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WERKSTATT EUROPA V: Sprachen schöner Götterfunken

Europa erfreut sich eines ungeheuren Sprachenreichtums. 23 Amtssprachen hat die Europäische Union - in alle diese Sprachen müssen zumindest die wichtigsten Texte übersetzt und gedolmetscht werden. Ein gewaltiger Aufwand. Doch anders geht es nicht. Denn jeder EU-Bürger hat das verbriefte Rechte, die Dokumente in seiner Mutersprache zur Kenntnis zu nehmen.

Von Kersten Knipp | 16.03.2007
    " Andorit a la prima mea conferenza de presa."

    Auch so klingt die Europäische Union. Ende Februar hält Leonard Urban, soeben ernannter Kommissar für Sprachenvielfalt der Europäischen Union, seine erste Pressekonferenz in Brüssel. Und zwar in seiner Muttersprache, dem Rumänischen. In der Konferenz geht es natürlich um eben dieses: die europäische Sprachenvielfalt. Ein wunderbarer Reichtum, meint er nach der Konferenz.

    "Ich denke, das ist etwas Wunderbares. Wir müssen es bewahren und fördern. Es ist überaus wünschenswert, die Sprachenvielfalt zu fördern. Und das werde ich tun, und das ist das Schlüsselelement meines Mandats."

    Recht hat er: Europa erfreut sich eines ungeheuren Sprachenreichtums. 23 Amtssprachen hat die Europäische Union - in alle diese Sprachen müssen zumindest die wichtigsten Texte übersetzt und gedolmetscht werden. Das, so Ian Andersen vom Direktorium des EU-Dolmetscherdienstes, stellt die Europäische Union vor gewaltige logistische Herausforderungen.

    "Wir haben 500 festangestellte Dolmetscher. Und wir haben 2800 freiberufliche Mitarbeiter. An jedem Tag beschäftigen wir zwischen 700 und 900 Dolmetscher. Sie werde an 50 bis 60 Konferenzen eingesetzt, zum Teil in Brüssel, zum Teil in anderen Regionen Europa und sogar weltweit."

    Ein gewaltiger Aufwand. Doch anders geht es nicht. Denn jeder EU-Bürger hat das verbriefte Rechte, die Dokumente in seiner Mutersprache zur Kenntnis zu nehmen. Insofern ist Europa sprachlich zwar ungeheuer reich - aber dieser Reichtum, so Ludwig Eichinger, Direktor des Instituts für Deutsche Sprache, muss auch sinnvoll verwaltet werden:

    "Daher müssen natürlich Kompromisse gefunden werden, wie man mit dieser Vielfalt zurechtkommt, ohne die kulturelle Vielfalt dabei zu zerstören. Die EU versucht ja das dadurch zu schaffen, dass als Ziel vorgeben wird, dass jeder Bürger der EU zwei Fremdsprachen können soll. Das wird sicher auch nicht alle 23 und nicht alle Kombinationen abdecken können, man sieht ja schon, dass die Dolmetscher Schwierigkeiten haben, vom Maltesischen ins Estnische zu übersetzen, so dass man ohnehin über eine der großen Übersetzungssprachen gehen muss. So dass praktische Lösungen, die die größeren also nur zahlenmäßig größeren Sprachen berücksichtigen, sicher immer eine Rolle spielen werden, weil sonst der ... zeitliche Aufwand für die Übersetzungen viel zu hoch wird. "

    Der zeitliche - und auch der finanzielle. Zumindest auf den ersten Blick. Denn die Kosten allein für den Dolmetscherdienst, meint Ian Andersen, können hoch oder niedrig sein - je nach Sichtweise:

    "Die Kosten für das Dolmetschen sind, wenn Sie sie etwa mit Ihrem Gehalt vergleichen, gewaltig. Für alle Institutionen beläuft sich der Betrag auf 195 Millionen Euro jährlich. Wenn Sie den Betrag aber auf die Zahl der EU-Bürger umrechnen, dann kommen Sie auf 45 Cent pro Bürger - für alle Institutionen. Die Frage ist aber nicht die, ob man 45 Cent sparen will, sondern, ob man es sich leisten will, die besten Vertreter seines Landes in Brüssel zu haben, ganz unabhängig von ihren Sprachfähigkeiten. "

    Sprachen mögen schön sein. Aber sie sind gerade in Brüssel auch Instrument der Politik, der Verhandlung, der Interessensvertretung. Schwärmereien sind da fehl im Platz. Aber das, so Ludwig Eichinger, kann man nicht nur in Brüssel beobachten:

    "Also Sprachenlernen ist Arbeit, das sollte man nicht vergessen. Daher sind die meisten Menschen effiziensorientiert, wenn sie ihre Sprachen lernen. So dass man zwar sicher davon ausgehen kann, dass es einen gewissen Markt in Europa gibt, der diese kleinen Sprachen betrifft, aber das werden keine zu großen Gruppen von Menschen sein. Sie bekommen ja selbst in Baden-Württemberg schon Widerstände, wenn Sie das Französische als erste Schulsprache statt Englisch an der Grenze entlang einführen wollen. Das sieht man, dass die ganz praktischen Intentionen die Zahl derer, die das können werden, immer in Grenzen halten wird."

    Ästhetik und Zukunftsfähigkeit: An diesen Polen entlang wird auch EU-Sprachenkommissar Leonard Urban in den kommenden Jahren seine Politik ausrichten.

    "Es gibt drei wesentliche Aspekt: Der erste hat mit der Wettbewerbsfähigkeit im Hinblick auf die Mehrsprachigkeit zu tun. Ich werde in der zweiten Hälfte dieses Jahres dafür ein Wirtschaftsforum ausrichten. Dann werde ich meine Aufmerksamkeit auf den interkulturellen Dialog und einen entsprechende Erziehung richten. Dazu werde ich eine Kommission einberufen, die konkrete Maßnahmen im Hinblick auf 2008, das Jahr des interkulturellen Dialogs, benennen soll. Und drittens werde ich mich darum kümmern, dass alle Bürger der EU Einblick in die Entscheidungen der Europäischen Union zu nehmen. Das ist sehr wichtig."

    Europa spricht in vielen Zungen. Das ist romantisch, aber diese Romantik muss man sich leisten können. Und man darf nicht zu romantisch werden, denn Sprachenlernen ist Arbeit, ungeachtet aller linguistischen Euphorie. Und leistet man diese Arbeit nicht, kann es sein, dass man im Konzert der Nationen kaum mehr so richtig gehört wird. Aber davon ist Europa weit entfernt, dank all des Aufwands und all der Mittel, die Brüssel ins Reich der Sprachen transferiert.