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Wenn Stress das Herz aus dem Takt bringt

Herzrhythmusstörungen treten gewöhnlich in den Morgenstunden auf. Aber vor anderthalb Jahren, nach dem 11. September 2001 machten amerikanische Herzspezialisten eine ungewöhnliche Beobachtung: Die Zahl der Menschen mit Herzrhythmusstörungen wuchs dramatisch an, und bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten traten die Beschwerden in den Abendstunden auf. Des Rätsels Lösung: die Betroffenen hatten sich durch die allabendlichen Nachrichten im Fernsehen über die Terroranschläge vom 11. September aufgeregt und deswegen mit Herzbeschwerden reagiert. Psyche und Herzkrankheiten – mit diesem Thema befasste sich am Wochenende auch der Kongress des "Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin" in Göttingen.

Michael Engel | 25.03.2003
    Kein Zweifel: psychische Faktoren wie Stress und Angst können Herzkrankheiten auslösen und den weiteren Verlauf geradezu dramatisch beeinflussen. Insbesondere Depressionen erhöhen das Komplikations- und Sterberisiko. Dr. Christoph Herrmann-Lingen – Oberarzt in der Abteilung Psychosomatik der Universität Göttingen – hat die Forschungen zusammengetragen:

    Es gibt eine Reihe von Studien aus den letzten Jahren, die zeigen, dass depressive Personen, die zunächst mal keine Herzerkrankung hatten, gehäuft erstmalig Infarkte erleiden in den folgenden Jahren, und was man schon etwas länger weiß, ist, dass Menschen, die nach einem Infarkt depressiv sind, auch eine wesentlich erhöhte Sterblichkeit aufweisen. Das heißt, die Depression, wenn sie einen Infarkt kompliziert, führt zu kürzerem und dann auch deutlich schlechterem Überleben.

    20 Prozent aller Herzkrankheiten – so die Schätzungen – werden durch psychisch bedingte Ursachen ausgelöst. Allerdings: in den meisten Fällen ist eine getrennte Betrachtung der Psyche gar nicht möglich. Wer unter Stress, Depressionen oder Angst leidet, führt – statistisch gesehen – auch sonst ein recht riskantes Leben: viele der Betroffenen rauchen, sie essen zuviel und bewegen sich – als Folge von Vereinsamung und Isolation - zu wenig. Allesamt Faktoren, die dem Herzen gar nicht gut tun. Soziale Belastungen spielen ebenfalls eine Rolle. Aktuelle amerikanische Studien legen sogar nahe, dass bestimmte Risiko-Gene nur dann zum Herzinfarkt führen, wenn die betroffenen Menschen in ihrer Kindheit in benachteiligten sozialen Verhältnissen aufgewachsen sind:

    Zum Zusammenspiel zwischen Psyche und Herz gibt es mittlerweile eine ganze Reihe Erkenntnisse aus der psychophysiologischen Forschung, und die beziehen sich auf mehrere Kandidaten, wenn Sie es so nennen wollen, die dafür verantwortlich sein könnten. Einmal das vegetative Nervensystem, wobei ein anhaltenden Zuviel an sympathischer Aktivität, also Adrenalin, Noradrenalin, als auch ein Zuwenig an dem mehr nährenden und Regeneration fördernden Vagussystem umfasst. Es gibt darüber hinaus sehr, sehr spannende Befunde, die zeigen, dass psychische Faktoren sich auf das Gerinnungssystem, auf das Immunsystem und auf verschiedene andere Körpersysteme auswirken können, beispielsweise zu einer verstärkten Gerinnungsneigung und damit zu einem Verstopfen der Herzkranzgefässe führen können. Es gibt Zusammenhänge zur Regulation der Blutgefäßspannung, das heißt, der Blutdruck steigt, wie jeder weiß, unter psychischer Stressbelastung an, und dann gibt es noch weitere Faktoren, die in letzter Zeit erst nach und nach verstanden werden.

    Umgekehrt kann eine stabile Psyche viel zur Gesundung des Patienten beitragen: eine kardiologisch-psychosomatische Behandlung verbessert dabei nicht nur die Lebensqualität, sondern messbar auch die Durchblutung des Herzmuskels – wie aktuelle Studienergebnisse zeigen konnten. Hinzu kommt der Umstand, dass viele Patienten von ihrer ungesunden Lebensführung lassen, wenn sie kompetente Hilfe erfahren: klassisches Beispiel ist der psychotherapeutisch begleitete Nichtraucherkurs.

    Die Psychotherapie der Herzpatienten richtet sich in erster Linie nach der individuellen Problemsituation. Häufig geht es darum, dass der Herzinfarkt für den Patienten auch ein "Ich-Infarkt" ist, wie das ein amerikanischer Psychokardiologe einmal genannt hat, und gegen diesen Ich-Infarkt braucht es ebenso eine Behandlung wie gegen den Organ-Infarkt, die kann zum Beispiel darin bestehen, dass der Patient sich seiner inneren Stabilität wieder gewiss wird, dass der Patient sich seines Wertes in seinem Umfeld bewusst wird, den er bedroht sieht durch den Infarkt.

    Psychotherapie ersetzt aber nicht die konventionelle kardiologische Behandlung – so der Experte. Beide Strategien müssen Hand in Hand gehen. Möglichst frühzeitig mit der psychotherapeutischen Begleitung zu beginnen – am besten noch während der Akutversorgung im Krankenhaus – sei die beste Strategie, so Dr. Christoph Herrmann-Lingen aus Göttingen. Um genügend fachlich ausgebildete Psychotherapeuten für diese Herausforderung auszubilden, will die Universität Göttingen jetzt einen neuen Lehrstuhl einrichten. Fachgebiet: Psychokardiologie.

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