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Westerwelles Außenwirkung

Guido Westerwelle (FDP) machte zu Beginn seiner Außenminister-Laufbahn keine besonders gute Figur. Kritiker werfen ihm vor, der deutschen Außenpolitik zu schaden. Koalitionspartner aus der CDU finden, dass er inzwischen an Statur gewonnen hat und eine "vorausschauende" Außenpolitik betreibt.

Von Wolfgang Labuhn | 08.11.2012
    "Es ist trostlos; es ist organisierte Trostlosigkeit."

    Dieses vernichtende Resümee zog der Politikwissenschaftler Christian Hacke kürzlich auf einer sicherheitspolitischen Diskussionsveranstaltung in Berlin, als er das gegenwärtige Bild deutscher Außenpolitik beschrieb. Professor Hacke ist als Mann klarer Worte bekannt, der die gegenwärtige deutsche Außenpolitik nicht zum ersten Mal öffentlich attackierte. Aber wird er damit dem zuständigen Ressortchef auch gerecht? Eines jedenfalls kann man Guido Westerwelle nach drei Amtsjahren nicht vorwerfen – mangelnde öffentliche Präsenz. Kaum ein Tag vergeht ohne eine Stellungnahme des Bundesaußenministers zu einem aktuellen Thema, kaum eine Woche ohne Auslandsreise. Vor wenigen Tagen noch in Mali, verfolgte er gestern den Ausgang der US-Präsidentenwahl in einem New Yorker Steakhaus, bevor er ihn im ARD-Studio kommentierte:

    "Wir haben außenpolitisch mit der Administration von Präsident Obama sehr gut zusammengearbeitet. Wir haben auch noch vieles gemeinsam vor."

    Ein wichtiges Projekt nach Obamas Wiederwahl könnte die Einrichtung einer transatlantischen Freihandelszone sein, die Europa und Nordamerika enger als bisher aneinander binden würde. Aber Westerwelle wäre nicht Westerwelle, hätte er nicht gleich auch Ratschläge für die Obama-Administration bereitgehabt:

    "Schuldenfinanzierte Politik ist an ihr Ende gekommen. Das weiß man auch in den USA. Und deswegen rechne ich auch damit, dass Anfang des Jahres dann auch wieder stärker auf Haushaltsdisziplin gesetzt wird und gleichzeitig Wachstumsimpulse geschaffen werden."

    Experten wie der besonnene SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose allerdings runzeln in diesen Tagen die Stirn, wenn sie auf Deutschlands derzeitiges Ansehen beim wichtigsten Bündnispartner zu sprechen kommen:

    "Mein Eindruck ist, dass die Amerikaner vor allem ein größeres Engagement der Deutschen erwarten. Sie sehen Deutschland als das Power House Europas. Sie erwarten, dass Deutschland seine ökonomischen Stärken politisch-strategisch nutzt zum Vorteil Europas und des gesamten Westens. Deutschland dürfe nicht zu einem Land der Neinsager werden, dass bei keinem der drängenden Probleme bereit sei, eine führende Rolle zu übernehmen, so oder so ähnlich hört man es von ganz unterschiedlichen Seiten in Washington."

    Rückblick: 29. Oktober 2009. Der große Weltsaal des Auswärtigen Amtes am Werderschen Markt in Berlin ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als sich Frank-Walter Steinmeier nach vier Jahren von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums verabschiedet und die Amtsgeschäfte seinem Nachfolger, dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle übergibt. Der SPD-Politiker war ein beliebter Amtschef, zum Abschied erhält er stehende Ovationen von den Anwesenden. Die sind nun gespannt auf den ersten Auftritt des Nachfolgers im Außenministerium.

    Der hatte bereits zuvor für negative Schlagzeilen gesorgt. Auf seiner ersten Pressekonferenz nach der Bundestagswahl hatte er einen Korrespondenten der BBC abgekanzelt, der ihn auf Englisch angesprochen hatte:

    "If I may ask in English and you could answer in German …? Ich bitte Sie, dass – bei allem Verständnis dafür – aber so wie es in Großbritannien üblich ist, dass man dort selbstverständlich Englisch spricht, so ist es in Deutschland üblich, dass man hier Deutsch spricht. OK, wir werden übersetzen."

