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"Wer zahlt, der will auch mitreden"

Die G20-Länder wollen . Dadurch könnten weitere Rettungseinsätze in Europa unterstützt werden. Der Verlust von Einfluss in internationalen Gremien wäre jedoch der Preis, den Europa für die finanziellen Hilfen anderer Länder zahlen müsse, meint Thomas Straubhaar, Leiter des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts.

Thomas Straubhaar im Gespräch mit Birgid Becker | 18.06.2012
    Birgid Becker: Die deutsche Bundeskanzlerin hatte gestern noch die Wahl in Athen abgewartet und war erst nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse abgereist nach Mexiko zum G20-Treffen. Das Ergebnis der griechischen Parlamentswahl hat auch hier durchaus für Erleichterung gesorgt. Befürchtungen, die griechischen Wähler könnten sich für eine Regierung entscheiden, die gegen die internationalen Rettungshilfen ist und gegen die Sparauflagen, die wo möglich den Austritt ihres Landes aus der Eurozone erzwingen würde, solche Befürchtungen hatten das Treffen im Vorfeld überschattet. Dabei hätten sich die Gastgeber in Mexiko durchaus etwas weniger an Euro-Krise und etwas mehr an anderen Themen gewünscht.

    Mitgehört hat der Leiter des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Thomas Straubhaar. Guten Tag.

    Thomas Straubhaar: Guten Tag, Frau Becker.

    Becker: Herr Straubhaar, fangen wir mit dem Letztgehörten an: die Chinesen als Helfer in der Euro-Krise. Das war die Ankündigung vor Beginn des G20-Treffens in Mexiko, und das weist schon auf eine ganz besondere Situation hin. Ganz großes Drama in Griechenland in Folge der Wahl, das gab es nicht, aber die Lage dort und damit die Schuldenkrise ist um nichts kleiner geworden seit dem Wahlsonntag gestern, oder?

    Straubhaar: Das ist völlig richtig, dass eigentlich gestern Griechenland zwar gewählt hat, aber letztlich nichts entschieden worden ist. Die Unsicherheit bleibt, die Probleme Griechenlands bleiben, und es ist eine offene Frage, inwieweit gerade eine Regierung unter der Nea Dimokratia, die letztlich im letzten Jahrzehnt Griechenland die Suppe eingebrockt hat, die es nun auszulöffeln gilt, in der Lage sein wird, die institutionellen Reformen in Griechenland voranzutreiben, die notwendig sind.

    Becker: Und die andere Variante, wie bedauerlich ist es nun eigentlich, dass die Schuldenkrise absehbar das G20-Treffen dominieren wird? Wie viele wichtige Themen, wenn überhaupt, bleiben denn auf der Strecke?

    Straubhaar: Die Schuldenkrise in Europa ist natürlich längst ein globales Thema geworden, weil es ist ja nicht nur so, dass in Amerika dieses Jahr Wahlen stattfinden; es ist auch in China ein Wahljahr und in China steht die große Herausforderung bevor, eine weiche Landung von einem langen, langen Zeitraum starken Wachstums zu schaffen. Da braucht auch China die Weltwirtschaft insgesamt als stabilisierendes Element. Und hier ärgern sich ja auch die übrigen Weltregionen darüber, dass ausgerechnet die reichste Region der Welt es nicht schafft, sozusagen für diese Stabilität zu sorgen.

    Becker: Um noch einmal auf diese Ankündigung Chinas zu sprechen zu kommen, ja, man wolle helfen in der Schuldenkrise. Welche Hilfe kann das sein und welche Rolle können die Schwellenländer dann bei der Bewältigung der Schuldenkrise spielen?

    Straubhaar: Aus chinesischer Sicht, glaube ich, wäre es naiv zu glauben, dass jetzt China Europa jenes Geld zur Verfügung stellt, dass die Europäer selber den schwachen und überschuldeten südeuropäischen Ländern nicht geben wollen. Das wäre naiv zu glauben, dass hier China für Europa die Kohlen aus dem Feuer holt. Was aber China durchaus ein riesiges Interesse hat zu tun ist, dass im Moment ja viele, gerade auch griechische, südeuropäische Firmen oder auch andere europäische Firmen vergleichsweise günstig zu haben sind, deren Börsenkapitalwert ist nicht sehr hoch, und da könnte es für China in der Tat interessant sein, direkt zu investieren, diese Firmen zu kaufen, damit auch Kapital, was in China ja reichlich vorhanden ist, nach Europa zu bringen und so durchaus auch zu einer Stabilisierung in Europa beizutragen.

