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"Wenn so ein großer Börsengang passiert, dann muss es perfekt ablaufen"

Der problembehaftete Facebook-Börsengang könnte der Aktienkultur schaden, befürchtet der Analyst Robert Halver. Dass die Börsenaufsicht den Vorwurf untersuche, den Anlegern seien Informationen vorenthalten worden, sei ein "ernstes Unterfangen", sagt Halver - und schätzt zudem die Aktie als "sehr" teuer ein.

Das Gespräch führte Christoph Heinemann | 25.05.2012
    Christoph Heinemann: Vor einer Woche schien die Welt noch in Ordnung und der Deutschlandfunk meldete:

    O-Ton DLF-Nachrichten: "Das soziale Netzwerk Facebook hat den bislang stärksten Börsenstart eines Internet-Unternehmens geschafft. Der Börsenwert von Facebook liegt damit bei mehr als 100 Milliarden Dollar. Heute wird die Aktie zum ersten Mal an der US-Technologiebörse Nasdaq gehandelt."

    Heinemann: ... , und zwar am vergangenen Freitag mit 38 Dollar pro Aktie. Wenige Tage später waren davon nur noch 32 Dollar übrig. Stand gegenwärtig übrigens 33,03 Dollar. Das Ganze soll ein juristisches Nachspiel haben, mehrere Investoren reichten inzwischen Klage ein – ihr Vorwurf: Die Banken, die den Börsengang organisierten, hätten nur einem ausgewählten Kundenkreis wichtige Informationen über die Geschäftsaussichten von Facebook zukommen lassen. Die US-Bank Morgan Stanley prüft inzwischen offenbar die Entschädigung einiger Investoren, die Größenordnung ist aber noch nicht bekannt. – Am Telefon ist Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank. Guten Morgen.

    Robert Halver: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Halver, was ist nach Ihren Informationen schief gegangen?

    Halver: Es waren zwei Dinge: Erstens sicherlich, dass es sehr lange gedauert hat, bis der erste Kurs letzte Woche festgestanden hat, fast eine halbe Stunde. Das kann normalerweise im Mutterland des Kapitalismus, in Amerika, und auch bei der größten Börse der Welt oder bei einer der größten Börsen der Welt, bei Nasdaq, nicht passieren. Und zweitens natürlich jetzt der Vorwurf, dass man Informationen vorenthalten hat, wo ja auch jetzt die Börsenaufsicht in Amerika definitiv die Sache untersucht, und das ist dann ein ernstes Unterfangen, denn die Börsenaufsicht – das muss man sich vorstellen – ist wie die Inquisition.

    Heinemann: Wie die Inquisition. – Verstößt das gegen die Spielregeln?

    Halver: Das wird im Augenblick geprüft. Ich hoffe, dass es nicht so ist, denn wenn es so wäre, im Worst-Case-Szenario, im schlimmsten Fall müsste man dann davon ausgehen, dass Börsengänge in Zukunft noch strikter beobachtet werden, oder vielleicht ganz unterbleiben. So was darf nicht passieren, gerade nach den Problemen, die wir ja in den letzten Jahrzehnten hatten, mit neuem Markt, mit der Dotcom-Blase, mit Finanzkrise, Immobilienkrise. Wir können keine Erschütterung mehr vertragen. Alle Informationen, die das Unternehmen hat über Geschäftsperspektiven, müssen auch jedem zugänglich gemacht werden.

    Heinemann: Und zwar sofort?

    Halver: Sofort. Das heißt, wenn Sie bereit sind, die Aktie zu zeichnen, müssen Sie alles wissen.

    Heinemann: Können Sie sich das erklären, was da passiert ist?

    Halver: Also ich kann es mir nicht erklären. Normalerweise müsste auch jede Bank, die im Konsortium dabei gewesen ist, die also die Facebook-Aktie an die Börse gebracht haben, Bescheid wissen. Nach den Skandalen der letzten Jahre, gerade auch in Amerika, kann so was normalerweise nicht mehr passieren. Da bin ich mal gespannt, was die Börsenaufsicht ans Licht führt.

