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Wenn Weibchen Männchen machen

Biologie. - Mäuse sind uns Menschen sehr ähnlich und das macht sie zu bevorzugten Versuchstieren. So zeigen sie auch Parallelen zum menschlichen Sexualverhalten, dem Biologen im Labor auf den Grund gehen können. Jetzt berichtet das Fachblatt "Nature" über weibliche Mäuse, die nicht mehr in der Lage sind, Sexuallockstoffe wahrzunehmen - mit verblüffenden Folgen.

Von Michael Stang | 06.08.2007
    Mäuse können Gerüche auf zwei verschiedene Weisen wahrzunehmen. Einerseits mit dem geruchsempfindlichen Zellgewebe in der Nase, mit dem auch Menschen riechen. Andererseits mit einem winzigen Organ, das ebenfalls in der Nase sitzt - beim Menschen jedoch verkümmert ist - dem so genannten vomeronasalen Organ. Es befindet sich auf beiden Seiten der Nasenscheidewand und besteht aus winzigen Einbuchtungen, in denen viele Sinneszellen konzentriert sind. Mit diesem Organ nehmen Mäuse Sexuallockstoffe war, sagt Catherine Dulac.

    "Männliches Verhalten bei Mäusen zu beobachten ist einfach: man setzt ein Männchen mit einem Weibchen in einen Käfig und das Männchen versucht sofort, sich mit ihm zu paaren. Bei Weibchen ist dies komplizierter, weil ihre Reaktionen oft uneindeutig sind, etwa wenn sie sich passiv verhalten. Deswegen haben wir bislang nie Experimente mit Weibchen gemacht, weil wir kein außergewöhnliches Verhalten erwartet haben."

    In früheren Experimenten hatte die Zellphysiologin von der amerikanischen Harvard Universität Mäuse gezüchtet, deren vomeronasales Organs durch eine Mutation nicht funktionierte. Diese Männchen konnten nicht mehr zwischen den Geschlechtern unterscheiden und versuchten sich fortan mit allen Artgenossen zu paaren. Für die mutierten Weibchen hatten sich die Forscher bislang nicht interessiert. Auf der Suche nach neuen Fragestellungen nahmen sie sich der Weibchen doch an und testeten, welches Verhalten die Weibchen an den Tag legten. Das Erstaunliche war: die Weibchen verhielten sich wie Männchen. Sie versuchten, sich mit Weibchen zu paaren, vernachlässigten den Nestbau, kümmerten sich kaum um den Nachwuchs und waren aggressiver. Dulac:

    "Bislang gingen wir davon aus, dass geschlechtsspezifisches Verhalten von Hormonen kontrolliert wird. Also lag es auf der Hand, nachzuschauen, ob unsere mutierten Weibchen vielleicht einen hohen Testosteronspiegel aufwiesen, weil der ja als Auslöser für männliches Verhalten gilt. Aber der Hormonspiegel war völlig normal. Wir konnten jetzt zeigen, dass männliches Verhalten auch ohne Testosteron möglich ist und das widerspricht diesem ganzen Dogma um die Rolle von Testosteron."

    Obwohl die Weibchen keinen erhöhten Testosteronspiegel hatten, zeigten sie männliches Verhalten, weil ihr vomeronasales Organ nicht funktionierte. Catherine Dulac vermutet, dass dieses Organ eine Art Kontrollschalter ist, der sicherstellt, dass eine Maus das Sexualverhalten zeigt, das ihrem Geschlecht entspricht.

    "Wie das bei anderen Spezies funktioniert, weiß ich nicht, aber bei Mäusen ging man auch davon aus, dass männliches Verhalten so fest verdrahtet ist, dass es nur in männlichen Gehirnen vorkommt. Das ist nicht der Fall. Die Schaltkreise, die männliches Verhalten bestimmen, existieren also auch im weiblichen Gehirn."

    Demnach besitzen weibliche Gehirne auch die Möglichkeit, wie ein männliches Schaltorgan zu funktionieren und das ohne eine Veränderung in der Hormonkonzentration im Körper der Mäuse.

    "Anstatt zweier verschiedener Gehirne, auf der eine Seite ein männliches, auf der anderen Seite ein weibliches Gehirn, gibt es bei Mäusen ein einheitliches Design. Der Unterschied ist eine Art Schalter, der umgelegt wird und bestimmt, welches sexuell spezifische Verhalten ein Tier zeigt. Theoretisch sind immer beide Verhaltensmuster in einer Maus möglich. Und dieser spezielle Verhaltenszyklus gibt dann den Mäusen vor, sich wie ein Weibchen oder wie ein Männchen zu verhalten."

    Als nächstes wollen sich die Forscher die Gehirne der Mäuse genauer anschauen, welche Neuronen tatsächlich das geschlechtsspezifische Verhalten bestimmen. Erst dann können sie klären, welche Organe und Mechanismen funktionieren müssen, damit weibliches Verhalten möglich ist.