Donnerstag, 25. April 2024

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"Werbemelder*in" gegen Sexismus
"Die #MeToo-Debatte hat uns sehr geholfen"

Nach knapp 100 Tagen "Werbemelder*in" zählt die Organisation Pinkstinks rund 700 Hinweise auf sexismusverdächtige Werbung in Deutschland. Chefin Stevie Schmiedel sagte im Dlf, oft komme diese Werbung aus kleineren Betrieben. Die seien aber in vielen Fällen sofort einsichtig, wenn man sie anrufe.

Stevie Schmiedel im Corsogespräch mit Juliane Reil | 12.01.2018
    Über ein Plakat, dasss eine Frau in Dessous zeigt steht mit schwarzer Sprühfarbe "Sexismus" geschrieben.
    Nicht jede sexualisierende Werbung sei automatisch sexistisch, sagt Stevie Schmiedel von Pinkstinks. Als Beispiel nannte sie Dessous-Werbung. (imago/Steinach)
    Juliane Reil: "If all I was was black, don't you wanna know me more than that" - das ist eine Zeile aus dem gerade gehörten Song von Mavis Staples, die damit sagt: Reduzier' mich nicht darauf, schwarz zu sein. Werbung reduziert ja auch gerne mal: Frauen zum Beispiel werden oft genug sexualisiert dargestellt. Mit tiefem Dekolleté und Schlafzimmerblick verkaufen sich Bohrmaschinen, Autos und Kosmetik besser, meint die Werbe-Industrie. Die feministische Protestorganisation "Pinkstinks" setzt sich dagegen zur Wehr. Und zwar mithilfe einer App, die seit knapp 100 Tagen im Einsatz ist. Ausgestattet mit einer Meldefunktion und einer Deutschlandkarte kann jeder Werbung damit melden, die sexistisch oder einfach stereotyp ist.
    Stevie Schmiedel ist Initiatorin von "Pinkstinks" und mitverantwortlich für das Projekt. 100 Tage läuft jetzt fast diese Aktion. Was für eine Bilanz ziehen Sie bis jetzt?
    Stevie Schmiedel: Wir sind komplett überrascht, wie viele Leute diese App benutzen und uns Werbung einsenden. Wir haben bestimmt schon 1.000 Einsendungen erhalten, davon natürlich auch viele gedoppelt. Aber ungefähr 700 Pins davon sind schon auf der Karte gelandet.
    Reil: 700 Pins, okay. Und was wird da gemeldet?
    Schmiedel: Es wird manchmal auch Werbung gemeldet, die wir nicht als sexistisch einstufen. Das ist dann Werbung, in der Frauen lediglich sexualisiert sind, was für Dessous oder BHs oder andere Mode eben ganz gängig ist und was nicht unbedingt moniert werden muss. Und dann gibt es auch oft Werbung, wo wir noch nicht genau wissen, wo eigentlich das Anstößige zu finden ist. Das ist aber nur ein ganz kleiner Prozentteil.
    80 Prozent der Werbung ist ganz klar sexistisch. Da ist die halb nackte Frau neben den Autoreifen, dem Hundefutter, den Angelhaken. Nennen Sie mir irgendein Produkt und es gibt die halb nackte Frau dazu. Leider. Oft in mittelständischen Betrieben, oft in kleineren Unternehmen. Zu 99 Prozent sind es Unternehmen, die nicht über die großen Agenturen ihre Werbung gestalten lassen.
    Baugewerbe, Kfz-Werkstätten, Internet
    Reil: Kann man denn da auch sehen, in welchen Bereichen Werbung tatsächlich so eingesetzt wird?
    Schmiedel: Es ist eigentlich am ehesten im Baugewerbe. Dort finden wir es ganz häufig. Dazu gehören auch Zäune, Zaunpfähle - mit dem Slogan "Wie ramm' ich ihn rein?", mit einer sexualisierten Frau daneben. Es ist unfassbar. Und sehr viel ist diese Werbung auf Pkw und Lkw zu sehen, auf Handzetteln, bei Internetwerbung sehr stark und auf den kleinen Plakaten, die Kfz-Werkstätten zum Beispiel benutzen, um sich selbst zu bewerben.
    Schmiedel: Auf der Deutschlandkarte, zeichnen sich da Strukturen ab, wo sexistische Werbung besonders stark vertreten ist?
    Schmiedel: Wir finden diese Werbung eher nicht in den Großstädten, es sei denn, die Handzettel sind dorthin gekommen. Diesen Sexismus finden wir eher im Ländlichen, im Internet vor allen Dingen auch. Überall dort, wo Werbung schnell am PC selbst gemacht wird. Die schnelle Idee: "Komm, wir nehmen eine nackte Frau und packen einen Spruch dazu, haha, dann wird schon auf uns aufmerksam gemacht."
    Reil: Wie erklären Sie sich das?
    Schmiedel: Wir merken, dass die großen Agenturen über die letzten Jahre stark sensibilisiert worden sind. Wir hatten die große Debatte zur Gesetzesnorm gegen Sexismus in der Werbung, die Heiko Maas vorangetrieben hatte - 2016 durch uns angestoßen. Obwohl die nicht durchgekommen ist, war doch, glaube ich, der große Schock in der Branche, also bei den großen Agenturen: Es könnte wirklich ein Gesetz geben, das Werbung reguliert. Und seitdem haben wir kaum ein Plakat gefunden von den großen Unternehmen, von den großen Agenturen, das wir monieren mussten.
