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Westerwelle: "Der Diktator muss gehen"

Seine Aufgabe sei es, "dass Frieden und Freiheit sich verbreiten", sagt Guido Westerwelle, militärischen Einsätzen stehe er aber skeptisch gegenüber. Man müsse die Folgen für die gesamte Region bedenken und solle vielmehr auf gezielte und scharfe Sanktionen gegen Gaddafi setzen.

Guido Westerwelle im Gespräch mit Wolfgang Labuhn | 13.03.2011
    Labuhn: Die Welt ist erschüttert über die Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan, Herr Westerwelle. Dort kann und wird Deutschland helfen. Im Falle Libyens ist das ungleich schwieriger. Libyen ist auch an diesem Wochenende das drängendste Problem der internationalen Politik, da der Diktator Muammar al-Gaddafi seine Gegner, das heißt seine eigene Bevölkerung, mit allen verfügbaren Waffen bekämpft - nach allem, was bekannt geworden ist. Wie kann die Völkergemeinschaft Gaddafi stoppen?

    Westerwelle: Das Wichtigste ist, dass die internationale Völkergemeinschaft den Diktator isoliert, das Herrschaftsregime insgesamt isoliert. Und deswegen haben wir nicht nur in Europa, sondern auch in den Vereinten Nationen gezielte Sanktionen beschlossen, Sanktionen, die ein Ziel haben, nämlich Geldflüsse zu verhindern, damit eben der Diktator nicht neue Söldnertruppen einkaufen und anwerben kann, die dann wiederum eingesetzt werden für seinen Bürgerkrieg gegen das eigene Volk. Es besteht kein Zweifel daran: Es kann kein Zurück geben zu einer Kooperation mit einem Mann, der einen Krieg gegen das eigene Volk führt. Der Diktator muss gehen. Und dieses ist die gemeinsame internationale Haltung.

    Labuhn: Reichen Sanktionen wirklich aus? Ist nicht auch ein militärisches Eingreifen, etwa durch die Schaffung von Flugverbotszonen, unausweichlich, wenn etwa die Arabische Liga das wünscht und wenn die UNO zustimmt?

    Westerwelle: Eine Flugverbotszone ist nicht das Aufstellen eines Verkehrsschildes, sondern ist ein massiver militärischer Einsatz. Das bedeutet, dass zunächst einmal auch die Luftabwehrsysteme, über die die libysche Armee verfügt, und zwar auch effizient verfügt, ausgeschaltet werden müssten. Das heißt, es würde dann gezielt auch ein Angriff geflogen gegen diese Stellungen mit Bombardierungen und Raketenangriffen. Und man muss auch gleichzeitig immer sehen, dass wir nicht in einen Bürgerkrieg dauerhaft hineingezogen werden können. Meine Aufgabe als deutscher Außenminister ist es, dafür zu sorgen, dass Freiheit und Frieden sich verbreiten können, aber es ist nicht meine Aufgabe, zuzusehen, wenn wir durch unüberlegte Handlungen in einen neuen Krieg hineingezogen würden. Wir haben die Erfahrungen aus dem Irak-Krieg, wir wissen, wie viele Jahre auch der Afghanistan-Einsatz schon dauert. Und ich möchte nicht, dass das zur Regel wird, dass jetzt innerhalb von wenigen Tagen schon militärische Gewalt gefordert wird, denn das ist immer nur das letzte Mittel. Es ist zudem auch richtig, dass die Vereinten Nationen ihr Wort machen müssen, und mindestens so wichtig ist, dass die Arabische Liga nicht nur politisch unterstützt, sondern jede Maßnahme, die über gezielte Sanktionen hinausgeht, auch selber mitträgt, indem sie sich daran beteiligt.

    Labuhn: Dennoch, Herr Westerwelle, ein militärisches Eingreifen als Ultima ratio, das würden Sie nicht ausschließen?

