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Wenn Wale das Meer düngen

Biologie.- Je weniger Wale es gibt, desto mehr Fische bleiben für die Menschen übrig - so argumentieren Walfänger nicht selten für die Ausweitung ihres Geschäfts. Amerikanische Ozeanologen drehen dieses Argument jetzt um: Es sieht so aus, als hätte der rapide Rückgang der Wale das Potenzial für die Fischerei nicht erhöht, sondern verringert.

Von Jenny von Sperber | 31.05.2011
    Alles im Meer hat seinen Nutzen: Tote Fische, abgestorbenes Seegras, ja sogar Fäkalien. Denn absinkendes Material transportiert Nährstoffe, wie Kohlenstoff oder Stickstoff zum Meeresgrund, wo es in den Sedimenten gespeichert wird. Bei diesem Abwärtstransport sind Fäkalien besonders effektiv.

    "Diese fäkalen Pellets, wie wir sie nennen, sinken schnell von der Oberfläche in große Tiefe. Viel schneller als zum Beispiel ein gestorbenes Tier. Sie sind dicht, stromlinienförmig und manche sind sogar mit einer Schicht überzogen, die sie noch schneller absinken lässt."

    Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass auch die Hinterlassenschaften der Wale den gleichen Weg nehmen, erklärt der Ozeanologe James McCarthy von der amerikanischen Harvard-Universität. Gemeinsam mit dem Biologen Joe Roman beobachtete er aber, dass Walausscheidungen anders beschaffen sind:

    "Man würde annehmen, dass ein so großes Tier wie ein Wal, Zig Meter lang, Exkremente hinterlässt, die wie Holzscheite aussehen. Tun sie aber nicht. Die Bartenwale scheiden Kot in Form von gestreuten Wolken aus, ganz kleine Teilchen. Und die sinken nicht ab, wie die Exkremente von kleinen Tieren. Sie bleiben flockenartige Wolken."

    Die Forscher vermuteten, dass die flockigen Wolken der Wale nicht zum Abwärtstransport von Nährstoffen beitragen; sondern dass sie, im Gegenteil, den meist knappen Stickstoff innerhalb der oberen Wasserschichten recyceln. Dort fressen Bartenwale große Mengen an Plankton. Und dort hinterlassen sie ihre Exkremente. Um davon Proben zu nehmen, fuhren die Meereswissenschaftler im Schlauchboot hinaus in den Golf von Maine vor der Ostküste der Vereinigten Staaten.

    "Wenn man das Material vom Boot aus sucht, fährt man erstmal in die Gebiete, wo sich die Wale zum fressen aufhalten und nimmt einen darauf abgerichteten Spürhund mit. Hunde riechen alles: Drogen, Sprengstoff, und eben auch – Walmist."

    Die Forscher folgten der Hundenase, bis sie die grünlichen Wolken knapp unter der Wasseroberfläche sehen konnten. Mit Flaschen nahmen sie jeweils Ein-Liter-Proben, die sie später im Labor auf biologisch verfügbare Stickstoffverbindungen untersuchten.

    Fast überall ist die Produktivität des Meeres durch die Menge des verfügbaren Stickstoffs begrenzt. Mehr Stickstoff bedeutet also mehr Plankton, mehr kleine Fische, mehr große Fische. Doch der Stickstoff aus der Luft kann dafür nicht einfach genutzt werden. Erst Blitze wandeln ihn in eine wasserlösliche Form um. Flüsse und Strömungen aus der Tiefe des Ozeans sowie manche Bakterien sind weitere Stickstoffquellen für die Primärproduzenten.

    Und – wie James McCarthys Messungen im Wal-Mist jetzt zeigten: Auch Wale liefern einen beachtlichen Teil. Vermutlich stellen die Mikroben im Darm der riesigen Säuger einen idealen, stickstoffreichen Dünger her. Den hinterlassen sie genau dort, wo er gebraucht wird: An der Wasseroberfläche. Hinzu kommt, dass die Wale selbst relativ wenig Stickstoff für ihren Stoffwechsel benötigen. Allein im Golf von Maine seien die Tiere so für 23.000 Tonnen Stickstoff im Jahr verantwortlich, schätzt James McCarthy. Das ist mehr als alle Flüsse, die in den Golf von Maine fließen, zusammen.

    "Alles was im Meer erzeugt wird, wird auch genutzt. Manches von Walen. Und je größer der Anteil ist, der von Walen konsumiert wird, desto mehr Stickstoff wird im System gehalten. Und das bewirkt eine höhere Produktionsrate."

    So düngen die Säuger den Ozean und fördern damit seine Produktivität.