch, aufgehoben wird, wenn die Betroffenen nicht bis zum Bundesverfassungsgericht gehen werden."

    Unabhängig von den geschilderten Einzelschicksalen: Die Statistik des Bundesinnenministeriums zeigt, dass nicht einmal zwei Prozent der Antragsteller deshalb kein Bleiberecht erhielten weil sie als "kriminell" im Sinne der Ausschlussregelungen eingestuft wurden.

    Ein weitaus größeres Problem ist, dass viele Geduldete keine Ausweispapiere haben. Die sind aber Voraussetzung, damit die Behörden eine Aufenthaltserlaubnis ausstellen. Eine in vielen Fällen sehr lebensferne Regelung, kritisieren die Beratungsstellen. Besonders Flüchtlinge aus zusammengebrochen Staaten wie Jugoslawien oder der Sowjetunion - oder Minderheiten, die in ihren Heimatländern ausgegrenzt werden, hätten erhebliche Probleme. Und nicht zuletzt Familien, deren Kinder in Deutschland geboren wurden, die hier aber keinen Pass erhalten. Roma zum Beispiel, die vor dem Bürgerkrieg in Jugoslawien Anfang der 90er Jahre nach Deutschland geflohen sind, können häufig keine Papiere vorweisen. Georg Classen:

    "Das ist hier genauso, dass die Kinder nicht registriert sind, im Herkunftsland nicht registriert sind, hier nicht registriert sind. Da scheitert teilweise das Bleiberecht daran, dass keine Botschaft sich überhaupt für zuständig erklärt oder die Botschaft dann eben sagt, was haben wir mit den Kindern zu tun? Und daran scheitert nicht nur das Bleiberecht der Kindern sondern der gesamten Familie. Und solange der Aufenthalt nicht da ist, gibt es auch Schwierigkeiten mit der Arbeitserlaubnis und so weiter."

    Ohne Pass ist die dritte und höchste Hürde von vornherein nicht zu überwinden: die sogenannte "wirtschaftliche Integration". Damit ist gemeint: Die Antragsteller müssen, spätestens am Ende ihrer befristeten Aufenthaltserlaubnisse, nachweisen, dass sie von eigenen Einkünften leben und keine öffentliche Unterstützung wie Wohngeld oder Sozialhilfe beziehen.

    "Wir verlangen die wirtschaftliche Integration. Das heißt, dass es keine Zuwanderung in die Sozialsysteme geben soll, sondern Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Wir haben vorgesehen, dass diejenigen, die unter die Altfall- und Bleiberechtsregelung fallen, Zeit bekommen, einen Arbeitsplatz in Deutschland zu finden. Das ist vielen Tausend Menschen auch gelungen und geglückt. Das ist übrigens auch ein Beweis dafür, dass diese Bleiberechtsregelung richtig konzipiert war."

    Iris Biesewinkel vom Rom e.V. in Köln:

    "Im Prinzip ist es Irrsinn. Wenn man sich vorstellt, dass in den ganzen letzten Jahren eine ganze Generation Flüchtlingskinder, Flüchtlingsjugendliche durch das Bildungssystem durchgefallen sind, weil es keine Schulpflicht gab, und die müssen jetzt aber irgendwie qualifiziert arbeiten und vorher hat sich da wirklich kein Mensch drum geschert, ist natürlich harter Tobak. Und wenn man sich vorstellt, dass bei jedem Vorstellungsgespräch auch ein Lebenslauf gefordert wird oder ein beruflicher Werdegang, fragen sich Arbeitgeber natürlich schon, wie kommen denn diese Lücken zustande, weil die von den Hintergründen natürlich keine Ahnung haben."

    Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat schätzt, dass viele die Hürde "wirtschaftliche Integration" nicht überspringen und am Ende ihre befristete Aufenthaltserlaubnis verlieren werden – selbst wenn sie die anderen Kriterien erfüllen:

    "Mehr als 95 Prozent haben die nur unter dem Vorbehalt, dass sie ab Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bis 2009 bereits die überwiegende Zeit ihren Lebensunterhalt gesichert haben. Das heißt da wird es für viele noch ein böses Erwachen geben. Wir gehen davon aus, dass viele dann nicht verlängert werden."

    Der Grundsatz, nur diejenigen dürften bleiben, die den hiesigen Arbeitsmarkt "bereichern", hat allerdings dramatische Folgen. Denn selbst für Menschen, die wegen ihrer Traumatisierungen durch Folter, Massenvergewaltigungen oder andere Kriegserlebnisse nicht oder nur eingeschränkt arbeitsfähig sind, gibt es keine Ausnahmen. Iris Biesewinkel:

    "Ich hab hier schwersttraumatisierte Menschen, die sich jetzt auf den Arbeitsmarkt stürzen und wo ich denke, um Himmels willen, wie soll das alles funktionieren. Aber die einfach nur noch: "Ich will bleiben, ich will bleiben, ich will bleiben!" Da muss man nicht für studiert haben, um zu wissen, dass das so nicht funktioniert. Aber die Menschen drehen dabei echt so ein bisschen durch."

    Nur wenn diese Menschen, einschließlich der Alten, von ihren Familien oder von Dritten verbindlich versorgt werden – nur dann können sie bleiben. So haben es die Innenminister beschlossen – und so will es auch das Aufenthaltsgesetz. Eine angemessene Lösung angesichts der leeren Kassen? Innenstaatssekretär Peter Altmeier:

    "Das sind ja beides ein und dieselben Seiten der gleichen Medaille, dass wir in bestimmten Fällen dann von Personen, die selbst nicht imstande sind zu arbeiten, erwarten, dass sie von ihren Familienstrukturen aufgefangen werden. Wobei ich glaube, dass dies in vielen Fällen geschehen wird, weil bei den Menschen, um die es sich hier handelt, die Familienstrukturen noch in sehr erfreulicher Weise intakt sind und ich bin auch ganz dagegen, dass man diese Strukturen vernachlässigt und alles dann über den staatlichen Kamm schert."