    Ganz selten noch war vielleicht in einem U-Bahn-Schacht ein Bild zu sehen, das wir über Nacht abhängen konnten durch einen Shitstorm im Internet. Aber im Großen und Ganzen hat sich da ganz viel getan. Während die Kleinunternehmen noch nicht einmal wissen, wer der Deutsche Werberat ist oder dass es überhaupt Regeln gibt für Werbung.
    Reil: Jetzt haben Sie gerade schon vom Shitstorm gesprochen, der ausgelöst wurde. Aber ich frage jetzt noch einmal: Ich rege mich jetzt meinetwegen über eine Werbung auf und melde das bei Ihnen. Was bringt das genau, außer Bestätigung für mich, die ja eigentlich schon für das Thema sensibilisiert ist?
    "Denen ist gar nicht bewusst, dass das Sexismus ist"
    Schmiedel: Was es bringt, ist, dass es erst mal auf einer Karte sichtbar ist. Das heißt: Auch andere Menschen, vielleicht auch Journalisten oder die Presse, schauen auf diese Karte und sagen: Meine Güte, das ist ja ganz schön viel. Das Nächste ist, dass wir das online stellen auf Facebook. Viele, viele Menschen teilen das. Wir sind eine große Community auf Facebook, und auch so wird Aufmerksamkeit und Presse generiert für das Problem. Oft zieht dann auch ein Unternehmen die Werbung zurück. Oder wir rufen dieses Unternehmen persönlich an und sprechen mit den Menschen. Denen ist gar nicht bewusst, dass das Sexismus ist, die finden das interessant, mit uns zu reden und lassen sich auch gerne beraten, verändern die Werbung auch oft hinterher. Andere verschließen sich ganz, möchten gar nicht ins Gespräch kommen oder verleugnen sich. Es ist ganz interessant, was wir da gerade für Erfahrungen sammeln.
    Reil: Denken Sie denn, dass in Zeiten von #MeToo und Gender-Debatte, dass wir auch einfach sensibler gegenüber Sexismus geworden sind?
    Schmiedel: Ich glaube, dass die #MeToo-Debatte uns sehr geholfen hat, Menschen zu ermutigen, Werbung zu melden oder generell auch dieses Gefühl zuzulassen, "Mich stört das", in einer Zeit, in der Frauen Angst haben, als feministisch, als stark, als zickig wahrgenommen zu werden. Wir kriegen auch täglich den Vorwurf, wir wären humorbefreit und untervögelt. Es ist natürlich schwierig, sich da zur Wehr zu setzen. Ich denke, #MeToo hat geholfen, Leuten die Energie zu geben, zu sagen: Ich setze mich jetzt einfach mal zur Wehr.
    Reil: Auf der anderen Seite gibt es ja auch Kritik, durchaus von Frauen, an #MeToo. Zum Beispiel Catherine Deneuve hat sich auch dazu gemeldet und hat diese Kampagne #MeToo als eine "Kampagne der Denunziation" bezeichnet und gewarnt vor einem, ich zitiere, "Klima einer totalitären Gesellschaft". Was sagen Sie dazu?
    Schmiedel: Wir bekommen diese Vorwürfe auch. "Die Werbemelder*in", der wird gerne vorgeworfen wir wären die neue Stasi. Dabei kann man schon lange Werbung melden, und zwar beim Werberat. Und gerade im Feminismus ist es gerade schwierig für Frauen mit anderen stark zu werden und laut zu werden gegen Übergriffe. Denn der Vorwurf, "stellt euch doch nicht so an, ihr habt es doch schon gut, ihr seid doch gleichberechtigt", den kennen wir alle von klein auf. Das ist nicht immer leicht.
    Parallelen zum H&M-Skandal
    Reil: H&M hat ja auch gerade so ein paar Probleme. Eine Werbekampagne, bei der die Schweden einen dunkelhäutigen Jungen im Kapuzenpullover zeigen, und die Aufschrift dieses Pullovers ist "coolest monkey in the jungle", also "coolster Affe im Dschungel" - da hat man ordentlich danebengegriffen. Sexismus und Rassismus sind ja nun nicht so unähnlich. Was denken Sie, wie kommt es dazu, dass H&M, ein Unternehmen, das sich ja liberal gibt, progressiv ist, sich so einen Fehltritt leistet?
    Schmiedel: H&M ist ja eigentlich ein Unternehmen, abgesehen von den Produktionsbedingungen, die schon versuchen, in der Werbung vieles zu verändern: stärkere Mädchen zu zeigen, mal eine Diversity-Kampagne zu starten, in der Transmenschen, Homosexualität, alles Mögliche gezeigt wird. Das heißt: Da muss eine Agentur unterwegs gewesen sein oder ein Teil einer Agentur, die gesagt haben: Ach, ich mach das mal schnell. Ohne nachzudenken. Und das sollte heute eigentlich nicht mehr vorkommen. Wir sollten eigentlich so sensibilisiert sein für Rassismus und Sexismus, dass wir ein ganz natürliches Empfinden für diese Grenzen haben. Da ist noch ganz viel zu tun an den Schulen, in den Medien. Da muss noch viel mehr berichtet und informiert werden.
    Ich denke, dass wir gerade mit #MeToo jetzt anfangen, mehr darüber zu sprechen. Und es ist interessant, wie viele Menschen sagen: "Mensch, ich habe noch nie darüber nachgedacht." Und ich denke, noch ein paar Jahre und vielleicht haben wir dann auf dem Land, wo wir diese Menge von Sexismus wahrnehmen, dann auch schon ein Umdenken.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.