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"Wer diesen freiwilligen Wehrdienst macht, soll eben auch bevorzugt werden"

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will die Bundeswehr reformieren und stößt in den eigenen Reihen auf Kritik. Der SPD-Landesvorsitzende Kurt Beck freut sich, dass mit der freiwilligen Wehrdienstregelung die Idee seiner Partei umgesetzt wird. Dagegen gibt es bei der Rente mit 67 noch Diskussionsbedarf.

Kurt Beck im Gespräch mit Stefan Heinlein | 16.08.2010
    Stefan Heinlein: Nicht nur der Bundesgesundheitsminister war fleißig in diesen Urlaubswochen; auch der Bundesverteidigungsminister nutzte die parlamentarische Sommerpause, um ein heißes Eisen anzupacken. Verkleinerung der Bundeswehr und Aussetzung der Wehrpflicht, das ist der Kern der Reformvorschläge von Karl-Theodor zu Guttenberg zur Reform der Truppe. Der liberale Koalitionspartner ist begeistert, doch CDU und CSU sind eher zurückhaltend. Nur wenige aus der Union wagen sich bislang aus der Deckung, um die Truppenpläne des Verteidigungsministers zu bewerten. Auch in der SPD gibt es noch keine einheitliche Sprachregelung, und darüber möchte ich jetzt reden mit dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD). Guten Morgen, Herr Beck.

    Kurt Beck: Schönen guten Morgen.

    Heinlein: Herr Beck, wird es Zeit für die SPD, Minister zu Guttenberg für seine Reformpläne zu loben?

    Beck: Zunächst einmal muss er natürlich veröffentlichen, was er wirklich vorhat, denn die bisherigen Signale waren ja nicht gerade aus Verlässlichkeit, sie waren mal so und mal so. Aber wenn es so sein sollte, dass es hinsichtlich der Wehrpflichtreform in die Richtung geht wie veröffentlicht, also mit einer freiwilligen Wehrdienstregelung, dann ist das die Idee der SPD und dann freue ich mich, wenn er unsere Ideen umsetzt.

    Heinlein: Hat der Minister also bei der SPD abgeschrieben?

    Beck: Ach, darum geht es mir überhaupt nicht. Aber es ist ohne Zweifel so, dass in einer Arbeitsgruppe, der ich vorgestanden habe, dieser Gedanke erarbeitet worden ist und dass ich ihn auch präzisiert habe, wie kürzlich in der Bundeswehrzeitschrift auch veröffentlicht.

    Heinlein: Freiwillige Wehrpflicht, Sie haben es gerade selber gesagt. Ist das nicht ein Widerspruch an sich?

    Beck: Nein! Deshalb nicht, weil wir ausdrücklich bei der Musterung bleiben wollen, damit die Wehrpflicht nicht aus dem Grundgesetz nehmen. Niemand kann die Verteidigungs- oder Sicherheitslage von morgen oder übermorgen beurteilen. Auf der anderen Seite sollen also alle, die in der Lage sind zu dienen, die jungen Männer, gemustert werden. Sie sollen aber dann aufgeklärt werden, es soll informiert werden, dass sie eben nach unserer Überlegung mindestens neun, aber auch bis zu 15 oder 18 Monate dienen können. Dafür sollen Anreize geschaffen werden mit höherem Wehrsold und mit Qualifikationsangeboten, und wer diesen freiwilligen Wehrdienst macht, soll nach unserer Idee eben auch bevorzugt in den öffentlichen Dienst eingestellt werden, er soll die Zeiten auf mögliche Wartefristen für die Hochschule angerechnet bekommen und er soll in vielfältige Qualifikationsstufen zertifiziert werden. Ich sage jetzt mal, der Automechaniker mit einem Zertifikat, das für Hydraulik dort bei der Bundeswehr erworben werden kann und, und, und. Und wir wollen, dass dann da freiwillig und ohne Pflichtmusterung jungen Damen dann ein entsprechender Dienst angeboten wird.

    Heinlein: Ein freiwilliger Wehrdienst zwischen neun und 18 Monaten, das ist ja noch eine recht große Zeitspanne, die Sie sich da vorstellen können. Halten Sie denn die Zahl von 7500 freiwilligen Wehrpflichtigen für ausreichend, oder müssen es mehr sein nach Ihren Vorstellungen?

