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Wer bremst hier?

Die Sicherheitstechnik gehört zu den Erfolgsgeschichten der Autobranche. Zum Beispiel ESP: Die schwedische Straßenbehörde hält das "Elektronische Stabilitäts-Programm" für so lebensrettend, dass sie es zur Pflicht machte. ESP, der Bremsassistent ABS und Airbags sind preisgünstig geworden, weil sie sich so massenhaft verbreitet haben und heute selbst im billigen Kleinwagen als Standard zu finden sind.

Von Maximilian Schönherr | 13.09.2009
    "Unfälle passieren immer dann, wenn der Fahrer überfordert ist."

    "Der Mensch ist sehr sehr guter Entscheider."

    "Diese Systeme greifen oft sehr sehr kurz vor dem Unfall ein."

    "Sie geraten ins Schleudern, können es nicht mehr beherrschen."

    "Brems’ ich, oder weich’ ich aus?"

    "Da haben wir schon sehr effektive Systeme wie ABS und ESP."

    "Weich’ ich dem Kind aus, oder fahr’ ich in den Gegenverkehr, oder brems’ ich?"

    "Die Frage ist: Müssen Sie einen Fußgänger überhaupt erkennen?"

    "Der andere Unfallschwerpunkt passiert, wenn der Fahrer unterfordert ist."

    "Fahr ich das Wildschwein übern Haufen?"

    "Das kann nur der Mensch entscheiden, kein System."

    "Lange monotone Autofahrten, wie Sie ins Dösen geraten."

    "Im Extremfall sogar einschlafen."

    "Und wenn Sie in solchen Situationen den Autopilot einschalten und sich quasi entspannen können, regenerieren können, dann wird das auch zur Sicherheit beitragen."


    Das Auto, in dem Sie gerade über die Autobahn fahren oder das vor Ihrer Tür parkt, könnte viel leichter sein, deutlich weniger Sprit brauchen und Kohlendioxid in die Luft blasen – aber es ist voll gepumpt mit vielen Kilos Technik, die nicht dem Transport dienen, sondern ausschließlich der Sicherheit:

    - die Rückhaltesysteme (auch Sicherheitsgurte genannt)
    - die Knautschzonen hinten und vorn
    - die Airbags vorn, an den Seiten und am Kopf
    - das automatische Bremssystem ABS
    - das elektronische Stabilitätsprogram ESP

    Der Sicherheitsgurt ist uralt. Er wurde in Deutschland 1976 Pflicht – gegen heftige Widerstände aus der Bevölkerung. Fast jedes neu zugelassene Auto hat heute ESP eingebaut, wogegen es keinerlei Widerstand gab – allen Unfallstatistiken zufolge ist ESP der größte Lebensretter auf den Straßen. Diese Mischung aus Sensortechnik, Elektronik und Informatik hält Fahrzeuge so erfolgreich auf ihrer Bahn, dass ESP in den USA ab 2011 Pflicht wird und die schwedische Regierung nur noch ESP-bestückte Dienstwagen einkauft. ESP ist ein System komplexer Elektronik, aber völlig unauffällig. Meistens lauert es still im Hintergrund. Aber es greift ungefragt und innerhalb von Millisekunden ein, wenn der Wagen droht, wegzurutschen oder umzukippen. In diesen Millisekunden hat der Fahrer noch gar nicht wahrgenommen, in welchen Schwierigkeiten er eigentlich steckt. ESP weiß es längst und handelt.

    Der Erfolg des elektronischen Stabilitätsprogramms hat die Autohersteller beflügelt, hat sie erfinderisch und mutig gemacht, den elektronischen Weg weiter zu gehen. Jetzt, zehn Jahre nach der Einführung von ESP, steht ein sicherheitstechnischer Sprung an, der das Fahren verändern wird. Er deutet sich bereits in den Spitzenmodellen einiger Hersteller an. Es geht um Techniken, mit denen das Fahrzeug autonome Entscheidungen treffen soll, die bisher der Fahrer trifft. Bevor wir völlig in die Zukunft eintauchen, in der das Fahren weitgehend autonom stattfinden wird, sehen wir uns zunächst an, was man jetzt schon an Spitzentechnik kaufen kann. Wir machen eine Spritztour mit einem voll ausgestatteten nagelneuen VW Passat. Am Steuer sitzt einer, der für vieles hier Verbautes verantwortlich ist, der Leiter der Konzernforschung bei VW, Jürgen Leohold.