    Ein designierter Außenminister, der nicht Englisch sprechen will? Zurück blieb der Eindruck, Westerwelle sei des Englischen nicht mächtig, obwohl er sich – wie später deutlich wurde – mühelos auf Englisch verständigen kann. Doch der Flurschaden war angerichtet und wirkte noch lange nach. Am Tag der Amtsübernahme aber gab sich Westerwelle bescheiden, fast demütig, als er die Verdienste des Vorgängers würdigte und versicherte:

    "Ich freue mich auf diese Aufgabe, und ich verschweige nicht: Ich habe auch Respekt vor dieser Aufgabe."

    Westerwelle betonte bei dieser Gelegenheit die Kontinuität deutscher Außenpolitik, die er fortsetzen wollte. Auch eigene Schwerpunkte wurden erkennbar. Das Verhältnis zu den kleineren und vor allem zu den östlichen EU-Partnern Deutschlands sollte verbessert werden, eine strategisch angelegte Außenwirtschaftsförderung in enger Kooperation mit der deutschen Wirtschaft wieder stärkeres Gewicht erhalten. Und vorher schon hatte er den Abzug der letzten noch auf deutschem Boden lagernden amerikanischen Atombomben als besonderes Anliegen genannt.

    Mit Schwung machte sich Westerwelle nach der Amtsübernahme an die Arbeit. Seine zahlreichen Antrittsbesuche bei den Partnern Deutschlands absolvierte er mit der zusätzlichen Autorität des Vizekanzlers, so im Januar 2010 in der Türkei, wo sich sein Amtskollege Davutoglu ein hörbares Schmunzeln nicht verkneifen konnte, als Westerwelle Vertragstreue bei den laufenden EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei zusicherte und hinzufügte:

    "Ich spreche hier für die deutsche Bundesregierung und nicht als Privatmann. Ich bin hier nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs, sondern als deutscher Außenminister, und das, was ich hier sage, das zählt!"

    Ein neuer Mann, ein neuer Stil an der Spitze des Auswärtigen Amtes. Doch sein Start stand unter keinem guten Stern, denn es war nicht Westerwelles Außenpolitik, mit der er zu Beginn seiner Amtszeit für Schlagzeilen sorgte. So musste er sich den Vorwurf der Vetternwirtschaft gefallen lassen, als die Medien die Zusammensetzung der Wirtschaftsdelegationen durchleuchteten, die ihn auf seinen ersten Fernreisen begleiteten. Dabei glaubte man, Geschäftsbeziehungen einiger Teilnehmer zu Westerwelles Lebensgefährten Michael Mronz zu entdecken. Auf seiner ersten Lateinamerikareise im März 2010 wies Westerwelle entsprechende Anschuldigungen vehement zurück:

    "Das ist eine sehr erfolgreiche Reise hier in Südamerika, die gut ist auch für Deutschland und für die deutsche Außenpolitik. Und bei dieser Reise spielen diese parteipolitischen Kampagnen und durchsichtigen, auch verleumderischen Manöver aus Deutschland keine Rolle."

    In Deutschland hingegen fragten sich nicht wenige Beobachter, warum sich der frischgebackene Außenminister immer wieder in innenpolitische Debatten einschaltete oder gar selbst lostrat. Für parteiübergreifende Empörung sorgte Westerwelle insbesondere, als er im Februar 2010 eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Höhe der Hartz IV–Regelsätze in einem Beitrag für die Zeitung "Die Welt" mit dem Satz kommentierte:

    "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein."

    Innerhalb nur weniger Wochen hatte Westerwelle das mit dem Amt des Außenministers bisher verbundene hohe öffentliche Ansehen verspielt. Auch die FDP erlitt in den Meinungsumfragen einen Absturz, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat. Westerwelle kostete die Talfahrt der Liberalen schließlich den Posten des Parteivorsitzenden und Vizekanzlers. Ruprecht Polenz (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag:

    "Er hatte am Anfang das Problem, dass er keinen Generalsekretär hatte und sich auch noch als Parteivorsitzender dann eben in andere innenpolitische Fragen sehr stark reingehängt hat, auch sprachlich. Und das passte mit der Wahrnehmung des Amtes des Außenministers für die Menschen nicht so ohne Weiteres zusammen. Das hat aufgehört, spätestens seit er auch nicht mehr Parteivorsitzender ist"."

