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Wenn sich alles dreht

Schwindelsymptome sind der zweithäufigste Grund, aus dem Menschen einen Arzt aufsuchen. Gemeint ist damit, dass die Orientierung im Raum verloren geht – die Welt dreht sich, der Boden schwankt, manche Patienten verlieren den Halt. Es gibt harmlose Formen des Schwindels wie beispielsweise der Lagerungsschwindel. Doch auch ein Schlaganfall kann Schwindelgefühle auslösen.

Von Hellmuth Nordwig | 31.03.2009
    Sie sind ein Dreierteam: der Gleichgewichtssinn, das Gehirn und die Augen. Stimmt etwas nicht in deren Zusammenspiel, dann scheint sich die Welt um uns herum zu drehen. Am häufigsten ist der so genannte gutartige Lagerungsschwindel. Die Ursache: Kleine Kristalle in den Bogengängen des Innenohrs. Prof. Walter Paulus, Neurologe an der Universität Göttingen:

    "Der klassische Bericht von Patienten ist: Sie liegen nachts im Bett, drehen sich dann auf die andere Seite, und dann kommt es zu einem ausgesprochen unangenehmen, heftigen Schwindel über ungefähr zehn bis 30 Sekunden, der einfach nur dadurch entsteht, dass sie sich zwar schon umgedreht haben und alles richtig gemeldet worden ist, aber dann setzen sich diese Teilchen in Bewegung und rutschen an die tiefste Stelle. Das dauert ungefähr diese Zeit, und dabei meldet das Gleichgewichtsorgan eine Bewegung, obwohl längst schon keine mehr da ist."

    Diese Schwindelform lässt sich leicht behandeln. Eine bestimmte Abfolge von Kopf- und Körperdrehungen bewirkt, dass die Kristalle aus dem Gleichgewichtsorgan hinaus rutschen. Dann stimmt dessen Wahrnehmung wieder mit der des Auges überein. Vor dieser Therapie steht aber die genaue Diagnose durch einen Neurologen. Denn es gibt viele mögliche Ursachen für Schwindel. Eine davon ist lebensbedrohlich, nämlich eine Durchblutungsstörung des Gefäßes, das den Hirnstamm versorgt, der Basilararterie. Prof. Marianne Dieterich von der Universität München:

    "Deswegen sind die Neurologen trainiert, bei unklaren Fällen immer vom Schlimmsten auszugehen und schnell nachzuschauen, ob das nicht eine Durchblutungsstörung der Basilararterie sein könnte. Und wenn man das dann ausgeschlossen hat, was man sofort behandeln müsste, dann hat man ein bisschen mehr Zeit, um herauszufinden, wo bei dem Einzelnen der Schwindel herkommt, wenn es nicht am Hirnstamm liegt."

    Marianne Dieterich leitet an der Neurologischen Uniklinik in München eine überregionale Schwindelambulanz. Mehr als 7000 Patienten sind dort in den vergangenen Jahren untersucht und behandelt worden. Die Statistik dieser Ambulanz zeigt: Bei etwa jedem sechsten Patienten hat der Schwindel keine körperliche Ursache.

    "Ein Teil dieser Patienten hat einen Dauerschwindel entwickelt, weil sie nach einem organischen Schwindel - sei es vom Innenohr ausgehend oder von den zentralen Bereichen im Gehirn - der geheilt ist, noch ängstlich und verunsichert sind oder eine depressive Stimmung entwickeln und wiederum diese psychologische Belastung zu Schwindelsymptomen führt."

    Dabei spannt der Patient die Muskeln so an, als wollte er auf Eis laufen. Hier können Verhaltenstherapie oder Angst lösende Medikamente helfen. Schwindel ist also nicht gleich Schwindel, und es gilt, die genaue Ursache herauszufinden. Zumal viele Betroffene sehr unter den Schwindelanfällen leiden, sagt Walter Paulus.

    "Der Leidensdruck bei vielen Schwindelpatienten ist auch deswegen hoch, weil man es auch ärztlicherseits nicht so gut nachweisen kann: Viele dieser Schwindelformen treten nur ab und zu auf. Wir sind in der Diagnostik sicher, wenn wir den Patienten während des Schwindels untersuchen können. Im Intervall ist es auch für die Ärzte schwieriger."

    Die Münchner Experten haben deshalb ein Schwindeltagebuch entwickelt. Dort soll der Patient dokumentieren, in welchen Situationen ihm schwindelig wird und welche Beschwerden noch dazu kommen. So ist es für die Ärzte leichter, die Ursache einzugrenzen und zu behandeln. Diese Therapie ist häufig interdisziplinär. Neben den Neurologen sind auch HNO-Ärzte, Psychologen und Krankengymnasten beteiligt.