    Beck: Ich glaube, das ist eine Zahl, die wir nach Möglichkeit überschreiten sollten, denn die Bundeswehr mit ihrem jetzigen Auftrag hat natürlich vielfältige Funktionen, die von Wehrpflichtigen sehr gut ausgeübt werden können, wenn sie gut ausgebildet sind. Und zum Zweiten: Wir wollen natürlich, dass das auch ein Einstieg sein kann für diejenigen, die sich vorstellen können, Berufs- oder Zeitsoldat zu werden.

    Heinlein: Tun Sie mir den Gefallen und nennen Sie eine Zahl?

    Beck: Das möchte ich nicht. Das muss man, glaube ich, herausfinden. Da muss man sich annähern. Aber ich glaube, dass wir durchaus in einer Größenordnung von 10.000 und vielleicht etwas darüber anstreben sollten.

    Heinlein: Dann reden wir noch über eine andere Zahl, Herr Beck. Reicht denn der geplante künftige Umfang der Bundeswehr von rund 170.000 Soldaten aus zur Erfüllung aller notwendigen Aufgaben, die ja die Bundeswehr hat?

    Beck: Da habe ich größte Bedenken. Da muss man sagen, da gibt es ja ganz unterschiedliche Zahlen. Dauernd werden andere genannt. Es gibt ja diese Idee, die ich für völlig falsch halte, dass man eine Konzentration der Bundeswehrstandorte vornimmt, denn die Dislozierung, also die an vielfältigen Standorten organisierte Unterbringung der Bundeswehr, das schafft Verbindungen auch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Das hilft, dass die Bundeswehr integriert ist in der Gesellschaft, und dort, wo es um zivilmilitärische Zusammenarbeit geht, ja auch eine Aufgabe, die die Länder und die Bundeswehr miteinander bestreiten, ist man vor Ort und kann helfen, wie wir es jetzt wieder bei den Flutkatastrophen erlebt haben, dass das notwendig ist.

    Heinlein: Aber wie soll das denn gehen, Verkleinerung der Bundeswehr und gleichzeitig Erhaltung der Standorte?

    Beck: Es müssen nicht alle Standorte erhalten werden, aber es sollte auch keine …

    Heinlein: Aber diejenigen in Rheinland-Pfalz!

    Beck: In Rheinland-Pfalz ist das nicht anders als anderswo und ich will da gar keine Extrawurst. Das ist nicht der Punkt. Aber es müssen Funktionalitäten bedacht werden. Wenn ich, um bei dem Beispiel Rheinland-Pfalz zu bleiben, eine Artillerieschule habe wie wir in Idar-Oberstein, dann muss natürlich ein Artillerie-Lehrregiment, das in der Nähe ist, auch bleiben, egal wie groß es ist, und das liegt in diesem Fall in Kusel. Also solche Funktionalitäten müssen bedacht werden. Das war bei dem ersten Vorschlag von Herrn zu Guttenberg überhaupt nicht der Fall und deshalb habe ich ihn kritisiert.

    Heinlein: Herr Beck, beim Thema Bundeswehr – das ist deutlich zu hören – wird die SPD durchaus einfach zu einer einheitlichen Position kommen, vielleicht auch in Übereinstimmung mit der Bundesregierung, wenn ich Sie richtig verstehe. Schwieriger ist derzeit für Ihre Partei das Thema Rente mit 67. Dort gehen die Meinungen ja recht kräftig auseinander. Droht Ihrer Partei, droht der SPD hier eine Zerreißprobe?

