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Wer sich erniedriget, der wird erhöhet werden

Der deutsche Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker Günter Grass hat in seinem 79. Lebensjahr preisgegeben, vor 62 Jahren der SS angehört zu haben, und nicht nur das Bekenntnis selbst, sondern auch die Umstände, unter denen es erfolgte, sind bemerkenswert skandalös.

Von Claudia Wolff | 15.08.2006
    Also ja, er hat es hin gekriegt, alle reden über ihn, täglich neue Meinungen, der noch und jener und die, schon können wirs nicht mehr hören, aber natürlich machen wir mit, und indem wir zugeben, dass wir Mitmacher sind gegen unsern intellektuellen Geschmack, verschaffen wir auch uns einen winzig kleinen Geständnis-Gewinn - winzig kleinen gemessen an dem gewaltigen, der dem zusteht, der in finsteren Zeiten jung war.

    Befragen wir das Neue Testament nach einer Interpretationshilfe, so empfiehlt sich Lukas 18, Zitat:

    " Denn wer sich selbst erhöhet, der wird erniedriget werden. Und wer sich selbst erniedriget, der wird erhöhet werden."

    Also ich glaube, das passt, er hat's darauf abgesehen, dass Erhöhung und Erniedrigung ineinsfallen.

    Ja, alle reden über ihn, kluges, dummes, gehässiges, belangloses Zeug durcheinander, das Abfragen der üblichen Instanzen, Giordano, Wolffsohn, Fest, Walter Jens usw., ach Jens! Von ihm wieder mal die berückendste Prosa, Zitat: "Ein Meister der Feder hält Einkehr und fragt sich: was hast du im langen Leben zu berichten vergessen." Ein Meister der Feder hält Einkehr: das schwingt kitschnah irgendwo zwischen Ernst Wiechert und Courths-Mahler. Davon abgesehen scheint Jens nicht zu kapieren, dass der Spätgesteher Grass nicht vom Vergessenhaben jetzt redet, sondern davon, dass er das Berichten eines Details bislang nicht gewagt oder ertragen hat.

    Also Zuspruch, Bewunderung hier, Entrüstung, Verachtung dort, deutschlandweit, europaweit, Ehrenbürgerschaften sollen überprüft, Preise aberkannt werden - und Zeitgenossen, die sich naiv stellen, fragen sich, ob er das alles vorausgesehen hat. Ja, liebe Leute, was denn sonst, er ist doch nicht blöd., er kennt den Betrieb. Wenn er etwas weniger Spektakel gewollt hätte, dann wäre in zwei Wochen das autobiographische Buch erschienen, die Rezensenten hätten die entsprechende Stelle gefunden, man hätte ihn gefragt, er hätte geantwortet. Aber ob es dann eine Bombe geworden wäre? Das weiß man halt wirklich nicht.

    Um eine Bombe zu zünden, die dann auch ganz sicher rechtzeitig vor Erscheinen des Buches hochgeht, muss man die Kumpanei mit einem wie Schirrmacher suchen, egal, was man sonst von dem hält, muss man sich auf zwei FAZ-Feuilleton-Seiten mit dem erfolgreichsten Kampagnen-Designer des deutschen Feuilletons durch ein längliches Gespräch wälzen, denn, wie es in Lukas 18 heißt, wer sich bei Schirrmacher erniedriget, dessen Auflage wird erhöhet werden, und wie es beim reichen BB heißt, erst kommt die Auflage, dann kommt die Scham - aber vielleicht kommt sie ja gar nicht, die Scham - DIE Scham nämlich angesichts einer Scham- Vorführung, die deshalb so im doppelten Wortsinn eitel wirkt, weil Günter Grass das entscheidende, unbedingt ehrenwerte Geständnis schon längst und oft genug abgelegt hatte - dass er ein jugendlicher Nazi war, der an den Endsieg glaubte und an die Realität der Verbrechen leider erst spät, beim Nürnberger Prozess. Die dröhnende Bekenntnis-Inszenierung, indem sie den einen Scham-Anlass enthüllt, beschweigt konsequent einen anderen: mehr als das kleine Schweigen könnte ihn die Erinnerung an manche seiner statuenhaften Groß-Reden quälen. Von solcher Qual spürt man nichts.

    Wieder nun wird es wohl so sein, dass das Interesse an der literarischen Qualität des neuen Buches kaum eine Rolle spielt, es verschwindet vermutlich hinterm dissonanten Moral-Geschrei. So geht das seit vielen Jahren, die Promotion der neueren Grass-Werke verdankt sich der Emphase, mit der gestritten wird über politische Tendenzen, angebliche Tabu-Brüche - die literarische Form kommt nicht in Betracht. Besonders drastisch zeigte das die Rezeption der Novelle "Im Krebsgang". Sie war in aller Munde, weil der große Linksmoralist, stellen Sie sich das vor, jetzt mal Deutsche als Opfer zeigte, nicht weniger als eine Epochenwende im Opfer-Diskurs musste da ausgerufen werden - und es schien ganz gleichgültig zu sein, dass der Schriftsteller Günter Grass hier eine so lächerlich unbeholfene Rollen-Prosa schrieb, eine so erbärmliche Konstruktion vorlegte, dass es wehtat, während die versammelte Literaturkritik, von ein, zwei Ausnahmen abgesehen, das literarische Debakel einträchtig beschwieg.

    Das neue Buch hab ich noch nicht gelesen, weiß also nicht, ob dessen Prosa es nötig hat, hinterm Debatten-Theater, hinter der Demuts-Inszenierung zu verschwinden.

    Zum Schluss , à propos Demut und als Ergänzung zu Lukas 18, noch ein Lieblingszitat, La Rochefoucauld, Maximen und Reflexionen, Nummer 254:

    " Die Demut ist oft nur eine erheuchelte Unterwürfigkeit, um sich andere zu unterwerfen. sie ist ein Kunstgriff des Stolzes, der sich erniedrigt, um sich zu erheben; und mag er sich auf tausend Arten verwandeln, nie ist er besser verkleidet und fähiger zu täuschen, als wenn er sich unter der Maske der Demut verbirgt."