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"Wer derzeit bremst, sind die großen Energieunternehmen"

"Jede Verzögerung, die Atomkraftwerke abzuschalten, ist in Wahrheit politisch motiviert und hat nichts mit technologischen oder ökonomischen Gründen zu tun", sagt Niklas Schinerl, Energieexperte bei Greenpeace. Die Bundesregierung solle die Energiewende nicht "krank jammern", sondern vorantreiben.

Niklas Schinerl im Gespräch mit Gerd Breker | 18.07.2012
    Gerd Breker: Bundesumweltminister Peter Altmaier – das in Sachen Umweltpolitik selbst ernannte Greenhorn – hatte am Wochenende das Erreichen zentraler Ziele bei der Energiewende in Zweifel gezogen. Er stellte insbesondere die geplante Senkung des Stromverbrauchs um zehn Prozent bis zum Jahre 2020 und die Zielvorgaben bei der Elektromobilität in Frage. Auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler relativierte die Energiewende mit Blick auf die Kostenentwicklung: Strom müsse bezahlbar bleiben. Die Bundesregierung hatte im Sommer 2011 in Folge der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima die Energiewende beschlossen, die unter anderem den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022 vorsieht. War das ernst gemeint, oder war das einfach nur so eine Idee?

    Am Telefon begrüße ich den Energieexperten von Greenpeace Deutschland, Niklas Schinerl. Guten Tag, Herr Schinerl.

    Niklas Schinerl: Guten Tag.

    Breker: Es war ja 2011 eine schnelle Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel, nach Fukushima den Ausstieg aus der Atomenergie und damit die sogenannte Energiewende durchzusetzen. Blicken wir zurück, was seither eigentlich geschah. War es nur eine Ankündigung, oder ist tatsächlich etwas geschehen?

    Schinerl: Na ja, es ist ja so, dass der Atomausstieg eigentlich seit zehn, zwölf Jahren schon beschlossene Sache ist und dass hier eigentlich nur die Laufzeitverlängerung ein kleiner Rückschlag in der Frage war. Das heißt, es ist jetzt keine kurzfristige Entscheidung, sondern eigentlich etwas, was sich seit einem Jahrzehnt angekündigt hat.

    Breker: Allerdings von Angela Merkel war es schon eine sehr kurzfristige Entscheidung, denn sie war ja vorher gegen einen Ausstieg.

    Schinerl: Das ist richtig. Aber sie hat natürlich auch gesehen, was in Japan passiert, wenn selbst ein hoch technologisiertes Land wie Japan eine Reaktorkatastrophe nicht unter Kontrolle bringen kann. Dann hat Deutschland dieselben Gefahren bei einem Reaktorunfall in Deutschland, und das hat sie gesehen. Man muss sagen, die Energiewende ist eines der größten Infrastrukturprojekte der letzten Jahrzehnte. Deutschland stellt hier das gesamte Energiesystem auf erneuerbare Energien um in den nächsten Jahrzehnten. Das ist etwas, was natürlich zu Schwierigkeiten führt, wo es natürlich am Anfang ein bisschen holpert und holtert. Aber es ist jetzt derzeit der Fall, dass die Regierung schon bei den ersten Startschwierigkeiten versucht, die Energiewende krank zu jammern, statt das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen und die Energiewende entscheidend voranzutreiben.

    Breker: Aber ist denn überhaupt schon irgendwas geschehen, Herr Schinerl?

    Schinerl: Es ist sehr viel geschehen. Es hat die Bevölkerung diese Energiewende mit großer Mehrheit angenommen. Man muss ja draußen sehen, was draußen passiert. Es gibt inzwischen eine Million – das muss man sich mal vorstellen – PV-Anlagen auf den Dächern, mit denen Solarstrom derzeit erzeugt wird. Vor wenigen Jahren haben wir noch von hunderttausend Dächerprogrammen gesprochen, jetzt haben wir eine Million kleiner Fotovoltaik-Anlagen da draußen. Das sind aber jetzt nicht die großen Unternehmer, das sind jetzt nicht Vattenfall, RWE und Co., sondern das sind Genossenschaften, das sind Stadtwerke, das sind die Bürgerinnen und Bürger, die diese Energiewende angenommen haben und entscheidend vorantreiben. Wer bremst derzeit, sind die großen Energieunternehmen, die die Energiewende lange verschlafen haben und jetzt langsam darauf kommen, dass sie hier mitspielen könnten, und das ist etwas, was vom Wirtschaftsministerium auch unterstützt wird, da dies ja auch die Energiewende derzeit wieder bremst.

    Breker: Nicht nur die großen Energieerzeuger bremsen. Die schnelle Entscheidung der Energiewende, die Angela Merkel vorangetrieben hat, hat offenbar nicht jeden aus der schwarz-gelben Koalition vom Saulus zum Paulus werden lassen, viele hängen noch an der Atomenergie.

