Donnerstag, 25. April 2024

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Werefkin und Jawlensky im Lenbachhaus München
Die malenden "Lebensmenschen"

Er expressiv, sie eher melancholisch, beide aber sehr modern: Alexej Jawlensky und Marianne Werefkin malen intensiv farbig. Beide zählen zu den wichtigen Vertretern des Expressionismus. Als Künstler standen sie sich sehr nah, im Leben fand das ungleiche Paar nicht zusammen und trennte sich.

Von Christian Gampert | 26.10.2019
Das Bild "Wäscherinnen" von Marianne von Werefkin im Lenbachaus München.
Marianne von Werefkin "Wäscherinnen" (Lenbachaus)
Gabriele Münter hat sie in einem dieser heißen Sommer gemalt, 1909 auf einer Wiese bei Murnau: Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin lagern da mehr neben- als beieinander vor blauem Himmel, als grob konturierte Figuren mit Sommerhüten, aber ohne Gesicht. Ob die beiden füreinander tatsächlich "Lebensmenschen" im Thomas Bernhardschen Sinne waren, wie der Ausstellungstitel es suggeriert, das ist nach Abschreiten des Parcours unklarer denn je. Ineinander verkeilt waren sie, ohne sich voneinander lösen zu können. Die späte Trennung, 1921 im Schweizer Exil, machte es auch nicht mehr besser.
Anschluss an die Moderne
Künstlerisch aber waren die beiden jeweils völlig eigenständig. Sie, die Tochter aus reichem Hause, er, der Offizier, der sich in die Kunst rettete. In Petersburg malten sie noch brav realistisch, aber das war ihnen nicht genug. Mit dem Umzug nach München 1896 suchten sie Anschluss an die beginnende Moderne - und an libertäre Lebensformen, sagt Kuratorin Annegret Hoberg.
Und dann hat sie tatsächlich, von 1896 bis 1906, zehn Jahre lang, ihre eigene Malerei aufgegeben, um Jawlenskys Talent zu fördern. Und Jawlensky hat an der damaligen Avantgarde versucht sich rein praktisch zu schulen, wie viele beginnende Avantgarde-Künstler es gemacht haben. Hat van Gogh, Cézanne, Gauguin undsoweiter rezipiert in diesen Jahren.
Diese Einflüsse sieht man auch in der Münchner Ausstellung. Jawlensky lädt sich vor allem an den Farben der wilden Männer Gauguin und van Gogh auf, während Werefkin, als sie wieder zu malen beginnt, sich eher an melancholischen Malern wie Munch und Hodler orientiert. Mit diesem Rüstzeug werden sie dann ab 1908 die Sommer in Murnau verbringen, gemeinsam mit Kandinsky und Gabriele Münter – hier kommt es zu dieser Explosion von Farbe, mit der vor allem Jawlensky die Voralpen-Landschaft in pure Intensität verwandelt.
Melancholische und geistige Malerei
Werefkin ist da vorsichtiger; sie malt schon damals symbolhaft aufgeladene, nächtliche Berge und Kirchen vor Gletschern, aber auch Trümmerlandschaften, die den Ersten Weltkrieg vorwegnehmen, traurige Ballszenen, Zirkusmanegen, Landstraßen, Fabriken, Arbeiter. Ihr Stil ist eine melancholische Sachlichkeit.
Jawlensky dagegen will die Dinge zu etwas Geistigem komprimieren: seine klobigen, wuchtigen Portrait-Schädel scheinen schon das ganze Innenleben der Figuren preiszugeben. Die Landschaften bersten vor farblichem Überfluss und Überschuss – ebenso wie die grandios expressiven Frauenleiber. Und: Jawlenskys Portrait des androgynen Tänzers Alexander Sacharoff von 1909, ganz in Rot gekleidet, ist ein Fanal, ein Signet einer ganz neuen, einer extravaganten Erotik.Zwei Jahre später formiert sich der "Blaue Reiter" als Künstlergruppe. Und Marianne von Werefkin versammelt die Münchner Bohème.
Sie war eben auch eine fast stadtbekannte Schwabinger Gestalt. Und in diesem rosa Salon in der Giselastraße 25, wo Jawlensky und Werefkin gewohnt haben, hat sich dieses progressive Künstlertrüpplein immer wieder versammelt.
Auf dem Weg zur Ikone
Das Lenbachhaus führt auch in der Ausstellungs-Architektur vor, dass die Lebensgeschichten von Jawlensky und Werefkin tragisch verschränkt waren - während sie künstlerisch sehr eigenständig ihren Weg gingen. Als Jawlensky das gemeinsame Dienstmädchen schwängerte, begann eine unheilvolle Ménage à trois, die auch das Exil in der Schweiz überdauerte. Während Jawlensky nach dem Ersten Weltkrieg immer stilisierter und teilweise abstrakter malte, zeigte die nun völlig mittellose Werefkin ihren Seelenzustand in nachtblauen Einsamkeits-Landschaften, die von fern an Ernst Ludwig Kirchners Davos erinnern. Oder an Munch.
Nach der Trennung 1921 lebt Jawlensky mit Frau und Kind in Wiesbaden, schwer rheumatisch erkrankt. Er malt nur noch Gesichter. Der Höhepunkt der Ausstellung ist eine Phalanx seiner Portraits, die immer ikonenhafter und reduzierter werden. Das letzte Bild ist ein "Selbstportrait im Rasierspiegel". Nur wenige Striche. Fast eine Totenmaske.