    Jedenfalls setzte Westerwelle im Sommer und Herbst 2010 unübersehbar zum Neustart an. An Themen mangelte es nicht. Zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise kam die Euro-Schuldenkrise. Der Nahost-Konflikt schwelte weiter, ebenso der Atomstreit mit dem Iran. Die Lage in Afghanistan war, auch für die Bundeswehr, immer schwieriger geworden. Nicht zuletzt dank seines persönlichen Engagements wurde Deutschland von der UN-Vollversammlung für die Jahre 2011 und 2012 als nicht-ständiges Mitglied in den Sicherheitsrat gewählt: Der erste greifbare Erfolg seiner Amtszeit.

    Der Beginn dieser Mitgliedschaft fiel zusammen mit dem sogenannten "arabischen Frühling" in Tunesien und Ägypten – Umwälzungen, die Westerwelle geradezu enthusiastisch begrüßte. Nur zwei Wochen nach dem Rücktritt des ägyptischen Präsidenten Mubarak besuchte er am 24. Februar 2011 als einer der ersten europäischen Spitzenpolitiker Kairo, um sich von der Übergangsführung den geplanten Reformprozess erklären zu lassen. Auf dem Tahrir-Platz, dem Zentrum der Anti-Mubarak-Proteste, feierten Oppositionelle begeistert den Besucher aus Deutschland, der sich kräftig vom Hauch der Geschichte umweht fühlte:

    ""Das ist ein ganz berührender Moment hier, etwas ganz Besonderes. Das rührt schon an, was Sie hier merken – hier wird ein Stück Weltgeschichte geschrieben!"

    Im "arabischen Frühling" schien Westerwelle endlich seine Rolle als deutscher Außenminister gefunden zu haben. Sein Vorschlag einer "Transformationspartnerschaft" mit den arabischen Reformstaaten wurde auch von der EU übernommen. Doch dann kam der 17. März 2011. Als nicht-ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates enthielt sich Deutschland – wie auch die Veto-Mächte Russland und China – überraschend der Stimme, als über die Resolution 1973 abgestimmt wurde, die eine militärische Unterstützung der Rebellen in Libyen ermöglichte.

    Obwohl es sich um eine Entscheidung der Bundesregierung handelte, an der auch Bundeskanzlerin Merkel und Verteidigungsminister de Maizière beteiligt waren, geriet vor allem Westerwelle ins Kreuzfeuer der Kritik – bis heute. Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, wirft Westerwelle weiterhin vor, die deutsche Außenpolitik damit schwer beschädigt zu haben:

    "Die Fehler, die – glaube ich – im Zusammenhang mit Libyen gemacht worden sind, auch mit der besonderen Form der Sicherheitsratsresolution, auf der einen Seite 1970 zuzustimmen, z. B. das Waffenembargo zu überwachen, und bei 1973 dann plötzlich die Schiffe wieder abzuziehen – das hat doch nachhaltige Wirkung gezeigt und das hat, glaube ich schon, der deutschen Außenpolitik gegenüber den Partnern nicht gut getan."

    Und für SPD-Fraktionsvize Gernot Erler, bis 2009 Staatsminister im Auswärtigen Amt, ist es besonders problematisch, ...

    "...dass eben hinterher so getan wurde, als sei das sozusagen Teil einer Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik. Und ich weiß nicht, welches Vertrauen das erwecken soll, wenn jetzt Deutschland behauptet, man müsste in Zukunft mehr mit China und mit Russland international zusammenarbeiten. Das ist nun wirklich ein Kontinuitätsbruch."

