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Werkstatt Europa: Kulturpolitische Gratwanderung

Sabine Bornemann: "Die Unterlagen sind recht komplex, wie alles natürlich in Europa recht komplex ist. Wir klicken hier weiter und kommen auf den Europa-Server."

Von Christoph Schmitz | 12.03.2007
    Und da, auf dem Server findet man Formulare, Übersichten, Berichte hunderter Kulturprojekte, die von der EU gefördert werden. Sabine Bornemann leitet in Bonn die nationale Kontaktstelle der EU für alle, die in Deutschland Geld aus dem europäischen Kulturhaushalt bekommen und sich beraten lassen möchten. Allein im letzten Monat hat Sabine Bornemann über fünfhundert Anfragen per Mail und Telefon beantwortet. 2005 hat sie mehr als 100 konkrete Anträge für Kulturprojekte unter deutscher Federführung begleitet, 30 davon wurden in Brüssel bei der EU-Kulturkommission eingereicht, 25 bewilligt. Welcher Art sind diese Projekte? Lesungen im Kloster?

    " Grenzt hier ein Wort an mich, so laß ich's grenzen. / Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder. / Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land."

    Die Schauspielerin Angela Winkler liest Ingeborg Bachmann im Norden Tschechiens, im historischen Böhmen. Zusammen mit anderen Schauspielern, Autoren und Musikern erkundet sie die alte Mitte Europas.

    Ein Kulturprogramm, das das Literaturbüro Ostwestfalen-Lippe mit tschechischen und polnischen Einrichtungen seit Jahren organisiert. Immer wo mindestens drei öffentliche Einrichtungen im Namen der Kultur auf EU-Ebene zusammenkommen und etwas auf die Beine stellen wollen und sich selbst mit mindestens 50 Prozent an den Kosten beteiligen, ist Brüssel mit Geld mitten unter ihnen. Veranstaltungen fürs Theater, für Musik und Literatur gehören dazu, für Bildende Kunst, Übersetzungen, kulturhistorische Forschungen und Hochschulen. Doch der Förderung und dem kulturpolitischen Spielraum sind Brüssel enge Grenzen gesetzt, weil zum einen die Kulturhoheit nach wie vor den einzelnen Mitgliedsstaaten obliegt. Zum anderen:

    Bornemann: Es geht letztlich um die Schaffung des europäischen Kulturraums. Aber - und das ist genauso wichtig - unter Wahrung aller Unterschiede, aller Verschiedenheit.

    Europa als Kulturraum fördern und zugleich die regionale Vielfalt bewahren, ist für EU-Kulturkommissar Jan Figel kein Widerspruch.

    "Das sind die zwei Seiten einer Medaille. Wenn Münzen einen Wert haben sollen, müssen sie zwei lesbare, glaubwürdige Seiten haben. Die eine bedeutet Respekt vor der Vielfalt. Die andere bedeutet Einheit, die all den verschiedenen Identitäten ein Zusammenleben und etwas Gemeinsames zu erschaffen erlaubt, das sichtbar und attraktiv ist."

    Mögen sich auch die Gegensätze der europäischen Kulturpolitik mit viel gutem Willen versöhnen lassen, ein anderer Widerspruch bleibt. Nämlich der zwischen inhaltlichem Anspruch und finanzieller Ausstattung. Das aktuelle Kulturprogramm des Slowaken Figel für die Jahre 2007 bis 2013 verfügt über den legendären Haushalt von 408 Millionen Euro. Nicht pro Jahr wohlgemerkt, sondern für alle sieben Jahre.

    Figel: "Natürlich hat unser Kulturprogramm begrenzte Ressourcen, aber wir erhalten deutlich mehr als früher. Wir wollen ja auch nicht die kulturelle Verantwortung unserer Mitglieder ersetzen, deren Arbeit wir mit unserer Unterstützung kombinieren. Im übrigen haben die Artikel zur Kultur erst 1992 mit Maastricht Eingang in die Verträge erhalten. Die Kultur befindet sich also noch in der Teenager-Phase. Das kulturelle Engagement der EU wird aber von niemandem mehr bezweifelt. So haben wir die Unesco-Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt unisono verhandelt und zum ersten Mal in der Geschichte einen wunderbaren Durchbruch in der internationalen Gesetzgebung erreicht."

    Außerdem kann der Kommissar ohne Kohle in seinem Büro hoch über der belgischen Hauptstadt auf seine Kommissar-Kollegen verweisen. Acht Prozent der EU-Kulturförderung, heißt es, fließen direkt über Figels Schreibtisch in die Kultur, die restlichen 82 Prozent indirekt über deren Regional- und Strukturfonds. Was da alles gefördert wird, ist in der sehr komplexen Bürokratie schwer heraus zu filtern, einem gemeinsamen Konzept folgt es jedenfalls nicht. So steht im Jahr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und im 50. Jahr der Römischen Verträge eine europäische Kulturpolitik möglicherweise sogar erst in den Kinderschuhen.