    "Wir fahren mal Richtung Königslutter. Ich habe gerade die radargestützte automatische Distanzregelung aktiviert. Sie sehen hier im Display, dass das Radar in meiner Fahrbahn vor mir ein Ziel erkannt hat, dem wir jetzt folgen."

    "Wie viele Sensoren blicken da gerade nach vorn?"

    "Ein Sensor, ein Radarsensor, der bis zu 200 Meter Reichweite hat."

    "Und bei Regen?"

    "Gerade der Radarsensor hat den Vorteil, dass er durch Regen überhaupt nicht beeinflusst wird. Jetzt passiert hier etwas Interessantes…"

    "eine Auffahrt…"

    "… und wie meistens schert jemand einfach vor uns ein. Der wird erkannt, und ich bremse jetzt sauber auf den ein, ohne dass ich mit dem Fuß irgendetwas machen muss."

    "Sie haben also jetzt nicht gebremst?"

    "Ich habe nicht gebremst. Was ich jetzt gleich noch demonstrieren kann: Wir folgen ja die ganze Zeit dem LKW. Den will ich jetzt überholen und fahre einfach etwas gedankenlos nach links rüber, ohne den Blinker zu setzen. Was Sie nicht spüren, ich aber schon, ist, dass das Lenkrad versucht, mich immer wieder nach rechts zu ziehen."

    "Darf ich das mal selber probieren?"

    "Ja, vorsichtig."

    "Ich ziehe das Lenkrad ganz sanft nach links. Und, ja, ich spüre eine leichte Kraft…"

    "..ein Drehmoment, das Sie wieder in die Fahrbahn zurückzieht. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass das Auto irgendetwas mit Ihnen macht, was Sie nicht wollen, wenn Sie nach links rüber wollen."

    "Welche Kamera sieht denn, dass wir über die Streifen fahren?"

    "Die Kamera ist in diesem Kunststoffteil oberhalb des Innenspiegels untergebracht. Sie hat eine relativ breite Abdeckung, guckt nicht so weit nach vorne, deckt also eher den Nahbereich ab. Dadurch unterscheidet sie sich vom Radarsensor. Mittelfristig werden wir diese beiden Sensoren nehmen, um, wie der Techniker sagt, ihre Signale zu fusionieren und damit ein noch exakteres Abbild aus der Kombination der beiden Sensorsignale zu erzeugen. Sie brauchen da relativ viel Rechenpower, also leistungsfähige Computer, um es hier im Fahrzeug in Echtzeit auszurechnen."

    "So, jetzt versuch’ ich’s mal bei dem LKW, auf den mal etwas knapper drauf zuzufahren."

    "Wir sind also auf der linken Fahrspur, rechts ist ein LKW, wir nähern ihm uns drastisch an…"

    "…und der Wagen macht eine Fast-Vollbremsung, perfekt. Sie haben nicht auf die Bremse gedrückt?"

    "Ich bin auf die Bremse getreten, denn ganz aktiv verzögern tut er nicht. Aber sie haben eindeutig den Warnton hören können, erst einen Ruck, dann den Warnton, und das war der Hinweis des Systems, dass jetzt eine wesentlich stärkere Bremsung verlangt wird, die wir noch nicht automatisch durchführen. In dem Moment hab ich mit dem Fuß eingegriffen und uns fast zum Stehen gebracht."

    "Herr Herrmann, geht’s Ihnen gut?"

    "Wunderbar!"

    "Ja, das ist eine Sache, die eigentlich keinen Spaß macht."

    "Nein, das sollte man auf öffentlichen Straßen im normalen Verkehr auch nicht häufiger machen."