    Heinemann: Herr Halver, zu dem ersten, was Sie gesagt haben, dass der Kurs eben eine ganze Zeit lang nicht feststand, welche Erklärung gibt es dafür?

    Halver: Normalerweise gibt es dafür keine Erklärung. Jeder weiß bei so einem Jahrhundertbörsengang, so ist es ja auch angekündigt worden, mit sehr viel Euphorie, hat jeder Händler natürlich eine Urlaubssperre, da ist man vorbereitet, da sind alle sicherlich mit hohem Fokus bei der Arbeit und da kann es nicht so lange dauern und da muss man aufpassen, dass keine Gerüchte aufkommen. Was wäre denn gewesen, wenn jetzt die ersten Proforma-Kurse deutlich unter 38, unter dem Emissionspreis gelegen hätten? Kann es sein, dass man da vielleicht eine gewisse Laxheit an den Tag gelegt hat und nicht alle Informationen über die ersten Kurse bekannt gegeben hat? Das sind Gerüchte, die muss man sofort ausräumen, das darf nicht passieren. Wenn so ein großer Börsengang passiert, dann muss es perfekt ablaufen.

    Heinemann: Geklagt werden soll ja nicht nur gegen die Banken, sondern auch gegen Facebook und eben auch gegen die Börse, gegen die Nasdaq. Kann das teuer werden?

    Halver: Das kann teuer werden. Der größte Schaden ist nicht jetzt der finanzielle Schaden für die Börsen, oder dass eventuell Schadensforderungen auf Banken oder Unternehmen zukommen. Wichtig ist der Schaden, der Kollateralschaden für die Aktienkultur. Wir vertragen hier keine großen Probleme mehr. Hier muss man dafür sorgen, dass alles wirklich absolut perfekt und transparent abläuft. Ich hoffe, dass die Börsenaufsicht das natürlich auch feststellen kann und dass es nur im Grunde genommen ein Fehler war, der nicht passieren darf, ein Montagsauto sozusagen. Aber wenn es mehr sein sollte, dann haben wir ein ernstes Problem.

    Heinemann: Und wie hoch ist der Ansehensverlust für Facebook?

    Halver: Der Verlust ist natürlich im Augenblick riesengroß. Wichtig ist jetzt für Facebook, dass sie relativ schnell klar machen, wie sie jetzt ihr soziales Netzwerk, was ja durchaus eine sinnvolle Idee ist, wie man das mit Leben füllt und insbesondere die Frage beantwortet, wie will man Geld verdienen, also wie schafft man es jetzt bei Facebook, die Produktehersteller auf die Plattform bei Facebook zu bringen, denn bis jetzt ist es ja so, dass in Amerika nur etwa zehn Prozent der Werbeausgaben onlinemäßig geschaltet werden. Das müsste mehr werden. Wenn das klappt, ist das wunderbar; klappt es nicht, hat man ein ernstes Problem.

    Heinemann: Herr Halver, halten Sie die Schwäche der Facebook-Aktie für vorübergehend?

    Halver: Die Aktie ist im Augenblick sehr, sehr, sehr teuer und die Anleger, gerade auch jetzt im Zeichen einer Euro-Krise, bezogen auf viele Probleme, die wir jetzt an den Aktienmärkten haben, sind natürlich sehr kritisch und sind der Meinung, dass man eigentlich viel stärker der Realität eine Chance geben muss und nicht nur Euphorie. Von daher muss man sagen, in diese hohe Bewertung muss die Facebook-Aktie noch hereinwachsen.

    Heinemann: Wird sich das ganze Problem mittel- und langfristig vielleicht auch auf andere Internet-Unternehmen an der Börse auswirken? Anders gefragt: Sind die Anleger bei diesen Werten misstrauisch geworden?

    Halver: Es ist sehr wichtig, dass man jetzt natürlich schnell aufklärt. Ansonsten würden weitere Börsengänge und auch weitere Aktien aus sozialen Netzwerken natürlich in Mitleidenschaft gezogen.