    Ende Oktober 2012. Der Empfang im kleinen Besprechungsraum neben dem Ministerbüro im Auswärtigen Amt ist freundlich. Westerwelle bietet Kaffee und Gebäck an, bevor er auf seine bisherige Amtsführung zurückblickt. Seine neue, schwarz gerahmte Brille strahlt Seriosität aus, ruhig und hoch konzentriert beantwortet er alle Fragen, auch die nach den Gründen für die deutsche Stimmenthaltung im Sicherheitsrat im März 2011. Das sei eine sicherlich umstrittene Entscheidung gewesen, räumt Westerwelle heute ein:

    "Aber ich habe diese Entscheidung abgewogen, und ich verantworte sie auch, und ich habe sie auch ausreichend erklärt und erläutert. Das hat ja nicht bedeutet, dass wir in der Lage seinerzeit neutral gewesen wären. Es hat nur gezeigt, dass wir auf andere Weise und nicht mit eigenen Soldaten unseren Beitrag leisten wollten. Das Ansehen und der Respekt und auch die Autorität Deutschlands in der Welt kommt ja nicht zuerst von unseren Kampfeinsätzen oder von der Größe unserer Armee, sondern es kommt von unserer wirtschaftlichen Kraft, von unserer auf Ausgleich bedachten Diplomatie und natürlich auch aus einem klaren Bekenntnis der Deutschen zur Solidarität in Notlagen mit anderen Ländern."

    Als nicht-ständiges Mitglied des Sicherheitsrates scheint es Deutschland allerdings gelungen zu sein, einen Teil des am 17. März 2011 zerschlagenen Porzellans wieder zu kitten – so jedenfalls der Eindruck des CDU-Politikers Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag:

    "Wir hatten Federführung etwa bei Afghanistan, bei dem Sanktionsregime gegenüber dem Iran und haben da, glaube ich, eine gute Rolle gespielt, und Deutschland hat, denke ich, an Reputation in der Weltgemeinschaft durch diese zwei Jahre
    gewonnen."

    Westerwelle selbst nennt als Erstes das Thema Afghanistan, wenn man ihn in diesen Tagen um einen Rückblick auf drei Jahre schwarz-gelbe Außenpolitik bittet:

    "Ich denke, dass es uns gelungen ist, unsere Truppen aus Afghanistan zurückzuholen, den Abzug einzuleiten, ohne dass es Zerwürfnisse im Bündnis gegeben hat. Das ist eine gute und auch sehr respektable Leistung der deutschen Außenpolitik. Dieses ist für mich auch ganz persönlich ein Prinzip: Politische Lösungen haben Vorrang. Und es wird in Afghanistan nur eine politische Lösung geben und keine militärische, auch wenn wir eine politische Lösung militärisch und mit Sicherheitskräften unterstützen mussten."

    Und auch in Mali, wo die EU bereit ist, die Staatsführung im Kampf gegen islamistische Separatisten zu unterstützen, mahnt er zu militärischer Zurückhaltung:

    "Es wird zu viel über einen Militäreinsatz in Mali gesprochen und zu wenig über das, was jetzt erst einmal erfolgen muss. Nämlich die Erarbeitung eines politischen Konzeptes, damit eine politische Lösung, die auch Vorrang hat, möglich wird."

    Doch die deutsche Sicherheitspolitik, an deren Gestaltung das Auswärtige Amt maßgeblich beteiligt ist, weist Widersprüche auf. Um das langfristige Ziel einer Welt ohne Nuklearwaffen zu unterstreichen, hat Westerwelle eine "Nichtverbreitungs- und
    Abrüstungsinitiative" ins Leben gerufen, an der sich eine Reihe nicht atomar bewaffneter Staaten beteiligen. Zugleich hat Deutschland im November 2010 in Lissabon jedoch ohne Wenn und Aber dem neuen Strategischen Konzept der NATO zugestimmt, in dem sich das Bündnis explizit als nukleare Verteidigungsgemeinschaft präsentiert - solange es auf der Welt Atomwaffen gibt.

    Und vom Abzug der letzten US-Atombomben aus Deutschland spricht der Außenminister schon lange nicht mehr. Kritiker werfen der schwarz-gelben Koalition und damit auch dem Außenminister ferner vor, mit Waffenexporten wie etwa der offenbar geplanten Lieferung von Leopard-2–Kampfpanzern an Saudi-Arabien der weltweiten Aufrüstung Vorschub zu leisten:

    "Hier haben wir den Eindruck, dass die Bundesregierung die strengen Regeln, die seit Januar 2000 gelten, mehr oder weniger aushebelt und unbeachtet lässt, auch um damit ein anderes Problem zu lösen, nämlich die Tatsache, dass bei dem Umbau der Bundeswehr und der Verkleinerung weniger Aufträge an die deutsche Rüstungsindustrie erteilt werden, soll kompensiert werden durch eine Aufweichung der Kriterien für Rüstungsexporte."