    Der Mann auf dem Rücksitz ist ein Pressesprecher Technik von VW, Harthmuth Hoffmann, etwas blass im Gesicht.

    Noch mal langsam, was da gerade passiert ist: Technikchef Jürgen Leohold fährt auf der linken Fahrspur der Autobahn mit 130. Schräg rechts vor ihm jetzt ein langsam fahrender LKW. Leohold tut so, als sei er unkonzentriert, wechselt rasch die Spur nach rechts und schießt mit 130 auf den vielleicht mit 80 km/h fahrenden LKW zu. Der Radarsensor meldet den drastisch abnehmenden Abstand, der Bordcomputer erkennt die Gefahr, setzt einen Alarmton frei und zieht kurz und heftig die Bremsen an, lässt sie sofort wieder los. Durch den Warnton und den Bremsruck würde jeder dösende Autofahrer aufwachen und handeln. Jürgen Leohold steigt jetzt mit voller Kraft auf die vorgeschärfte Bremse und vermeidet den Auffahrunfall.

    Daimler geht mit der neuen Mercedes S-Klasse einen Schritt weiter und bremst nicht nur vor, sondern legt eine autonome Vollbremsung hin. Aber erst, wenn es definitiv zu spät ist. Warum erst, wenn es sowieso zu spät ist? Diese Fragen beantwortet Markus Fach, Experte bei Daimler für Aktive Sicherheit. Ich traf ihn auf der internationalen Konferenz für Autosicherheit ESV in Stuttgart:

    "Wir könnten diese autonome Vollbremsung auch zwei Sekunden früher auslösen. Dann würden wir es noch schaffen, vor dem Fahrzeug stehen zu bleiben, dann gäbe es keinen Unfall. Aber wir tun das deswegen nicht, weil wir dann nicht feststellen können, dass wir zweifelsfrei jeden Fahrerwunsch respektieren können. Wenn wir erst einmal eine Vollbremsung ausgelöst haben, sitzt der Fahrer voll verzögert im Gurt, und wir können dann nicht mehr von ihm erwarten, dass er korrekt ausweicht, lenkt oder was auch immer. Also, so eine Vollbremsung können Sie nur auslösen, wenn Sie sicher sind, Sie werden jetzt den Crash erleben.

    Und dann wiederum haben wir uns getraut, den Fahrer aus der Verantwortung herauszunehmen, weil wir sagen: Wenn der Crash ohnehin unvermeidlich ist, dann schadet es auch nichts, wenn wir jetzt noch bremsen. Wir haben ihn ja schon optisch und akustisch und mit einer Teilbremsung gewarnt. Wenn er dann immer noch nichts macht, dann müssen wir davon ausgehen, dass er gar nicht wach ist, oder dass er so abgelenkt ist, dass wir ihn jetzt aus der Verantwortung rausnehmen müssen – ähnlich wie beim Airbag."

    "Aber wenn sich Ihre Systeme fünf Sekunden vorher sicher wären, dass er in fünf Sekunden auf dieses Auto auffahren wird, warum greift das System dann nicht ein?"

    "Sie haben schon recht: Wir wissen schon fünf Sekunden vorher, dass er auf so ein Hindernis zufährt. Fünf Sekunden vorher kann der Fahrer ja noch selber bremsen! Er kann sogar noch bis 0,6 Sekunden vor dem Aufprall ausweichen, wenn er nur schnell genug lenkt. Das würde bedeuten: Bis 0,6 Sekunden kann er noch ausweichen und den Unfall vermeiden. Das heißt, bis dahin können wir niemals 100prozentig gewiss sein, dass er drauf fährt. Aber wenn diese 0,6 Sekunden vorbei sind, dann wissen wir, jetzt fährt er drauf. Selbst mit hartem Ausweichen schafft er es nicht mehr; er wird hängen bleiben. Dann erst sagen wir: Jetzt ist der Unfall unvermeidlich."