    Westerwelle: Ich bin sehr skeptisch über die ganze Diskussion eines militärischen Einsatzes. Ich werbe dafür, dass wir mit gezielten und auch scharfen Sanktionen gegen den Diktator vorgehen. Man muss vor allen Dingen auch die Auswirkungen eines militärischen Einsatzes bedenken auf die gesamte Freiheitsbewegung der Region. Wir wollen ja nicht, dass die Freiheitsbewegungen, die sich in Tunesien und in Ägypten auf den Weg gemacht haben, die zu erstaunlichen revolutionären Entwicklungen in anderen Ländern geführt haben oder zu enormen Reformen, zum Beispiel gerade erst in Marokko geführt haben, wieder umgedreht werden. Das heißt, dass dann religiöse Extremisten oder andere Agitatoren oder Autokraten plötzlich mit ihrer Propaganda Rückenwind bekommen, indem sie behaupten können, das sei ja gar nicht eine Angelegenheit des Volkes vor Ort selbst, sondern das sei eben ein imperialer Vorgang des Westens. Damit hat Herr Ben Ali in Tunesien versucht, Stimmung zu machen, damit hat die Regierung um Präsident Mubarak versucht, Stimmung zu machen, und jetzt versucht der Diktator Gaddafi damit zu arbeiten.

    Labuhn: Die Lage in Libyen ist grundsätzlich anders als vorher in Tunesien und Ägypten. In Libyen wird geschossen, wird gekämpft. Wären da nicht zumindest Waffenlieferungen an die Gaddafi-Gegner zu erwägen?

    Westerwelle: Man muss doch, wenn man über die Opposition in Libyen spricht, immer auch genau hinsehen, ob diejenigen, die dort jetzt sagen, sie sprechen für das gesamte libysche Volk, es auch tatsächlich tun. Wir wollen nicht vergessen, dass die Repräsentanten, die derzeit ja auch für die Opposition öffentlich auftreten, bis vor ganz kurzer Zeit, bis vor wenigen Tagen, selbst Mitglied der Administration und des Systems von Gaddafi gewesen sind. Vieles hat auch Stammeshintergründe, und ich möchte nicht, dass wir dauerhaft eine Bürgerkriegspartei werden im nördlichen Afrika. Und deswegen rate ich zur Umsicht. Ich rate auch dazu, dass wir gemeinschaftlich handeln in der internationalen Staatengemeinschaft, und dass deswegen auch nationale Alleingänge vermieden werden. Das sage ich an alle, die es angeht, denn ich möchte, dass wir in den Vereinten Nationen auch einen Konsens haben, so wie wir ihn übrigens unmittelbar sehr schnell auch als Deutsche mit bewirken konnten, als es um den Beschluss von Sanktionen gegangen ist.
    Labuhn: Ihre Forderung kommt zu spät, denn Frankreich hat ja bereits den libyschen Übergangsrat anerkannt, EU hin – UNO her. Was sagen Sie denn dazu?

    Westerwelle: Auch wir sprechen ja mit der libyschen Opposition. Auch wir tauschen uns mit denen aus, die jetzt sich als oppositionelle Bewegung auch öffentlich empfehlen. Aber wir wissen doch gleichzeitig noch zu wenig. Und dementsprechend habe ich darauf gedrungen, dass erst einmal die Arabische Liga eine Meinung äußert. Es ist ja nicht so und es ist auch nicht richtig, dass in solchen regionalen Fragen als erstes Europa, die NATO, der Westen handelt, bevor die Arabische Liga, die eine unmittelbare Verantwortung für die gesamte Region trägt, ihr Wort machen kann.

    Labuhn: Sollte Deutschland sich nicht über die Beteiligung an Sanktionen hinaus auch einmal Gedanken machen über die humanitäre Katastrophe, die jetzt in Libyen ausgebrochen ist und beispielweise die temporäre Aufnahme von Flüchtlingen aus Libyen erwägen, um einen Beitrag zur Überwindung dieser humanitären Katastrophe zu leisten?