    Becker: Ist das dann Hilfe oder chinesischer Eigennutz?

    Straubhaar: Das wird auf jeden Fall primär chinesischer Eigennutz sein, weil auf diese Art und Weise China relativ kostengünstig und ganz legal dann auch zum Wissen, zum Know-how, zur Technologie dieser europäischen Firmen kommen kann und auf diese Art und Weise Lizenzen, Patente, Marken und andere wichtige Elemente für moderne innovative Produkte so billig erwerben kann.

    Becker: Und wenn nun die Schwellenländer helfen, welcher Preis muss dafür gezahlt werden? Heißt der Preis auch mehr Einfluss?

    Straubhaar: Auf jeden Fall. Ich denke, die Zeit ist vorbei, und das ist ja auch wichtig in dieser Euro-Krise, dass einzelne europäische Länder so ein dominantes Gewicht haben. Sie sind immer noch in allen internationalen Gremien relativ überrepräsentiert, und das wollen die Schwellenländer schon alleine deswegen ändern, weil erstmals jetzt in der Nachkriegsgeschichte, nach dem Zweiten Weltkrieg, eben nicht eine Zeit sozusagen des unbegrenzten wirtschaftlichen Wachstums vor uns steht, sondern erstmals kriegt ja dieses wirtschaftliche Wachstum durchaus einen wichtigen Knick, und damit werden Verteilungsfragen viel, viel wichtiger werden, als sie die letzten 30, 40 Jahre gewesen sind, als das Wachstum alle mehr oder weniger nach oben gehoben hat. Diese Verteilungsfragen, das wird wichtiger, und da wollen die Länder, die im Emerging Market, im aufholenden Markt, in den Schwellenländern sind, mitreden.

    Becker: Und dann gab es ja noch so eine optimistische Botschaft im Vorfeld des Treffens, die kam vom mexikanischen Staatspräsidenten Felipe Calderón. Der sagte, dass die G20 wohl diesmal Rekordsummen für den IWF hervorbringen würden, mehr noch als die bereits eingegangenen Zusagen in Höhe von 430 Milliarden Dollar. Dadurch könnte natürlich der IWF weitere Rettungseinsätze in Europa stärker unterstützen. Aber was wäre die Gegenleistung, wieder wie von Ihnen erwähnt mehr Einfluss?

    Straubhaar: Absolut, und ich denke, das ist ja in der Tat durchaus ein Punkt, der aus europäischer Sicht positiv zu bewerten ist, dass die übrigen Weltregionen, die ja durchaus im Entwicklungsstand zurückliegen, dennoch bereit sind, der höchst entwickelten Weltregion, Europa, eben finanziell zu helfen, indirekt über den Internationalen Währungsfonds, und das zeigt eben, dass hier diese Verantwortung von den anderen Ländern gesehen wird. Aber es wird auch dort gelten, wer zahlt, der will auch mitreden, mitbefehlen, und das ist dann der Preis, den Europa dafür zu bezahlen hat, dass es in diesen internationalen Gremien weniger Einfluss haben wird.

    Becker: Blicken wir noch mal zurück auf Griechenland. Sie haben bereits kritisiert, dass jetzt mit der Nea Dimokratia und vielleicht noch der PASOK als beteiligter Regierungspartei wieder die alten Kräfte an der Macht sind – die Kräfte, die Griechenland ja über Jahrzehnte hinweg in die Krise hineingeritten haben. Man muss wohl schon sehr verzweifelt sein in Europa, wenn man sich darüber freut, oder?

    Straubhaar: Das sehe ich genauso. Ich denke, das ist wirklich eine Ironie der Geschichte, jetzt das Heft wieder in jene Hände zu legen, die es nicht geschafft haben, Macht abzugeben, die eigentlich letztlich die Zeit, zu der sie in der Regierung waren, dafür genutzt haben, vor allem ihre eigenen Interessen, ihre eigene Macht zu mehren. Dass ausgerechnet diese Hände jetzt es schaffen sollten, in der schwersten Zeit des Nachkriegs-Griechenlands diese institutionellen Reformen auf den Weg zu bringen, das ist in der Tat eine Erwartung, die aus meiner Sicht noch keinesfalls dann auch tatsächlich erfüllt werden wird.

    Becker: Vielen Dank – Thomas Straubhaar war das, der Leiter des HWWI, Wirtschaftsprofessor an der Universität Hamburg. Einen schönen Tag!

    Straubhaar: Gerne geschehen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.