    Daimler nennt dieses, nur in seinen Spitzenmodellen erhältliche Sicherheitspaket "Pre-Safe II", also "vorausschauendes Sicherheitssystem II". Toyota und andere Hersteller bieten Ähnliches an, nennen es aber anders. Bei Toyota heißt es "Pre-Crash Safety System". Die massiven Eingriffe ins Fahrverhalten setzen eine sehr zuverlässige Technik voraus. Und hier ist alles teuer:

    - teure Radarsensoren
    - teure Rechner, die die Signale der Sensoren in Echtzeit verarbeiten
    - teure Software, die nicht abstürzt, wenn zum Beispiel gleichzeitig auch noch Fensterheber und Airbags Wünsche anmelden
    - teure Aktoren; das sind die kleinen Motoren, die die einschneidenden Vorgänge letztlich ausführen

    Schon heute finden sich in einem Mittelklassewagen einige 1000 Euro Sicherheitstechnik. Manche sprechen von 4000 Euro. Die neuen Pre-Crash-Pakete würden alle Kosten sprengen und wären auch den Käufern von Luxuswagen nicht zumutbar. Die Hersteller testen jetzt die Akzeptanz jetzt bei den teuren Autos aus, schielen aber natürlich auf die Massenproduktion.

    Jürgen Häring entwickelt Pre-Crash-Systeme bei Bosch in Stuttgart, und zwar billig für den Massenmarkt. Wie geht das? Indem man sich von der letzten Sekunde zurückmogelt, wo alles noch nicht so kritisch ist. Häring:

    "Die Strategie, die wir für das Niedrigpreissegment verfolgen ist, dass wir sehr sehr früh eingreifen…"

    "…statt sehr kurz vor dem Unfall?"

    "Also, wir reden nicht von der letzten Sekunde, sondern wir wollen deutlich früher eingreifen. Die Idee ist: Der Fahrer hat dann ausreichend Zeit, die Situation zu beurteilen und bremsend oder ausweichend einzugreifen, wobei der dann unterstützt wird. Die Hauptlast der Interpretation liegt nicht auf dem Sensor; es ist nicht der Sensor, der die Bremse auslöst, sondern der Fahrer bekommt einen Hinweis: Achtung, es wird gefährlich! Und er muss selber bestätigen. Und das senkt die Kritikalität der Funktion. Das heißt, Ihr Auto bremst nicht mehr selbst, wenn es schief geht, sondern es bremst erst dann, wenn der Fahrer bestätigt, dass es wirklich kritisch ist."

    Warum bremst, beschleunigt, lenkt der Wagen eigentlich nicht ganz selbständig, nicht nur vor dem Zusammenstoß, auch beim normalen Fahren? Markus Fach von Daimler über diese Zukunftstechnik, die keine Zukunftstechnik ist, sondern Stand der Technik, bloß – verboten:

    "Das autonome Fahren würde ja bedeuten, das Auto fährt selbständig. Der Fahrer ist dann nur noch Passagier oder muss nur noch eingreifen, wenn eine Entscheidung notwendig oder unabdingbar ist. Es ist ganz interessant, die Entwicklung dieser Systeme zu beobachten: Sie sind heute auf einem technischen Stand, dass sie zu gut sind, um sie in den Markt zu bringen. Also wir können Ihnen heute ohne Probleme ein System darstellen, welches das Fahrzeug über lange Strecken hinweg optimal in der Fahrspurmitte hält, sofern gute Fahrbahnmarkierungen vorhanden sind. Wenn Sie das dann mit einer Distronic, die den Abstand zum voraus fahrenden Fahrzeug regelt, kombinieren, dann wäre ja bereits heute der Zustand erreicht, dass der Fahrer denkt: Endlich, prima, ich schalt’ das Ding ein, meine Cruise Control, und kann dann nach hinten gehen und Kaffee machen.

