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Wer wird für die Union als Kanzlerkandidat antreten?

07.01.2002
    Remme: Wir nehmen was kommt, wir schauen uns das in Ruhe an, wir haben sowieso keinen Einfluss darauf, so SPD-Generalsekretär Franz Müntefering in der ARD. Gemeint war die Frage, wer für die Union im Kampf gegen Gerhard Schröder, im Kampf um das Amt des Bundeskanzlers am 22. September antritt. Die Frage muss möglicherweise in dieser Woche entschieden werden, wenn nicht, dann in der darauffolgenden. Angela Merkel hat ihre Bereitschaft zu kandidieren erklärt, ebenso Edmund Stoiber. Heute beginnt die Tagung der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth, und am Ende der Woche ist eine Bundesvorstandsklausur der CDU in Magdeburg. Bei beiden Veranstaltungen wird diese Frage wohl im Mittelpunkt stehen. Am Telefon jetzt Warnfried Dettling, Publizist, ehemaliger Planungschef im Konrad-Adenauer-Haus. Herr Dettling, gibt es so eine Art selbstverständlichen ersten Zugriff des CDU-Parteichefs in dieser Frage?

    Dettling: Nun, ich denke, das ist rein formal betrachtet schon richtig: Wer CDU-Vorsitzender ist, wer dazu gewählt ist, der hat natürlich den Anspruch und er muss auch die Autorität haben, Kanzlerkandidat zu werden. Nur darf man natürlich nicht verwechseln, dass aus diesem formalen Anspruch nicht automatisch auch die innerparteiliche Macht und Zustimmung erwächst. Ich denke, es muss beides zusammenkommen, damit der Vorsitzende, die Vorsitzende auch Kanzlerkandidatin wird: formaler Anspruch und die innerparteiliche Zustimmung und Macht.

    Remme: Dieser Streit um die Kandidatur in der Union hat ja, zumindest für Oppositionszeiten, fast Tradition. Immer wieder wird an den Streit vor der Wahl 76 erinnert. Sie waren zu der Zeit im Konrad-Adenauer-Haus tätig. Kann man die Situation vergleichen?

    Dettling: Man kann die Situation vergleichen, und man kann sie auch wieder nicht vergleichen. 1976 hatte die CDU einen Vorsitzenden, der relativ jung im Amt war. Helmut Kohl wurde 1973 zum CDU-Vorsitzenden gewählt, und Helmut Kohl war auch als Kanzlerkandidat von der CSU bzw. vom damaligen CSU-Vorsitzenden Strauß sehr umstritten. Strauß hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich für den richtigen Kanzlerkandidaten, für den besseren gehalten hätte. Der große Unterschied war natürlich der, dass Helmut Kohl damals in der CDU unumstritten war, also Unterstützung von allen Landesverbänden und den Führungspolitikern hatte. Ein wichtiger Unterschied zu heute ist natürlich der, dass Helmut Kohl schon damals gezeigt hat, dass er Wahlen gewinnen kann. Er hatte gerade eine absolute Mehrheit der CDU in Rheinland-Pfalz, wo er Ministerpräsident war, hinter sich, also im Grunde war das schon eine andere Ausgangssituation. Und dann hatte Helmut Kohl einen Generalsekretär Kurt Biedenkopf auf der Höhe seines Ansehens, der öffentlich und sehr nachhaltig begründet hat, warum das Land jetzt einen Kanzler Kohl braucht, und warum er in der CDU der richtige Kanzlerkandidat ist. Nichts davon ist gegenwärtig in der CDU bei Laurenz Meier oder bei Angela Merkel zu sehen.

    Remme: Da blicken wir noch eine Wahl weiter. Franz Josef Strauß wurde 1980 Kandidat, verlor jedoch die Wahl, nach Meinung vieler auch, weil er von der CDU mangelhaft unterstützt wurde. Besteht diese Gefahr auch in dem Fall einer Kandidatur Stoibers?

    Dettling: Ich denke, dass der Unterschied zwischen Franz Josef Strauß 1980 und Edmund Stoiber 2002 ein sehr grundsätzlicher Unterschied ist. Das hat mehrere Dimensionen. Zum einen mobilisiert Edmund Stoiber nicht die Antileidenschaften in der gleichen Art und Weise, wie es Franz Josef Strauß getan hat. Damals hat ja der später im anderen Zusammenhang bekannte Herr Hombach einen sehr erfolgreichen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen unter dem Motto "Stoppt Strauß" geführt. Ein Wahlkampf "Stoppt Stoiber" wäre im Grunde nicht denkbar, er wäre komisch. Stoiber gilt als Rationaler, als Manager der Macht, als erfolgreicher Ministerpräsident. Hier kann man nicht die gleichen Emotionen dagegen mobilisieren. Zum Zweiten genießt Stoiber in der CDU und auch bei Wählern und Sympathisanten der CSU, wie sich bei Umfragen zeigt, doch ein sehr viel größeres Ansehen als damals Franz Josef Strauß. Franz Josef Strauß war doch auf ein Spektrum der Wählerschaft, eben das rechte Spektrum, konzentriert und dort auch isoliert, was bei Stoiber nicht der Fall ist, und ich glaube, dass er, so wie er Wahlkampf führt, durchaus die Chance hätte, auch in den neuen Bundesländern mehr zu gewinnen als viele ihm gegenwärtig zutrauen.