    Besonders weil die Bleiberechtsregelungen so unbedingt verlangen, die Betroffenen dürften keine sozialen Leistungen beanspruchen, fällt das Zwischenresümee vieler Beratungsstelle bitter aus. Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat:

    "Es ging nie darum, eine wirkliche Altfallregelung zu schaffen für Leute, die schon lange hier sind und sich integriert haben. Es ging immer darum, die Menschen zu trennen. Und zwar einmal in die Gruppe der nützlichen Menschen, die eben hier Einkommen erzielen, Steuern zahlen usw. und in die Gruppe derjenigen, die zwar in allen Bereichen integriert sind, aber eben nicht die Möglichkeit haben, in den Arbeitsmarkt hereinzukommen. Das war von vornherein so angelegt, das haben die Innenminister auf ihrer Konferenz auch ganz offen gesagt und dass auch in Paragraph 104a drin."

    Für Iris Biesewinkel vom Rom e.V. sind die Regelungen ein wirtschaftliches Selektionsinstrument:

    "Das große Heulen wird es geben Ende 2009, weil da wird dann nämlich Bilanz gezogen und dann kommen die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Duldungskröpfchen oder ins Flugzeug. Es gibt ja auch schon Vermutungen, dass nach diesem Stichtag dieser ganzen Probezeit es auch eine große Abschiebewelle geben wird."

    Staatssekretär Peter Altmeier hält diese Befürchtung für überzogen.

    " Ich rate sehr dazu, dass wir die Dinge auf uns zukommen lassen. Dann sagen wir, wir verlängern, wenn während der Probezeit eine überwiegend eigenständige Lebensunterhaltssicherung gelungen ist."

    Tatsächlich relativiert der Paragraph 104a des Aufenthaltsgesetzes die Unbedingtheit, mit der die Innenminister jede Art von zusätzlicher Sozialleistung zum Ausschlussgrund für ein Bleiberecht erklärte hatten. Bloß: was heißt "überwiegend"? Wer entscheidet, ob Bleiberechtsaspiranten mindestens 55 oder vielleicht sogar 95 Prozent des Lebensunterhalts aus eigenem Einkommen bestreiten müssen? Sind drei Minijobs ausreichend oder sind 100 Euro Wohngeld schon zu viel? Diese Entscheidungen liegen letztlich bei den Ausländerbehörden – und da trauen die Beratungsstellen nur wenigen eine großzügige Haltung zu.

    Deshalb wollen Kirchen, Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingsgruppen und die Betroffenen eine Anschlussregelung für nächstes Jahr erreichen. Vor der gerade stattfindenden Innenministerkonferenz in Potsdam demonstriert "Jugend ohne Grenzen" und hat für das Wochenende zu einer eigenen Tagung eingeladen. Der Beschluss der Innenministerkonferenz von vor zwei Jahren könne nicht das letzte Wort bleiben.

    Eine neue Regelung müsse sich von dem Prinzip der wirtschaftlichen Auslese verabschieden und anerkennen, dass das jahrelange Arbeits- und Ausbildungsverbot vielen Geduldeten die Chance auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz verbaut hat – falls es einen solchen in den Zeiten prekärer Beschäftigungsverhältnisse überhaupt gebe. Außerdem seien die Opfer von Krieg und Gewalt genauso wie alte Menschen vom Arbeitszwang auszunehmen.

    Für Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin wäre die sinnvollste Lösung, dass der Staat auf Abschiebung verzichtet, wenn Menschen schon seit mehreren Jahren hier leben. Denn auch diejenigen Flüchtlinge, die nach 1998 beziehungsweise 2000 gekommen sind und deshalb den Stichtag von Altfall- und Bleiberechtsregelungen verfehlt haben, leben wieder nur als Geduldete hier leben und brauchen eine Perspektive:

    "Wir fordern eine permanente Regelung, weil wir der Meinung sind, dass es eben nach einer bestimmten Anzahl von Jahren nicht mehr geht, ihn abzuschieben. Und wir denken, dass die Grenze hier nach drei Jahren für Familien und nach fünf Jahren für Alleinstehende zu setzen ist, dass sie dann nicht mehr abgeschoben werden dürfen, dass das menschenrechtlich nicht mehr geht."

    Peter Altmeier lehnt eine solche Forderung ab. Die Angst vor dem sogenannten Pull-Effekt ist groß. Wenn Deutschland zu humanitär handele, kämen immer mehr, die hier bleiben wollten.

    Nicht nur Muhammed Youni fordert da ein grundlegendes Umdenken. Diese Angst dürfe nicht weiterhin die Flüchtlingspolitik regieren. Flüchtlingsschutz sei humanitärer Schutz und kein Abfallprodukt ökonomischer Nutzenkalküle. Dabei lehnt er wirtschaftliche Überlegungen gar nicht ab; aber sie dürften nicht von Angst und Abwehr diktiert sein:

    "Man sieht bei diesen ganz vielen Menschen nur die Probleme, die Sprachdefizite, aber man sieht nicht ihre Ressourcen, ihre kulturellen Ressourcen, ihre Überlebenskunst-Ressourcen. Das wird vernachlässigt. Da entgeht Deutschland so viel, was man – ich sage mal – ausnutzen kann. Wenn man sie fördert, kann Deutschland so viel profitieren. Aber man vernachlässigt das."