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Wer ist der Schnellste im ganzen Land?

Es ist ein Kampf der Titanen: Der Rowohlt-Verlag hat sich juristisch mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" angelegt, weil das Blatt eine Sperrfrist nicht beachtete. Zu den Gesetzen des Marketings gehöre eben die Herrschaft über die Zeit, meint unser Autor.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 07.02.2009
    Schon gemerkt? Die Welt wird immer schneller. Jedenfalls die wahrnehmbare Welt, die Oberflächen-Welt, die Welt der Medien. Alles wird immer schneller berichtet, vergessen und von Neuem überlagert. Die Zeitungen wetteifern mit dem Fernsehen, das Fernsehen mit dem Radio und das Radio mit dem Internet.

    Am liebsten würden alle die Ereignisse schon melden, bevor sie stattgefunden haben. Das geht aber nur bei jenen Ereignissen, die bereits im Voraus feststehen wie zum Beispiel Jahrestage, Jubiläen und Kulturveranstaltungen. Eigentlich ist dieser Kalenderjournalismus eine öde Sache. Man ringt nicht mit dem Zufall, man kämpft nicht gegen die Uhr, sondern man kann alles schön gemächlich vorbereiten und dann am Tag X veröffentlichen.

    Aber von wegen! Auch am Tag X möchte eine Zeitung schneller sein als die andere und bringt deshalb den Artikel zu Darwins 200. Geburtstag ein, zwei Tage früher. Da können Radio und Fernsehen natürlich nicht abwarten und zusehen: Sie müssen ihre Darwin-Sendungen dann gleich eine Woche vorher ausstrahlen. Und so weiter. Die Termine tanzen. Zu Weihnachten wird schon Ostern geplant und zu Ostern Weihnachten. Statt über Premieren wird über Generalproben berichtet, und Buchrezensionen erscheinen lange vor den Büchern, weil die Kritiker bereits die Druckfahnen gelesen haben.

    Letzteres mögen die Buchverlage ganz und gar nicht. Sie befürchten, dass die Werbewirkung der Kritik verpufft, wenn das Buch noch nicht erhältlich ist. Deswegen gilt die Veröffentlichung von Buchbesprechungen vor dem Erstverkaufstag in der Branche als ausgesprochen unfein. Doch fein und unfein sind keine wirkungskräftigen Kategorien mehr, wenn der Datumswettlauf bei der Medien-Herde erst einmal begonnen hat. Da müssen dann schon andere Maßnahmen getroffen werden.

    So kommt es, dass neuerdings komplette Druckauflagen rund um die Uhr von Sicherheitsdiensten bewacht werden und Journalisten, die zum Beispiel über Harry Potter schreiben wollen, sich ganz hinten anstellen müssen. Oder, wie gerade im Fall von Daniel Kehlmanns Roman "Ruhm" geschehen: Es gibt zwar Rezensionsexemplare für die Presse, aber nur gegen eine schriftliche Verpflichtungserklärung, die Sperrfrist des Verlags zu respektieren. Andernfalls droht eine Vertragsstrafe von 250.000 Euro.

    Der "Spiegel" hat das zwar unterschrieben, sich dann aber nicht daran gehalten, und jetzt reichte der Rowohlt Verlag gegen das Magazin tatsächlich Klage ein. Mit angehaltenem Atem verfolgt die Branche, wie dieser Kampf der Titanen weitergeht, denn solche Entschlossenheit zur Konsequenz ist wahrhaftig ein Novum. Man geht sonst eher pfleglich miteinander um: Der Buchverlag braucht schließlich den Kritiker, und der Kritiker braucht eine kooperative Verlagspressestelle.

    Aber zu den Gesetzen des Marketings gehört die Herrschaft über die Zeit. Verkaufserfolg beruht auf gelungenem Aufmerksamkeitsmanagement; bei einer Bestsellerproduktion wie der Kehlmann-Drucksache kommt es geradezu höllisch auf die Steuerung des Medienechos an. Deswegen reagieren die Rowohlt-Strategen so panisch und wild.

    Doch wenn es wirklich zum Prozess kommt, wird es Bad Publicity regnen und die Strategen von gestern werden die Buhmänner von morgen sein. So ist das eben mit dem richtigen Augenblick, den die alten Griechen in Gestalt des Jünglings Kairos vergöttlichten: Er läuft ständig weg. Deswegen wird die Welt ja immer schneller.