    Remme: Wenn es um die Entscheidung dieser Frage geht, auch in der Diskussion der vergangenen Wochen, dann hieß es immer wieder, irgendwann werden sich die beiden Vorsitzenden zusammensetzen, und man wird sich einigen. Und wenn man darüber hinaus fragte, was denn passiert, für den Fall, dass es nicht geschieht, sie sich nicht einigen, dann wurde es nebulös. Warum gibt es keine festen Regularien für eine Entscheidung dieser Frage in der Union?

    Dettling: Nun, es gibt keine festen Regularien, weil beide Parteien, CSU und CDU, eben unabhängige Parteien sind, und weil vor allem die CSU Wert darauf legt, dass sie eine selbständige Partei ist. Es gibt eine einzige Institution, nämlich die gemeinsame Bundestagsfraktion, in welcher CDU und CSU nach klar festgelegten Verfahren und Regeln zusammenarbeiten. Alles andere müsste jetzt völlig neu erfunden werden. Wenn man die Delegierten nimmt, dann kommt man zu dem Sachverhalt, dass die CSU auf ihren Parteitagen genau so viele Delegierte hat, bei viel weniger Mitgliedern, wie die CDU, also beide etwa Tausend. Da sagt dann die CDU, das ist ein ungleichmäßiger Sachverhalt, und wenn die beiden Präsidien miteinander ausmachen sollten, wie viele sollten jeweils kommen, dann sagen die einen, wir wären überstimmt, wenn die CDU mehr hat, und die anderen sagen, wir müssen paritätisch sein. Es führt nichts daran vorbei, wenn sich die beiden Vorsitzenden nicht einigen, und alles deutet darauf hin, es sei denn, dass die Landesvorsitzenden der CDU deutlich machen, dass Frau Merkel keine Unterstützung hat, und dass dann Frau Merkel gewissermaßen Herrn Stoiber die gemeinsame Kanzlerkandidatur anträgt, dann wird die Fraktion formal eine Empfehlung aussprechen und faktisch die Sache entscheiden.

    Remme: Dann kommen wir auf diesen letzten Punkt zu sprechen, denn es überrascht ja eigentlich nicht, dass die CSU ihren Kandidaten puscht, aber muss es nicht überraschen, wie wenig öffentliche Unterstützung Angela Merkel aus den eigenen Reihen, vor allem aus den Ländern erfährt?

    Dettling: Ja, das ist in der Tat die überraschende Wendung, die überraschende Entwicklung bei der ganzen Geschichte, dass es kaum wichtige Politiker gibt, die Frau Merkel öffentlich, mit guten Argumenten unterstützen und sagen, warum sie nun Kanzlerkandidatin werden muss. Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass Frau Merkel in den letzten knapp zwei Jahren doch viele wichtige Politiker, auch der CDU, enttäuscht hat. Sie hat in allen großen Reformfragen dieser Literaturperiode, also Rentenreform, Steuerreform und jetzt Zuwanderungsfrage, nie so richtig erkennen lassen, für welche inhaltliche Position sie steht, und wenn sie jetzt versucht zu formulieren, dass sie für die moderne CDU steht, für einen Kurs der Erneuerung, der auch Wechselwähler anspricht, dann kommt das eben für viele zu spät, und ich denke, gerade ein Ministerpräsident wie der Herr Müller im Saarland, der sich ja sehr exponiert hat, ist als Vorsitzender der Einwanderungskommission enttäuscht, dass er so wenig Unterstützung von der Vorsitzenden erfährt. Ich glaube, damit lässt sich das erklären, und das andere ist natürlich - da sollte man nicht drum herum reden -, dass von vielen Leuten in der CDU Frau Merkel als eine fremde Vorsitzende empfunden wird. Sie ist jung, sie ist protestantisch, sie kommt aus Ostdeutschland, sie kennt die CDU und ihr Innenleben noch nicht so intensiv wie jene, die 40, 50, 30 Jahre dabei sind, da kann sie auch nichts dafür, aber sie ist wie ein fremdes Implantat, das von der CDU nicht so richtig akzeptiert wurde. Sie hat große Verdienste - und das erkennen alle an -, da sie die CDU nach dieser schlimmen Spendenaffäre beruhigt hat, aber jetzt, wo die Sachen ernster werden, und wo es eben um die Macht geht, trauen eben viele dem erfahrenen Ministerpräsidenten von Bayern mehr zu als der jungen Vorsitzenden der CDU.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dettling.

    Link: Interview als RealAudio