    Die große Herausforderung ist jetzt, ein System zu bringen, das diese Funktionalität bietet, also den Fahrer unterstützt, ohne dass er aber tatsächlich auf die Idee kommt, sich zurückzulehnen und die Zeitung zu lesen. Das heißt, wir müssen jetzt die Regelungen, wie wir sie kennen, schlechter machen, sodass der Fahrer beispielsweise nicht mehr in der Fahrspurmitte gehalten wird, sondern wie ein Billardball zwischen den Linien hin- und herpendelt, sodass er am Ende des Tages vielleicht denkt: Was ist denn das für ein blödes System, aber auf keinen Fall auf die Idee kommt, das Lenkrad loszulassen und seiner Frau zu sagen: Mensch, ist das nicht endlich mal eine gute Erfindung!

    Es ist schade: Wir haben jetzt schon versucht, bestimmte Bereiche des Fahrens herauszufinden, wo wir in gewissen Teilbereichen ein gefahrloses autonomes Fahren ermöglichen, etwa Stau-Folgefahrten bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten. Kennt ja jeder: Wir fahren mit Stop and Go auf der Autobahn mit zwischen null und zehn km/h, und eigentlich geht es nur darum, immer rechtzeitig anzufahren und dem Vordermann hinterherzufahren und den Nachbarn nicht zu touchieren. In so einer Situation könnte man sich schon vorstellen, dass man da tatsächlich voll-autonom fährt. Allerdings müssen wir dann noch den Gesetzgeber überzeugen."

    Die Autoindustrie steht bei den Verkehrsministerien der EU, der USA, Koreas und Japans Schlange, Gesetzesänderungen zu bewirken, die mehr Fahr-Autonomie zulassen. Andre Seeck leitet die Abteilung Fahrzeugtechnik bei der dem Verkehrsministerium unterstellten Bundesanstalt für Straßenwesen, BASt. Er nennt als Grundlage für heutiges Autozuständigkeitsrecht das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr:

    "Dies ist eine völkerrechtliche Vereinbarung zwischen über 100 Vertragspartnern von 1968, die im Prinzip gemacht worden ist, um grenzüberschreitenden Verkehr zu erlauben, dass ich also mit meinem Fahrzeug von dem Land A in das Land B fahren kann. Und eine der ganz wesentlichen Aussagen in diesem Übereinkommen ist, dass der Fahrer eben immer in der Verantwortung sein muss. Und basierend auf diesem Wiener Übereinkommen von 1968 ist auch unser Straßenverkehrsrecht entwickelt worden. Das heißt, wenn wir ganz grundsätzlich die Frage stellen, ist es aufgrund unserer technologischen Möglichkeiten heute überhaupt noch richtig, dass der Fahrer immer in allen Umständen im Regelkreis sein muss und nur unter ganz extremen Ausnahmen das Fahrzeug alleine notbremsen darf, nämlich dann, wenn es garantiert zum Unfall kommt und keine zweite Option mehr da ist, auszuweichen, da warten wir eigentlich sehr lange, bevor wir die Notbremse ziehen – können wir das in Zukunft überhaupt noch so durchhalten, oder ist die Technologie nicht so weit fortgeschritten, dass wir die Basis, dieses Völkerrecht ändern müssten und dann logischerweise auch die nationalen Rechte, die darauf basieren? Das ist eine Frage, mit der wir uns beschäftigen und die wir mit allen relevanten Stellen diskutieren."

    "Sie wollen einerseits natürlich nicht mit Fußgängern kollidieren."

    "Sie wollen aber auch nicht mit Mülltonnen kollidieren."

    "Routineentscheidungen"

    "Die Frage ist also, brauchen wir das überhaupt unterscheiden?"

    "Das Routinegeschäft, das macht er nicht gut."

    "Also, im Verhältnis zu einer Maschine."

    "Das ist eine menschliche Schwäche."

    "Ein Servomotor, der sitzt vorne am Lenkgetriebe."

    "Mit dem gleichen Aktor betreiben wir unsere Forschungsfahrzeuge."

    "Und können damit sogar vollautomatisch fahren."