    Beck: Nein, das glaube ich nicht. Wir führen eine notwendige Diskussion, denn im geltenden Gesetz steht, dass bevor diese ersten Schritte zur Rente mit 67 beginnen die Arbeitsmarktlage zu prüfen ist. Das hat die Bundesregierung versucht zu schlampen, nach ihrer berühmten Methode, man tut so, als ob man regiert, aber in Wirklichkeit verdrängt man die Probleme. Also insoweit: darüber muss diskutiert werden. Jetzt geht es um die Frage, wie gehen wir vor. Ich glaube, dass es richtig ist, den Arbeitsmarkt mit in den Blick zu nehmen, was den Start der Verlängerung der Lebensarbeitszeit angeht. Aber mir ist es mindestens genauso wichtig, ja noch wichtiger, dass wir flexible Übergänge schaffen. Wir können eben die Leute, die in einem Unternehmen vollschichtig arbeiten, am Band arbeiten, in der Produktion arbeiten, oder die Schwester im Krankenhaus, oder den Arzt im OP-Saal, nicht genauso behandeln wie jemand, der relativ flexibel unter geschützten Verhältnissen in einem Büro eine kreative Tätigkeit macht. Da brauchen wir Differenzierungen und dazu sind wir dabei, Vorschläge zu entwickeln.

    Heinlein: Mit dieser Meinung, Herr Beck, unterstützen Sie Ihren Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und widersprechen Ihrem Fraktionsvorsitzenden Steinmeier, oder auch dem Altkanzler Gerhard Schröder, der sich an diesem Wochenende ja in dieser Richtung recht deutlich geäußert hat.

    Beck: Nein, ich widerspreche Frank-Walter Steinmeier nicht. Ich habe mit ihm darüber gesprochen und wir suchen einen Weg. Es geht nicht um ein "entweder oder", es geht nicht darum, dass wir der Demografie folgend auch in der Zukunft längere Lebensarbeitszeiten haben – die Menschen fangen später an, weil die Ausbildung länger dauert, und Gott sei Dank: Die meisten Menschen leben sehr viel länger als früher. Also insoweit ist ein solcher Weg richtig. Aber wir müssen die Realität des Lebens mit einbeziehen. Das ist auf der einen Seite der Arbeitsmarkt und auf der anderen Seite die völlig unterschiedliche Belastung von Menschen.

    Heinlein: Angesichts dieser demografischen Entwicklung, die Sie gerade angesprochen haben, Herr Beck, ist es da nicht falsch, streuen Sie den Menschen da nicht Sand in die Augen, wenn Sie sagen, wenn Sie zumindest in Aussicht stellen, die Rente mit 67 sei so oder so vielleicht doch noch zu verhindern?

    Beck: Nein, wir streuen keinen Sand in die Augen, sondern wir bilden die Realität ab. Denn wenn wir am Ende zwar eine solche Regelung haben und eine starre Frist mit 67, aber für einen Großteil der Menschen ist das gar nicht erreichbar, sie haben keine Chance dazu, dann wäre das wirklich den Leuten und der Rentenversicherung etwas vorgemacht, denn dann machen wir nur teuere Vorverrentungsregelungen, weil viele kaputt sind, und das kostet unendlich viel Geld, an Reha und an Untersuchungen, oder die Leute sind arbeitslos und kriegen dann hohe Abschläge von ihrer Rente. Ich habe gerade am gestrigen Tag mit einem hoch qualifizierten Facharbeiter gesprochen im Bereich der Mechanik. Der hat jetzt seinen Job verloren, weil die Firma verlagert hat. Der hat mir gesagt, ich bin jetzt 57 und sie können mir glauben, ich bemühe mich unendlich um neue Arbeit und versuche, mich vorzustellen et cetera und ich kann wirklich was, aber jeder sagt, mit 57 stellen wir dich nicht mehr ein. Diese Mentalitäten müssen verändert werden und die Veränderung der Demografie wird auch eine neue Chance bringen, um ältere Menschen wieder eine bessere Arbeitsmöglichkeit zu bieten, und das wollen wir angehen.

    Heinlein: Warum, Herr Beck, haben Sie denn als Regierungspartei diese Realitäten, die Sie jetzt gerade erwähnen, nicht erkannt?

    Beck: Sie wissen, dass ich auch schon damals gerungen habe um flexible Regelungen. Ich bin für mein Dachdeckerbeispiel verspottet worden. Aber das hilft ja jetzt nichts mehr, zurückzuschauen. Ich glaube, jetzt – und das hat man allerdings als Klausel in das Gesetz reingeschrieben – muss der Arbeitsmarkt überprüft werden und muss die Realität des Lebens mit auf den Tisch. Dann ist dieses prinzipielle Ziel richtig und notwendig, aber auch den Menschen angemessen.

    Heinlein: Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Beck: Gerne!

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