    Schinerl: Ja. Also ich sehe das nicht so, wie mancher CDU-Politiker das heute in den Morgensendungen schon gesagt hat. Ich sehe das so, dass die Energiewende kommen wird. Die Frage ist, wann sie kommt und wie schnell sie kommt. Es ist eine Frage des Zeitraums und nicht mehr eine Frage des ob. Ich glaube, es ist klar, steht außer Zweifel, dass alle Studien belegen, dass ökonomisch die Energiewende machbar ist, genauso wie sie physikalisch oder technologisch machbar ist, und dass es jetzt nur darum geht, diese Energiewende zu koordinieren, und diese Aufgabe liegt bei der Bundesregierung und sie hat das Zepter in der Hand. Derzeit legt sie aber die Hand in den Schoß und jammert darüber, dass keiner was macht und dass keiner koordiniert, und das ist jetzt eine sehr unnachvollziehbare Positionierung derzeit.

    Breker: Einer der Gedanken, die in diesem Zusammenhang jetzt aufkommen ist, die Wende, die Energiewende zu strecken über 2022 hinaus. Wäre das eigentlich so schlimm aus Ihrer Sicht, Herr Schinerl?

    Schinerl: Wenn man die Energiewende jetzt weiter hinauszögert, dann hat man - - Also es gibt keinen Grund, die Energiewende weiter hinauszuzögern, weil die Kapazitäten mit erneuerbaren Energien jederzeit aufzubauen sind. Das wird ja auch derzeit gemacht. Es scheitert ja nicht daran, dass wir nicht genug Strom produzieren. Es scheitert ja ein bisschen an der Koordination derzeit. Es wird natürlich bei so einem großen Infrastrukturprojekt immer wieder gewisse Probleme geben. Das sind aber, wenn man das ganze große Bild betrachtet, kleinere Probleme. Wir haben einen sehr großen Ausbau von Fotovoltaik derzeit, auf der anderen Seite ein bisschen zu wenig bei den Offshore-Windparks, aber das ist etwas, was man alles unter Kontrolle kriegen kann, wenn man das ausreichend koordiniert. Der Ausbau der Kapazitäten, der ist völlig ausreichend. Jede Verzögerung, die Atomkraftwerke abzuschalten, ist in Wahrheit politisch motiviert und hat nichts mit technologischen oder ökonomischen Gründen zu tun.

    Breker: Wind und Sonne unterliegen Schwankungen. Das Problem der Grundlast hängt dann an der Frage der Energiespeicherung, und da muss man auch zugeben, dass es da noch keine wirklich überzeugende Lösung gibt. Oder sehen Sie doch welche?

    Schinerl: Ja da könnte man auch die Frage stellen, warum hier nicht ausreichend geforscht und nicht ausreichend entwickelt wird. Es gibt verschiedene Lösungsansätze. Man kann natürlich jetzt immer sagen, die Pumpspeicherkraftwerke, die wir derzeit als einzige Lösung haben, sind nicht ausreichend. Man muss aber für neue Technologien offen sein. Neue Technologien könnten Wasserstoffspeicher sein, genauso wie es auch die sogenannte Windgasmethode ist, mit der aus Windkraft Gas als Speichertechnologie benutzt wird, wo die ganze Infrastruktur in Wahrheit in ganz Deutschland über das Gasnetz bereits zur Verfügung gestellt wird. Wenn man in diese Sachen investiert, dann wären wir da schon einige Schritte weiter, aber auch hier fehlen die Investitionen und dann sagt man, es passiert wenig. Das ist halt einfach eine Kopf-in-den-Sand-steck-Positionierung.

    Breker: Verstehe ich Sie da richtig, Herr Schinerl, Sie finden, dass die Bundesregierung gar keinen Masterplan hat, nach dem die Energiewende wirklich funktionieren könnte?

    Schinerl: Nein. Ich glaube, dass derzeit von vielen Bundesländern viele Sachen gleichzeitig passieren und dass die Koordination derzeit noch nicht ausreichend ist. Das hat auch zur Folge, dass manche Sachen schneller laufen und andere Sachen zu langsam laufen. Aber die Energiewende an sich ist auf einem guten Weg. Also die ersten Schritte sind schon ganz gut gelaufen und ich glaube, man muss einfach nur an diesem Kurs festhalten, weil die Energiewende wird viele Vorteile mit sich bringen. Wenn wir heute darüber diskutieren, dass die Strompreise beispielsweise steigen, dann wird gerade vom Wirtschaftsministerium, aber auch von führenden CDU-Politikern inzwischen ja so getan, als wäre die Energiewende schuld daran, einzig und allein die Energiewende Schuld daran, dass die Strompreise steigen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Mittelfristig wird die einzige Möglichkeit sein, die Strompreise zu stabilisieren, indem man auf erneuerbare Energieträger setzt, weil die Strompreissteigerung hängt ja nicht an der Energiewende, sondern daran, dass die fossilen Rohstoffe, auf denen die Stromerzeugung basiert, ständig im Steigen begriffen sind: der Erdölpreis, der Gaspreis etc. Daran hängt ja in Wahrheit der Strompreis. Und wenn man sich das jetzt anschaut, in den letzten zehn Jahren ist der Strompreis um rund die Hälfte gestiegen, und der höchste Preis des Stroms war zu einer Zeit, als alle Atomkraftwerke noch gelaufen sind, wenn man sich jetzt so herstellt und so tut, als wäre die Energiewende schuld an diesen Preissteigerungen, einzig und allein die Energiewende, dann zeugt das entweder von Unwissenheit oder von bewusster politischer Polemik.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Energieexperte von Greenpeace, Niklas Schinerl. Herr Schinerl, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Schinerl: Gerne. Dankeschön. – Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.