    Der Erfolg der neuen Lenk- und Bremssysteme hängt damit zusammen, dass die Fahrzeugelektronik ihre Fühler weit nach außen streckt. Bisher hat nur der Fahrer geguckt, jetzt unterstützen ihn Kameras. Die Radarsensoren liefern sehr präzise Abbildungen fester Gegenstände – Bäume, parkende Autos, Mülltonnen, Leitplanken, und zwar bei jedem Wetter. Videokameras funktionieren dagegen nur bei gutem Wetter, sehen nicht in die Tiefe des Raums, dafür lösen sie Details viel feiner auf, erkennen Farben und Muster, also auch Verkehrsschilder. VW will in den nächsten Modellen vorne Stereokameras einbauen, die eine dreidimensionale Ansicht der Welt liefern. Volvo setzt auf die Kombination eines Radarsensors mit Videokameras, um im innerstädtischen Verkehr Fußgänger zu erkennen und den Wagen abzubremsen, wenn ein Kind auf die Fahrbahn springt. Auch der schwedische Wagen könnte natürlich vollbremsen, muss aber aus rechtlichen Gründen dem Fahrer die letzte Entscheidung lassen. Volvo verkauft das System mit dem Argument, der Aufprall mit 20 sei wesentlich milder als der mit 30 km/h.

    Es gibt Forschungsfahrzeuge, die ganz ohne Fahrer zurechtkommen und sich dabei sogar an die Verkehrsregeln halten und rechts vor links beachten. Diese Autos treten bei einem Wettbewerb namens "Urban Challenge" gegeneinander an, bei dem VW mit einem hochgerüsteten Passat Platz 2 einnahm. Der zentrale Sensor war dabei ein "Lidar", also ein Laser, der ein dreidimensionales Bild der Umwelt errechnet, und zwar in einer viel höheren Auflösung als Radar. Dass man die Laserscanner noch nicht in der Serienproduktion einsetzt, liegt nach Einschätzung des VW-Entwicklungs-Chefs am Preis. Der Lidar beim "Urban Challenge" stammte aus dem Militär und kostet um die 70.000 Euro.

    Im Moment haben die Softwareprogrammierer ein ganz anderes Problem: Die Sensoren denken alle für sich allein. Ihre ganze Stärke werden sie aber erst entfalten, wenn man ihre verschiedenen Sichten auf die Welt miteinander verbindet. Der Programmieraufwand für die Sensorfusion ist hoch und teuer.

    Unbeeindruckt von Wirtschaftskrise und Absatzproblemen bei Luxuslimousinen stehen die Autobauer kurz vor der Einführung eines Sensors der metaphysischen Art: die Auto-zu-Auto und Umwelt-zu-Auto-Kommunikation. Da spricht ein Straßenschild zur Bremse eines Autos, da meldet das Bordnetz eines Autos an alle dahinter fahrenden Wägen, dass hier ein Stau beginnt und die anderen vor und nicht nach der nächsten Kurve schon mal dezent bremsen sollen. Andre Seeck von der Bundesanstalt für Straßenwesen spricht hier von einer "Luftschnittstelle", weil keine Kabel mehr im Spiel sind:

    "Durch Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation oder durch Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation kann ich nicht nur 100 Meter weiter schauen, sondern fünf oder zehn Kilometer, was natürlich für die Entscheidungen, die da ablaufen, eine große Hilfe ist.

    Das Auto ist aber eben selbst ein Netzwerk. Und dann müssen natürlich ‚Security’-Maßnahmen eingerichtet werden, dass eben nicht durch das falsche Empfangen von Informationen Dinge in meinem Fahrzeug ausgelöst werden, die ich gar nicht will. Da kann man sich Hacker vorstellen, die bestimmte Dinge in die Fahrzeugflotte bringen. Die Bedrohungsszenarien reichen dann sogar bis zum Terrorismus."

