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Western-Regisseur
Anthony Manns Cowboys waren keine klassischen Helden

Agentenfilme, Historienspektakel, Thriller - der US-Regisseur Anthony Mann bediente viele Filmgenres, doch Geschichte schrieb er mit seinen Western. Darin kreierte der Regisseur einen neuen Typus: Seine Cowboys sind keine klassischen Helden. Vor 50 Jahren starb Mann in Berlin während der Dreharbeiten an einem Film.

Von Katja Nicodemus | 29.04.2017
    Western-Show bei der Calgary Stampede - Revolver
    In fünf von Westernfilmen von Mann spielt James Stewart die Hauptrolle (picture alliance / dpa - THE CANADIAN PRESS/Larry MacDougal)
    Seine Filme erzählen von einem Traum, der zur fiebrigen Fantasie geworden ist. Bei Anthony Mann wird die amerikanische Landschaft vom Sehnsuchtsort der Pioniere zum Raum für Gewalt, für Sadismus, für das nackte Überleben – oder fürs Sterben.
    Etwa in dem Western "Über den Todespass" von 1954: Vor dem Hintergrund des Goldrauschs erzählt der Film von einem Mann, der sich selbst der nächste ist. James Stewart spielt diesen hochgewachsenen Cowboy namens Jeff Webster. Seine Rinder verkauft er an die Meistbietenden und Rücksichtslosesten, auch wenn damit ein kleines Goldgräberstädtchen zerstört wird.
    "Sehen Sie, was Sie angerichtet haben."
    "Na was denn, Kleines."
    "Sie haben Emily die Kunden weggenommen."
    "Miss Castle hat zwei Dollar geboten."
    "Es gibt Dinge, die wichtiger sind als ein paar Dollar."
    Mit österreichisch-bayerisch-jüdischen Wurzeln in New York und Hollywood
    Anthony Mann wurde 1906 in San Diego geboren, als Sohn eines aus Österreich stammenden Professors der Naturwissenschaften und einer Schauspiellehrerin mit bayerisch-jüdischen Wurzeln. Seine Entertainment-Karriere beginnt er in New York, als Darsteller und Regisseur kleinerer Broadway-Produktionen.
    Der legendäre Produzent David O. Selznick wird auf ihn aufmerksam und holt ihn nach Hollywood. Für ihn dreht Anthony Mann die Probeaufnahmen von "Vom Winde verweht". Es folgen Agentenfilme, Historienspektakel, Thriller.
    Filmgeschichte schreibt Mann jedoch mit seinen Western, die er in den 50er-Jahren für das Studio Universal Pictures dreht. In fünf von ihnen spielt James Stewart die Hauptrolle. Der wohl berühmteste dreht sich um ein Gewehr.
    "Du, sieh mal eine Winchester 73!"
    "Das ist das richtige Gewehr für uns."
    Cowboys nicht als klassische Helden
    Mit den Figuren, die James Stewart für ihn spielt, kreiert Anthony Mann einen neuen Typus für die Westernbühne. Seine Cowboys sind keine klassischen Helden, sondern innerlich zerrissene, gejagte, von ihrer Vergangenheit verfolgte Männer. Auf ihrem Weg von A nach B lassen sie sich von nichts aufhalten. Außer von schönen Frauen, denen sie manchmal ihr Innerstes offenbaren. Etwa in "Winchester 73" kurz vor einem Indianerangriff.
    "Und Sie haben keine Angst vor morgen?"
    "Was hätte ich schon davon, Sie zu belügen?"
    "Nichts."
    "Ich habe Angst."
    In diesem Film wechselt ein kostbares Gewehr mehrmals den Besitzer. Die Waffe wird zum Symbol von Habgier, Mordlust und Rache. James Stewart spielt Lin Mac Adam, die erste wirklich komplexe, zwiespältige Figur in der Geschichte des Westerns.
    "Sie können jedes große Drama in den Western verlegen"
    Mac Adam wird seinen eigenen Bruder, den Mörder seines Vaters, erschießen. Es war Anthony Manns Schauspiel unterrichtende Mutter, die ihren Sohn mit den großen europäischen Dramen vertraut machte. Nun verlegt er sie in die amerikanische Prärie:
    "Sie können jedes große Drama, von der griechischen Tragödie bis zu Shakespeares Dramen, in den Western verlegen. Die Figuren werden in der Westernlandschaft lebendig, mit all ihrer Leidenschaft und Dramatik, mit ihren Vatermorden. All das können Sie in den Western packen, und Sie kommen damit durch."
    Majestätische Bergketten, hinter denen Goldvorkommen locken. Verfolgungsjagden zu Pferde, die über gefährliche Gletscher führen, durch endlose Wälder und über Flussläufe. In Anthony Manns Western gibt es nicht die Sterilität von Studioaufnahmen:
    "Ich habe fast immer an Originalschauplätzen gedreht. Nur so entsteht dieses Wirklichkeitsgefühl. Die Schauspieler sind nicht von der Stille des Studios abgelenkt. Sie werden lebendiger und wirklicher, weil sie von den Elementen umgeben sind, mit den Elementen kämpfen. Der Western braucht Originalschauplätze. Und wenn ein Schauspieler einen Hügel hochrennt, dann muss er keuchen. Im Studio tut er so, als ob er keucht, aber das kommt nicht glaubhaft rüber. Das Blut schießt ihm nicht in den Kopf, er ist nicht aktiv, er vibriert nicht."
    In dem Western "Nackte Gewalt" setzt Anthony Mann das finale Drama durch den dramatischen Schauplatz fort: einen reißenden Fluss.
    Keine klassisch-amerikanischen Happy Endings
    Der am 29. April 1967 in Berlin gestorbene Anthony Mann lässt keinen Zweifel daran, weshalb James Stewarts Revolverheld am Ende stets den Schurken besiegt: Nicht wegen seiner überlegenen Moral, sondern wegen seiner Schießkünste. Vielleicht liegt es auch an Anthony Manns europäischen Wurzeln, dass er keine klassisch-amerikanischen Happy Endings inszenierte: Man wird das Gefühl nicht los, dass die Zukunft, in die der einsame Mann und die schöne Frau reiten, nicht viel anders sein wird, als das, was hinter ihnen liegt:
    "Willst du noch nach Kalifornien? Dann reiten wir!"