    Westerwelle: Wir können nicht jeden aus Nordafrika in Europa aufnehmen und wir wollen es auch gar nicht, sondern wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass sich die Lage im Norden Afrikas verbessert. Deswegen habe ich einen Nord-Süd-Pakt vorgeschlagen, der den Ländern, die gerade sich in einen demokratischen Umbruch befinden, auch wirtschaftlich hilft. Denn wenn wir Flüchtlingsströme nicht zum Anschwellen bringen wollen, dann ist es wichtig, dass die Menschen, die für Demokratie in Tunesien, in Ägypten und anderswo auf die Straße gegangen sind, eine Verbesserung ihrer Lebenschancen im eigenen Lande auch erleben und sehen, greifbar haben. Und deswegen haben wir auch Vorschläge gemacht für die Verstärkung von Investitionstätigkeit, für den Aufbau einer unabhängigen Justiz oder auch beispielsweise für die Öffnung unserer europäischen Märkte stärker für Produkte aus den betroffenen neuen – hoffentlich dann auch dauerhaften - demokratischen Ländern. Und was die humanitäre Katastrophe angeht, so hat Deutschland geholfen wie wenige Länder in der Welt. Denn wir haben sofort beispielsweise auch mit unserer Bundeswehr dafür gesorgt, dass die ägyptischen Flüchtlinge, die ja aus Libyen nach Tunesien geflohen sind, zurückgebracht werden konnten durch unsere Transportkapazität – zu vielen Tausend nach Ägypten zu ihren Familien selbst. Wir haben außerdem auch die humanitäre Hilfe, die Soforthilfe, auf fünf Millionen Euro erhöht und arbeiten hier auch mit dem Internationalen Roten Kreuz und dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen engstens zusammen.

    Labuhn: Herr Westerwelle, von einer entschlossenen gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ist nicht viel zu sehen und zu hören in diesen Tagen. Hätten Sie sich da als deutscher Außenminister mehr versprochen?

    Westerwelle: Ich war enttäuscht und habe das auch öffentlich gemacht darüber, wie lange die Europäische Union am Anfang gebraucht hat, um sich eindeutig in der Angelegenheit Libyens auch politisch zu erklären. Als ich gesehen habe, dass vor zwei Wochen die Europäsche Union sich noch nicht dazu durchringen konnte, klar Sanktionen anzugehen, habe ich ja unmittelbar danach auch mich selbst und wir als Bundesregierung uns an die Spitze der internationalen Bewegung gestellt und haben in Europa Sanktionen auf den Weg gebracht, als andere auch in Europa noch gezögert haben. Und wir haben Selbiges auch sofort bei den Vereinten Nationen mit unserer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat vorangetrieben. Und das ist ja auch eine ganz bedeutsame Sache, die Reisebeschränkungen, das Einfrieren der Vermögenswerte, das Einfrieren von Zahlungen nach Libyen. All das wird auch Wirkung zeigen. Und ich denke, es ist auch eine Botschaft nicht nur an den Diktator Gaddafi, sondern es ist eine Botschaft an alle, die mit Unrecht ihr Volk unterdrücken, dass sie sich nicht darauf verlassen können, das Geld, das sie ihrem Volk abgepresst und geraubt haben, später irgendwo friedlich im Alter irgendwo auf der Welt an einem europäischen See genießen zu können.

    Labuhn: All diese Initiativen, die kamen von Ihnen, die kamen auch von Kollegen von Ihnen, aber nicht von der dafür eigentlich zuständigen europäischen Chefdiplomatin – sage ich einmal – Catherine Ashton. Ist sie die Richtige für diesen Job, sollte sie nicht langsam abgelöst werden?