    Einen Standard für das System in seiner ersten Phase erarbeitet gerade das "Car2Car Communication Consortium" für die Europäische Union. In dieser Arbeitsgruppe sind alle großen Autohersteller und Autoelektronikentwickler, sowie einige Forschungsinstitute und Universitäten. Im Prinzip geht in dieser ersten Phase der Auto-zu-Auto-Vernetzung es um ein drahtloses Internet, also WLAN, nur mit einigen Besonderheiten. Weil es zeitkritische Informationen von Wagen zu Wagen überträgt, muss es schneller und sicherer sein als das normale drahtlose DSL-Hausnetz. Jedes Fahrzeug wird dann zum Empfänger und zum Sender. So können Informationen, etwa über einen Unfall an der übernächsten Kreuzung, fast in Echtzeit von Wagen zu Wagen zu Wagen wandern und schon Fahrer vorwarnen, die noch weit entfernt sind. Andre Seeck von der BASt sieht große Chancen in dieser Luftschnittstelle, aber er warnt vor Übergriffen auf die Bordnetze der Autos:

    "Und zwar beißen sich hier Security und Datenschutz. Bei Security muss ich immer sicher sein, dass der, der hier sendet, auch wirklich integer ist, dass der das auch darf. Um das sicherzustellen, muss ich ihn identifizieren können. Auf der anderen Seite wollen wir aber nicht identifiziert werden, wenn wir durch die Lande fahren, dass irgendeiner, Big Brother, immer weiß, wo ich bin. Das heißt, diese beiden wichtigen gesellschaftlichen Ziele – Schutz der Elektronik, mit dem ganzen Sicherheitsgewinn auf der einen Seite, und auf der anderen Seite der Datenschutz – das steht im Widerspruch, und das Problem müssen wir lösen."

    "Hände vom Lenkrad, Hände vom Lenkrad!"

    "Das heißt, ich schalte das System ein, meine Cruise Control."

    "Kann nach hinten gehen, einen Kaffee machen."

    "Ist dort überhaupt ein Objekt, oder hat mein Sensor einen Geist gemessen?"

    "Was ist dort los?"

    Bei der größten internationalen Konferenz für Autosicherheit, die diesmal im Juni in Stuttgart stattfand, stellte Daimler sein Pre-Safe-II-System, wie es sich sozusagen von innen anfühlt, auf einer Bühne vor. Man konnte sich in einen vorn und hinten abgesägten Mercedes hineinsetzen, anschnallen, die Türe schließen und wurde dann wie bei der Kirmes hin und her geschoben, gedreht, heftiger gedreht, ja geschleudert. Einmal einfach so, und dann mit dem zusätzlichen Sicherheitspaket: Dabei stellt sich in Bruchteilen einer Sekunde die Nackenstütze auf, der Sicherheitsgurt strafft sich etwas, der Sitz bläst sich auf und packt den Fahrer ein, die Zündzeitpunkte der Airbags werden vorverlegt. Entwickelt hat dieses Vorführmodell, bei dem man eine kritische Fahrsituation direkt im Cockpit spüren kann, Pierre-Luigi Delmonte von der Abteilung für passive Sicherheit bei Daimler:

    "Strafft sich der Gurt jetzt in diesem Wagen? Das ist eine Viertel S-Klasse."

    "Ja, er strafft sich. Wir fahren hier einmal mit Pre-Save-Funktionalitäten, da merkt der Proband, dass sich der Gurt strafft. Das ist jetzt gerade passiert."

    "Und vorher ohne?"

    "Vorher ohne."

    "Jetzt dreht sich das Ding um 90 Grad. Was probieren wir jetzt aus?"

    "Jetzt machen wir eine Schleudersituation. Da wird gezeigt, dass, wenn wir ohne Pre-Save fahren, tatsächlich Oberkörperverlagerungen stattfinden. Mit Pre-Save wird der Oberkörper richtig fixiert. Der Multicontoursitz wird aufgeblasen, die Beckenfixierung findet statt, sodass die Person wirklich im Fahrzeug gehalten wird. Das Schlimmste, was passieren kann, ist ja, dass bei der Person eine Eigendynamik beim Crash stattfindet. Da werden unkontrollierte Kräfte frei."

