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Wenn Schule Lehrer krank macht

Fast 22 Prozent der Lehrer in Deutschland quittieren vor dem Pensionsalter ihren Dienst - krankheitsbedingt. Ganz oben auf der Liste stehen psychische und psychosomatische Diagnosen. Eine Klinik in Eschweiler hat sich auf die Behandlung psychisch erkrankter Lehrer spezialisiert.

Von Lisa von Prondzinski | 25.07.2011
    "Wenn sie in eine Klasse gehen und 30 Kinder vor sich haben, müssen sie wirklich mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, in jeder Hinsicht - sowohl mit ihrer Physis als auch mit ihrer Psyche, sonst funktioniert das nicht."

    Diese Lehrerin, Anfang 50, hat ihren Halt verloren. Seit Monaten ist sie krank geschrieben. Weil sie ihren richtigen Namen lieber nicht nennen möchte, nennen wir sie im Weiteren Angelika S.

    "Das Problem ist ja meistens, wenn man selber geschwächt ist, dann kann man eben nicht mehr die Grenzen zeigen. Und wenn das einmal sozusagen den Bach 'runtergeht, dann haben sie verloren."

    Persönliche Probleme haben Angelika S. über mehrere Jahre hinweg geschwächt. Zunächst arbeitete die Musik- und Chemielehrerin noch mehr - der Zusammenbruch war nicht aufzuhalten: Sie litt unter Schlafstörungen, hatte Kreislaufprobleme - und schließlich keine Kraft mehr, um vor die Schüler zu treten. Jetzt macht sie eine ambulante Therapie in einem psychosomatischen Zentrum, in der Röher-Parkklinik in Eschweiler. Das ist in der Nähe von Aachen. Hier ist man auf Lehrer spezialisiert:

    "Wir haben vielfach überengagierte Lehrer. Das sind die, die sehr hoch gefährdet sind auszubluten, weil die alles machen möchten."

    Und das auch noch perfekt, sagt Klinikleiter Wolfgang Hagemann.

    "Das, was wir uns wünschen von einem Lehrer, dass er wirklich perfekt seinen Unterricht vorbereitet und gestaltet und nachbereitet, wird in der Situation für ihn dann zur Fußangel, wodrüber er stolpern kann."

    Dass vor allen Lehrer für körperliche sowie psychische Erschöpfungszustände – Depressionen und Ängste - anfällig sind, erklärt der Psychiater Hagemann unter anderem mit der zunehmenden Arbeitsverdichtung. Aber auch die Probleme, die Schüler von zu Hause mitbrächten, machten das Unterrichten schwer: Bedrückende Verhältnisse etwa durch Arbeitslosigkeit der Eltern, würden auf die Kinder abfärben, so dass ...

    "Die Lehrer in den Brennpunktschulen dann enorme Aufmerksamkeit darauf legen müssen, dass die Kinder gruppentauglich, -fähig sind, um überhaupt sich zu öffnen für den zu vermittelnden Lerninhalt."

    Angelika S. hat in ihrer Gesprächstherapie wieder Kraft getankt und neue Verhaltensweisen erlernt, um mit drohenden Problemen im Beruf fertig zu werden. Und:

    "Was mir gut geholfen hat, ist die Musiktherapie sowohl in der Gruppe als auch im Einzel, dann Bewegungstherapie, dann hatten wir Kreativtherapie in der Gruppe."

    Ziel der Lehrertherapie ist es, sie wieder fit zu machen für ihren Job.

    "Unter der Prämisse, dass erstmal sein Tätigkeitsfeld sich nicht verändert. Davon muss er ausgehen: Wenn er zurückkehrt, hat sich da wenig getan",

    sagt der Klinikleiter Hagemann. Deshalb wird dem Patienten deutlich gemacht, wie der private und berufliche Lebensbereich miteinander verquickt sind.

    "Wir arbeiten mit ihm tiefenpsychologisch auf, dass er in seinem Lebenszusammenhang erkennt, wie es kommt, dass er es so alles sieht und versucht anzugehen. Verhaltenstherapeutisch, indem wir ihm konkrete Möglichkeiten nennen, wie er anders umgehen kann mit bestimmten Stressoren im Arbeitskontext."

    Wichtig für die Lehrer ist auch zu sehen, dass sie nicht allein dastehen mit ihren Konflikten und dem Gefühl versagt zu haben. Vor allem auf die Gespräche untereinander, zwischen den Therapiesitzungen, möchten viele nicht verzichten, sagt Hagemann:

    "Manche Patienten sagen, dass 60 Prozent der Therapie da abläuft und nicht in den Therapiesitzungen."

    Im normalen Schulbetrieb dagegen werden die eigenen Belastungen selten angesprochen. Häufig erst, wenn es zu spät ist und ein Kollege nicht mehr kann. Angelika S.:

    "Das System Schule ist einfach ein anstrengendes System."

    So würden manche Schulleiter zum Beispiel keinen Wert auf ein gutes Betriebsklima legen. Sie hat sich vorgenommen, nach Verbündeten im Kollegium zu suchen, wenn sie an eine neue Schule kommt:

    "Denn als Lehrer ist man eben kein Einzelkämpfer, man braucht das Team."

    Das bedeute Rückhalt und sei auch für die Schüler von großer Bedeutung:

    "Die müssen Grenzen haben und eine klare Linie. Aber das müssen wir in der Schule auch umsetzen. Das heißt, der Klassenlehrer mit seinen Fachkollegen muss ein Team bilden, dass die Kinder, das auch sehen: 'Ich kann nicht bei dem einen so und bei dem anderen so'."

    Dass es mit dem Team vielleicht doch nicht klappen könnte, ist das Einzige, das Angelika S. noch ein wenig Angst macht. Ansonsten fühlt sich wieder stark genug, um vor der Klasse zu stehen.

    Der Psychiater Hagemann meint, dass Lehrer nicht nur daran gemessen werden sollten, ob die Schüler die Lernziele erreichen. Den Lehrkräften sollte mehr Raum für pädagogische Arbeit und den Austausch darüber eingeräumt werden:

    "Das geht für mich soweit, dass alle Problemfälle besprochen werden können sollten in dafür eingerichteten Zeiträumen der Lehrer untereinander, damit es ihm gelingt, was ihn in der Schule ihn beschäftigt auch dort bleiben kann. Damit er es nicht nach Hause nimmt."

    Angelika S. hat trotz ihres Einbruchs ihren Idealismus nicht verloren. Dienst nach Vorschrift käme für sie nie in Frage: Sie will nach wie vor bei ihren Schülern etwas bewirken:

    "Das ist etwas, was mir Freude macht. Dass irgendwas mitgenommen wird und die Kinder weiterbringt."

    Link:

    www.verbraucherweblog.de