    Westerwelle: Ich glaube, dass Catherine Ashton sich in vielen Fragen auch in ihrer jungen Amtszeit bereits bewährt hat. Und ich begrüße auch, dass sie konzeptionell viele Vorschläge macht, zum Beispiel auch den Vorschlag, dass es keine weiteren Zahlungen nach Libyen gibt. Aber damit auch kein Zweifel entsteht, soll dieses Geld auf ein Sonderkonto, einen Sonderfonds bei der Europäischen Union überwiesen werden. Denn wir wollen ja hier nichts behalten, was uns nicht zusteht, wir wollen ja nicht die Begleichung unserer Energierechnungen bestreiten, sondern wir wollen ja, dass das Geld beim Volk ankommt und nicht bei der Herrscherfamilie Gaddafi.

    Labuhn: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Zur deutschen Staatsräson, Herr Westerwelle, zählt, für das Existenzrecht Israels innerhalb gesicherter Grenzen einzutreten. Was bedeuten eigentlich die Umwälzungen in der arabischen Welt jetzt für die Sicherheit Israels, des bisher einzigen demokratischen Staates im Nahen Osten – eine Chance oder neue Gefahren?

    Westerwelle: Da ist die Geschichte natürlich noch nicht zu Ende geschrieben, denn die Freiheitsbewegungen sind erst auf den ersten Metern. Und es ist deswegen auch wichtig, sorgfältig und so klug auch zu wirken, dass eben auch eine demokratische Bewegung am Schluss obsiegt und nicht irgendwelche religiösen Fundamentalisten oder auch irgendwelche neuen autokratischen Politiker. Entscheidend ist aber, dass, wenn sich Demokratie verbreitet, die Chance natürlich sehr wächst, dass das auch mehr Kooperation im Nahen Osten bedeutet und weniger Konfrontation. Das haben wir in Europa ja auch erst lernen müssen, dass das Kooperationsmodell dem Konfrontationsmodell ganz entschieden überlegen ist. Ich appelliere an alle Beteiligten im Nahen Osten, den Nahostfriedensprozess gerade jetzt in Anbetracht der Umbrüche in der arabischen Welt energisch voranzutreiben und damit auch einen Beitrag zu leisten, dass der Nahostfriedensprozess zugleich auch eine stabilisierende Wirkung auf diese freiheitlichen Bewegungen hat. Das halte ich für fundamental und auch für sehr bedeutend. Ich appelliere, dass man zurückkehrt an den Verhandlungstisch, dass die direkten Friedensgespräche zwischen den Palästinensern und den Israelis wieder aufgenommen werden. Und es wäre ein guter Beitrag auch der israelischen Regierung, wenn durch ein Einfrieren der Siedlungsaktivitäten der Gesprächsfaden wieder aufgenommen werden könnte und dadurch zugleich ein Signal gegeben wird, das die gesamte Freiheitsbewegung im Nahen Osten positiv begleitet wird.

    Labuhn: Ein Blick auf die Innenpolitik, Herr Westerwelle. Sie ist in den letzten drei Wochen völlig überlagert worden durch die Plagiatsaffäre des früheren Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg, der am Donnerstag nun mit einem Großen Zapfenstreich endgültig aus dem Amt verabschiedet wurde. Er wünschte sich zum Abschied den Rock-Klassiker "Smoke on the water" – 'Rauch über dem Wasser’. Ob man das jetzt auf die "Gorch-Fock"-Affäre bezieht oder nicht - sind Sie froh über den Abschluss dieser Angelegenheit?

    Westerwelle: Ich habe Herrn zu Guttenberg für seine bisherige Arbeit gedankt. Ich habe ihm und seiner Familie ganz persönlich auch alles Gute gewünscht. Und ansonsten habe ich mich einer Kommentierung der ganzen Angelegenheit schon deshalb entzogen, weil ich derzeit in der Außenpolitik wirklich auch noch andere große Aufgaben zu bewältigen habe. Im Übrigen zähle ich nicht zu denen, die, wenn jemand in Schwierigkeiten ist, auch noch Steine hinterher werfen.