    Die Elektronik hat mit ESP ihren Siegeszug angetreten und ist nicht mehr aufzuhalten. Nach einigen Rückschlägen in den 90er Jahren, als Airbags an Ampeln explodierten und Bordcomputer abstürzten, nur weil die Tochter hinten Gameboy spielte, sind neue Testverfahren entwickelt worden, die solches Chaos ausschließen wollen. Die Ökobilanz dieser Fahrzeuge wird nicht besser. Mit seinen inzwischen 65 Steuergeräten kann ein S-Klasse-Mercedes kein graziles Leichtgewicht sein. In den neuen Hybrid-, Brennstoffzellen- und Elektroautos werden Akkus eingebaut sein, die die Fahrzeuge noch schwerer machen. Die Akkus müssen zudem gekühlt werden, ummantelt, damit sie beim Crash nicht auslaufen oder explodieren. Dazu kommt Elektronik, die die hochvoltigen Elektroantriebe sicherheitstechnisch in den Griff bekommen muss. Denn ein gegen den Baum gefahrenes Elektroauto kann für die Rettungskräfte tödlich sein, wenn sie es nur berühren. Auch wenn die Autohersteller argumentieren, dass ihr Hybridwagen deutlich unter die demnächst vorgeschriebenen 120 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer kommt, und ein Fahrzeug, das autonom bremst, lenkt und Gas gibt, spritsparender fährt, als es selbst der beste Fahrer könnte: Umweltfreundliches Fahren und Sicherheit widersprechen sich. Hält das – und der hohe Preis – die Autonomie auf? Andre Seeck:

    "Also wenn Sie mich persönlich fragen, bin ich ganz sicher, dass wir in der Zukunft teilautonom und vielleicht irgendwann auch vollautonom fahren. Die Frage ist natürlich dann irgendwann, wem ich die Haftung zuweise, wenn etwas passiert? Das steht ja dahinter. Wir haben eine Haftpflicht-Versicherung, die der Gesetzgeber eingeführt hat, weil so ein Auto eben eine gefährliche Sache ist. Wenn jetzt der Fahrer nicht mehr in der Verantwortung ist, dann trifft es zunächst einmal den Halter, aber ob das in letzter Konsequenz der Richtige ist, müsste man diskutieren. Und wenn es nicht der Halter ist, dann müssten wir diskutieren, wer ist es denn, wenn so ein System einmal versagt hat? Ich persönlich glaube aber, dass solche Systeme wesentlich weniger Fehler machen als die Menschen."

    Als wir bei unserer Probefahrt auf der Autobahn wieder nach Wolfsburg zurückkamen, wollte es sich der Leiter der Konzernentwicklung bei VW nicht nehmen lassen, den Passat automatisch einzuparken. Und zwar vollautomatisch. Der Wagen sucht sich mit einem Radarsensor eine Lücke, misst sie aus, sagt: passt. Eine Videokamera im Kofferraum sieht sich die Welt hinter dem Fahrzeug an. Fahrer und Passagiere können dann Däumchen drehen, bis der Parkautomat sagt: Ich bin fertig!

    "So, jetzt hat er die Lücke erkannt. Ich darf anhalten. Er zeigt mir, dass ich dort einparken könnte."

    Lenkeingriff aktiv. Umfeld beachten!

    "Ich lege jetzt den Rückwärtsgang ein. Bei allen heutigen Systemen bleibt die Verantwortung immer beim Fahrer. Sie sehen, die Rückfahrkamera ist jetzt automatisch angegangen. Ich nehme die Hände vom Lenkrad, habe den Fuß noch auf der Bremse und löse jetzt die Bremse. Und das Fahrzeug läuft rückwärts. Jetzt passiert das Spannende: Er lenkt automatisch in die Parklücke rein."

    "Das Lenkrad hat sich um 180 Grad, fast 360 Grad gedreht und dreht sich wieder zurück. Eine Frau am Straßenrand guckt sehr skeptisch. Wir parken vorn mäßig eng ein."

    "Ja. Jetzt zieht er gerade. Wie weit er fährt, obliegt jetzt mir. Ich könnte jetzt rückwärts weiterfahren bis zu dem Fahrzeug dahinter. Das Spannende ist eben, dass das die erste Funktion ist, wo das Auto wirklich automatisch lenkt."

    "Ich finde es beeindruckend, ja."

    "Perfekt eingeparkt."