    Heinemann: Ist es eigentlich ungewöhnlich, dass eine Aktie nach einem Börsengang in den Keller abrutscht?

    Halver: Es ist nicht ungewöhnlich. Die Historie zeigt, dass man sicherlich nach einem Börsengang durchaus noch mal einen Kursrutsch hat. Von daher ist auch gut anzuraten, dass die Anleger jetzt einfach mal abwarten, was sich tut, was sich also in puncto Börsenaufsicht tut, und natürlich auch, welche Geschäftsperspektiven noch gegeben werden. Aber die Historie zeigt, dass man durchaus noch deutlich günstiger an die Aktie kommen kann.

    Heinemann: Wie bringt eine Bank überhaupt ein Unternehmen an die Börsen? Wie geht das technisch?

    Halver: Also es sieht so aus, dass ein Unternehmen einem Konsortium von mehreren Banken den Auftrag gibt, bitte bringt uns an die Börsen. Das heißt, die Banken überprüfen alles, regeln die technischen Voraussetzungen. Dann wird geschaut bei potenziellen Kunden, welcher Preis einigermaßen absetzbar ist, und dann wird dieser Preis, eine Preisspanne was weiß ich, jetzt bei Facebook bis 38, überlegt. Und wenn dann die meisten Anleger der Meinung sind, ja, man möchte den Höchstpreis zahlen, wird genau dieser Höchstpreis auch als Emissionspreis genommen.

    Heinemann: Also der Einstiegswert wird unter diesen Banken dann festgelegt?

    Halver: Die Banken schauen, wie man das Papier absetzen kann. Ja man prüft natürlich, was sagen die Kunden dazu, was für einen Eindruck hat man, und es gibt ja immer eine berühmte Buchspanne, wo man sagt, 32 bis 38 in dem Falle von Facebook, und dann überlegt man, wie stark ist die Anlegerschaft bereit, diesen Preis zu zahlen.

    Heinemann: Und 38 war deutlich zu teuer?

    Halver: 38 war die Höchstgrenze und nach normaler Berechnung und Untersuchung, Bewertung, muss man sagen, ist die Aktie jetzt aktuell zu teuer.

    Heinemann: Herr Halver, die vielleicht wichtigste Frage: Wie können sich eigentlich Kleinanleger gegen solche Reinfälle schützen?

    Halver: Die Anleger hatten jetzt bei der Facebook-Aktie natürlich einen Riesenvorteil: Sie konnten ja bei der Zeichnung in Deutschland nicht mitmachen. Das heißt, es war jetzt sicherlich keine verpasste Chance. Einfach abwarten und natürlich vor allen Dingen nicht einer Euphorie jetzt anheimfallen, immer sehr realistisch in die Zukunft schauen, eine Aktie abklopfen. Gerade unsere Neue-Markt-Erfahrung zeigt natürlich, dass man sehr vorsichtig sein soll, grundsätzlich bei neuen Papieren. Und wenn es dann übers Internet geht, wo man ja an sich nichts anfassen kann wie beim Autowert, wo man sagen kann, wie sind die Absatzzahlen, wo man im Grunde genommen auch genügend Informationen zur Hand hat, muss man hier sagen, zwei-, dreimal genau hinschauen, abklopfen, und wenn man denkt, das ist mir zu heiß, lässt man es sein.

    Heinemann: An der Börse also immer mit dem Kopf und nicht mit dem Bauch entscheiden?

    Halver: Der Kopf ist sehr entscheidend. Natürlich: Euphorie gehört auch ein bisschen dazu. Wir sind ja Menschen. Nur eben die Euphorie, wie sie gerade auch in Amerika ist – ich habe Freunde in Amerika, die haben über nichts anderes geredet als über Facebook. Das war eine Euphorie, die ich fast nicht mehr verstehen kann, denn auch in Amerika hat man ja über die berühmte Dotcom-Blase, über die überteuerten Werte, neuer Markt, ja auch einiges an Geld verloren. Also da ist Amerika diesmal etwas übers Ziel hinausgeschossen.

    Heinemann: Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Halver: Danke!

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