    Labuhn: Es geht ja nicht um das Hinterherwerfen von Steinen. Sie erwähnen in Ihren Reden immer wieder bürgerliche Werte wie Fleiß, Ehrlichkeit, Anstand als tragende Werte sozusagen der Mittelschicht, für die Sie sich so sehr einsetzen. Dieses Wertegefüge ist durch das Verhalten zu Guttenbergs kräftig durcheinandergeraten. Gerade die konservative Welt ist ziemlich empört über das Verfahren, das er bei der Abfassung seiner Doktorarbeit anwandte. Es kann Ihnen doch nicht gleichgültig bleiben, dass jemand mit diesen Werten so gespielt hat, wie es Ihr früherer Kabinettskollege zu Guttenberg getan hat.

    Westerwelle: Aber wenn ein Kapitel abgeschlossen ist, dann macht es auch keinen Sinn, dass man in Interviews noch lange Epiloge hält, sondern es geht jetzt darum, dass man nach vorne schaut. Wir haben einen bürgerlichen Auftrag. Und der hat auch deshalb eine große Verantwortung, weil die Alternative eine rot-rot-grüne Mehrheit wäre, wie sie in Nordrhein-Westfalen ja schon praktiziert wird, mit erschreckenden Ergebnissen bei der Staatsverschuldung oder auch bei der Einführung dieser fürchterlichen Einheitsschule. Wir haben keine Einheitskinder, und deswegen brauchen wir auch keine Einheitsschule. Und das sind klare bürgerliche Werte der Vielfalt, die wir hier vertreten, auch des Fleißes, der Leistungsbereitschaft, der Weltoffenheit, der Toleranz. Und dafür werden wir Liberale eintreten. Das ist unser innerer Kompass.

    Labuhn: Als Folge des Rücktritts von Karl Theodor zu Guttenberg ist das Kabinett umgebildet worden. Der neue Bundesinnenminister ist nun Hans-Peter Friedrich von der CSU, und er hat gleich zu seinem Amtsbeginn eine Kontroverse ausgelöst, als er – anders, als zum Beispiel der Bundespräsident – meinte, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Sie haben am Aschermittwoch in Straubing ausdrücklich davor gewarnt, in der Politik Furcht vor dem Anderssein zu instrumentalisieren. Was sagen Sie jetzt zu dieser neuen Islamdebatte in Deutschland?

    Westerwelle: Ich wünschte, wir hätten mehr eine Integrationsdebatte als eine Religionsdebatte. Das Entscheidende ist nämlich: Wie integrieren wir die Menschen, die ja nun hier sind? Ob sich da einige darüber freuen und andere nicht, ist nicht entscheidend. Politik beginnt mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit. Und es sind Millionen Menschen in Deutschland mit einem islamischen Glauben. Und dementsprechend ist es auch wichtig, dass die Kinder, die hier groß werden, als allererstes auch Deutsch lernen, damit sie entsprechend auch faire Chancen später haben. Für mich ist das Eigentliche nicht eine theoretische Debatte, die gerne auch Historiker führen mögen. Für mich ist das Eigentliche: Was tun wir, dass die Kinder, die hier groß werden, integriert sind, dass alle gute Chancen haben und das sich auch zum Wohle unseres ganzen Volkes auswirken kann? Und da ist das Erlernen der deutschen Sprache das absolute A und O, das ist der Schlüssel für den persönlichen Erfolg. Das entscheidet darüber, dass das einzelne Kind mitkommt, aber auch, dass die gesamte Klasse ausreichende Lernfortschritte machen kann. Und wenn irgendetwas die Globalisierung entscheidet, dann Bildung.

    Labuhn: Nun soll auf Antrag der Unionsfraktion, aber auch der FDP-Fraktion das Ausländerrecht verschärft werden. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis von Ausländern soll auf höchstens ein Jahr befristet werden, bis ein Integrationskurs erfolgreich absolviert wurde. Wie passt das zu dem, was Sie gerade erläutert haben?

