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Wer druckt Martin Walsers neuen Roman?

Es ist schon eigenartig, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer heutigen Ausgabe die Meinungen zu Martin Walsers angeblichen Skandalroman zusammenfasst. "Fast alle Feuilletons" hätten, so die FAZ wörtlich, den Roman "ablehnend" rezensiert. Die Redaktion stützt sich auf Zitate aus dem Spiegel, der Neuen Zürcher Zeitung und der Welt. Wie sich die Zeitung Zitate, die den eigenen politischen Kurs bestätigen, herausselektiert, grenzt an die redaktionelle Praxis von Zentralorganen à la Neues Deutschland weiland in der DDR. Dass es im deutschen Feuilleton sehr wohl differenzierte Meinungen über Walsers provokative Satire auf den deutschen Medienbetrieb gibt, verschweigt das Blatt.

Hajo Steinert | 03.06.2002
    Es stimmt, auch die Büchermarkt-Redaktion hält Walsers neuen Text nicht für ein literarisches Bravourstück. Der Roman hat allerdings, wenn er herauskommt und alle das Buch lesen können, wie jeder Roman, eine differenzierte Kritik verdient. Wenn Marcel Reich-Ranicki heute im Magazin FOCUS den Suhrkamp Verlag auffordert, den Roman nicht zu drucken, ist das gleichsam ein Aufruf zur Zensur. Wo kommen wir hin, wenn Kritiker bestimmen können, was gedruckt werden darf und was nicht. Und wer Walsers neuen Roman lesen darf und wer nicht. Die Literaturkritik begibt sich auf den Holzweg der Selbstüberschätzung, wenn sie - ohnehin im kulturellen Diskurs eine privilegierte Institution - sich selbst das Recht auf Lektüre zugesteht, nicht aber denen, die sich sehr wohl auch ihre eigene Meinung bilden wollen: Lesern und Buchkäufern. Mit aller Macht sammelt die FAZ Stimmen, die wie sie den Roman als ein antisemitisches Machwerk ausmacht.

    Antisemitisch indes, nur weil - in einer literarischen Satire ist das erlaubt - auf literarisch durchtriebene Weise auf antisemitischen Clichées angespielt wird, ist der Roman deshalb noch lange nicht. Der Suhrkamp Verlag befindet sich in diesen Stunden in einer Zerreißprobe. Wem soll er treu bleiben: Martin Walser oder jenen Autoren des Verlages, die im Falle einer Veröffentlichung des Manuskripts mit einem Austritt drohen? - Sollte Suhrkamp den Roman nicht drucken, so wäre dies die betrüblichste Form des Scheiterns in dieser ganzen peinlichen Angelegenheit. Sollten sich dieser Kurs durchsetzen, wäre das die größte Niederlage. Für den Suhrkamp Verlag. Für die literarische Kultur in Deutschland. Denn heraus kommt der Roman sowieso. Wenn nicht bei Suhrkamp, dann woanders. Die Konkurrenz sitzt schon in den Startlöchern.