    So SPD-Fraktionsvize Gernot Erler, während sein Fraktionskollege Rolf Mützenich dem Außenminister vorhält, kein Wort zur geplanten Ausrüstung der Bundeswehr mit ethisch umstrittenen Waffensystemen wie Drohnen, also unbemannten Fluggeräten, zu verlieren:

    "Der Verteidigungsminister hat sich da ja sehr frühzeitig auch positioniert. Und nach meinem Dafürhalten wäre es gerade für einen Außenminister, der ja vom Ressort auch für die Sicherheitspolitik zuständig ist, auf der anderen Seite auch Völkerrecht mit zu konzipieren hat, aber auch ethische Fragen, durchaus angemessen, zu diesem Thema sich bemerkbar zu machen."

    Zumal sich der Außenminister nach dem Eindruck Gernot Erlers ansonsten eher zu oft als zu wenig zu Wort meldet:

    "Ich kriege jetzt eigentlich täglich Äußerungen von Herrn Westerwelle auf den Tisch - das war früher tatsächlich am Anfang nicht so – zu beliebigen Themen, zu ganz
    unterschiedlichen Kontinenten, Sachfragen. Er äußert sich zu allem und zu jedem, aber gerade dadurch holt er das nicht auf, was er am Anfang versäumt hat, weil überhaupt keine Prioritätensetzung zu erkennen ist. Es gibt auch kein Projekt, wo man sagen könnte, aha, das soll jetzt ein deutsches Projekt in der internationalen Politik sein."

    Besonders schmerzlich vermisst Erler das angesichts der Euro-Krise in der Europa-Politik, die Westerwelle praktisch kampflos aufgegeben und dem Kanzleramt bzw. dem Finanzministerium überlassen habe – ein Vorwurf, den der Außenminister zurückweist:

    "Ich glaube, es ist uns gelungen, die Debatte zu Europa wieder ins Positive zu wenden. Dadurch, dass wir selber auch uns so klar pro-europäisch aufgestellt haben, haben auch viele andere europäische Bekenner wieder Mut gefasst und sich gegen diesen Zeitgeist der Re-Nationalisierung aufgestellt. Und das bleibt sicherlich auch eine wirklich gute Leistung der deutschen Außenpolitik."

    Am nachhaltigsten aber und von der breiten Öffentlichkeit am wenigsten wahrgenommen werde ein weiterer Schwerpunkt seiner Außenpolitik:
    "Das ist die vorausschauende Außenpolitik, nämlich zu erkennen, dass in einer multipolaren Welt es nicht nur um die alten Freunde gehen kann – diese Freundschaften werden wir pflegen -, sondern dass wir vor allem neue, strategische Partnerschaften begründen müssen mit den wachsenden Kraftzentren in der ganzen Welt - in Lateinamerika genauso wie in Asien. Und das ist nicht nur das große China, das große Indien, das große Brasilien, das sind eine ganze Anzahl von Ländern und Staaten, die sich auf den Weg gemacht haben als Erfolgsgeschichten. Und diese wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten in der Türkei, in Kolumbien, in Vietnam und in vielen anderen Ländern, die werden ja auch zu politischer neuer Autorität führen dieser Länder in der internationalen Politik."

    Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz bescheinigt Guido Westerwelle unterdessen, nach seinem holprigen Start als Außenminister an Statur gewonnen zu haben:

    "Ich glaube, er hat jetzt eine Wahrnehmung des Amtes, die ihm Respekt einträgt, sowohl im Kreis der europäischen Kollegen von ihm als auch international, so wie es dem Gewicht Deutschlands auch zukommt. Ich glaube, dass man ihm auch anmerkt, dass ihm das Amt auch immer mehr Freude bereitet."

    Eine Einschätzung, die Kritiker schwarz-gelber Außenpolitik wie der SPD-Abgeordnete Rolf Mützenich freilich nicht teilen:

    "Themen doch nicht so ernsthaft über einen langen Zeitraum mit langem Atem zu besetzen – das ist etwas, was ich gerade auch im Vergleich zu früheren Außenministern leider vermisse. Und am Ende der Legislaturperiode werden wir uns in der Tat fragen müssen: Was bleibt davon