    Westerwelle: Das ist ja jetzt zunächst einmal auch eine Diskussion der Innenpolitiker, was im Ausländerrecht getan werden muss, damit Integration verbessert werden kann. Aber ich halte es – abermals gesprochen – für entscheidend, dass Integration durch das Erlernen der Sprache stattfindet. Ich bin lange Jahre auch von der Opposition, die damals ja noch Regierungsmehrheit gewesen ist, dafür kritisiert worden, dass ich gesagt habe, wer in Deutschland groß werden will, muss Deutsch lernen wollen und muss es auch tatsächlich tun. Und ich hoffe, dass hier auch eine gewisse multikulturelle naive Wertebeliebigkeit mittlerweile erkennt, wie wichtig Bildung und das Erlernen der deutschen Sprache ist und dass das nicht irgendein nationaler Chauvinismus ist, sondern dass das im Interesse der Kinder und Jugendlichen selbst ist. Ich bin groß geworden in Bonn in einem Viertel, das man so landläufig ein multikulturelles Viertel nennt, nämlich in der Bonner Altstadt. Und deswegen rede ich über Integration nicht irgendwie theoretisch, ich habe es mein Leben lang, vor allem meine ganze Jugend lang persönlich auch erlebt. Und wenn man in einem Land leben will, dann muss man die Werte achten und natürlich auch die Rechte und die Gesetze und die Werteordnung. Aber noch entscheidender ist, dass die Sprache gelernt wird. Das ist der Schlüssel zur Integration. Und diese Zögerlichkeit der deutschen Bildungspolitik, die Zögerlichkeit auch der deutschen Integrationspolitik, das Erlernen der Sprache auch wirklich voranzubringen, ja geradezu zu veranlassen und auch im Interesse der jungen Menschen zwingend einzufordern, das – glaube ich – war keine gute Politik der letzten Jahre, dass man hier zu zögerlich gewesen ist.

    Labuhn: Aber werden nicht jetzt gerade durch formale Hürden wie die Jahresfrist zum Absolvieren eines Integrationskurses neue Hindernisse aufgebaut, um genau das zu erschweren, was Sie fordern, nämlich eine erfolgreiche Integration?

    Westerwelle: Ja, wenn Familien ihre Kinder nicht Deutsch lernen lassen wollen, weil sie meinen, das passe nicht zu ihrem kulturellen Hintergrund, dann muss der Staat natürlich schon dem im Interesse der Kinder Nachdruck verleihen. Und deswegen muss ich sagen, haben die Liberalen, die das ja nun seit vielen Jahren schon einfordern und die unverdächtig sind, da in irgendeine Ecke geschoben werden zu können, völlig recht gehabt. Ich hoffe, dass allmählich der Letzte auch in der Opposition links von der Mitte erkannt hat, wie wichtig das ist.

    Labuhn: Am kommenden Sonntag, Herr Westerwelle, wird in Sachsen-Anhalt gewählt, eine Woche später in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Man hat Ihren Verbleib im Amt des FDP-Vorsitzenden mit dem Abschneiden der Liberalen in diesen Landtagswahlen in Verbindung gebracht. Nun sehen wir, dass trotz guter Wirtschaftsdaten, trotz guter Daten auf dem Arbeitsmarkt die FDP im Umfragetief verharrt, so bei fünf bis sechs Prozent. Geht es nun für Sie auch persönlich ums Ganze?

    Westerwelle: Es geht bei Landtagswahlen immer zuerst um die gute Zukunft eines Landes. Und in Sachsen-Anhalt gibt es nur eine Partei, die sich glasklar für Mittelstandspolitik einsetzt. Und heute erkennen wir ja, dass das keine Klientelpolitik ist, wie vor einem Jahr noch behauptet worden ist, sondern die beste Arbeitnehmerpolitik, die man machen konnte. So entstehen nämlich Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze. Und in Sachsen-Anhalt gibt es keine Partei, die sich so klar zu einer vielfältigen Bildungspolitik auch bekennt. Das heißt eben, dass es ein durchlässiges, chancengerechtes Bildungssystem gibt, aber nicht ein Bildungssystem, das alle Kinder über einen Kamm schert. Ich möchte auch, dass wir in Sachsen-Anhalt eine rot-rote Regierung verhindern können. Auch das geht nur, wenn die FDP eine ausreichende Stärke bekommt. Das sind die Fragen, die jetzt bei den Landtagswahlen anstehen. Und zu den Umfragen nur so viel: Seit Monaten muss ich mir in vielen Interviews vorhalten lassen, wie die Umfragen sind. Und dann hatten wir vor zwei Wochen gerade mal eine Wahl in Hamburg und haben als FDP das beste Wahlergebnis seit 40 Jahren errungen. Sie sehen, die Wähler entscheiden, nicht Umfragen.

    Labuhn: Dennoch sollten die Landtagswahlen, vor allen Dingen im wichtigen Bundesland Baden-Württemberg, nicht im Sinne der FDP ausfallen, würden Sie dann persönliche Konsequenzen für sich ziehen als FDP-Vorsitzender?

    Westerwelle: Da ich mit einem guten Ausgang in Sachsen-Anhalt, in Rheinland-Pfalz und auch in Baden-Württemberg fest rechne, möchte ich mich an diesen Spekulationen auch gar nicht erst beteiligen. Wir haben in Baden-Württemberg eine der erfolgreichsten Landesregierungen deutschlandweit. Da ist die Jugendarbeitslosigkeit bei unter drei Prozent. In unseren europäischen Nachbarländern liegt sie zum Teil bei 30, 40 Prozent, was alleine schon beweist, dass das nicht alles die Weltwirtschaft ist, die den Wirtschaftsaufschwung nach Deutschland gebracht hat, sondern auch kluge eigene politische Weichenstellung hier in Deutschland. Und in Rheinland-Pfalz ist es doch auch so, dass die FDP beste Chancen hat, wieder in die Landesregierung gewählt zu werden, nachdem sie ja die letzten fünf Jahre in der Opposition war. Und deswegen bin ich eigentlich sehr zuversichtlich, dass uns das alles gelingt. Und über negative Szenarien, die man natürlich als Journalist erfragen muss in einem solchen sonntäglichen Interview, reicht es, mit Ihnen darüber zu reden, wenn das eintritt, was Sie beschreiben. Aber ich rechne mit einem sehr guten Ausgang und spekuliere deswegen auch nicht über all diese negativen Szenarien, die so hypothetisch sind. Und durch Hamburg sehe ich mich auch ein wenig bestärkt.

    !1Labuhn: "Nur" – in Anführungszeichen – nur Bundesaußenminister und Vizekanzler zu sein ohne die Bürde des Parteivorsitzes, das wäre doch auch eine Aufgabe, die Sie jetzt gerade angesichts der epochalen Umwälzungen in der arabischen Welt voll ausfüllen würde?

    Westerwelle: Sie nähern sich als Fragesteller äußerst geschickt derselben Spekulation von einer anderen Ecke. Aber Sie bekommen dieselbe Antwort. Es geht jetzt darum, dass wir unsere Arbeit tun, dass wir in der Außenpolitik unsere Arbeit tun, dass wir in der Innenpolitik diese große wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, die übrigens ein Nettolohnzuwachs – ich wiederhole: Einen Nettolohnzuwachs – den Deutschen auch durch unsere Politik beschert hat wie seit 14 Jahren nicht mehr, dass wir all das fortsetzen, auf dem guten Weg bleiben und dass sich Parteien nicht mit sich selbst beschäftigen und auch Politiker sich nicht mit sich selbst beschäftigen, sondern mit dem, was ansteht.

    Labuhn: Herr Westerwelle, vielen Dank.

    Westerwelle: Danke schön.