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Westjordanland
Strom für einen eigenen Staat

Stromausfälle mehrmals am Tag - für viele Palästinenser gehört das zum Alltag. Die staatliche israelische Elektrizitätsgesellschaft schraubte die Stromlieferungen immer wieder zurück. Eine Einigung soll die Energiekrise jetzt beenden. Eigener Strom für die Palästinenser wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem eigenen Staat.

Von Benjamin Hammer | 10.10.2016
    Stromleitungen vor karger Landschaft
    Stromleitungen am Krankenhaus in Tubas im Westjordanland (Deutschlandradio / Benjamin Hammer)
    Im Labor des Krankenhauses von Tubas, einer Stadt im Nordosten des palästinensischen Westjordanlandes. Ein Gerät analysiert die Blutproben von Patienten. Das Krankenhaus ist hochmodern, und Chefarzt Mohammed Samara kann nicht klagen, wären da nicht die ständigen Stromausfälle. Während des Interviews gehen plötzlich alle Lichter aus. Nach Aussage von Chefarzt Samara kann das mehrmals am Tag passieren.
    "Wenn der Strom ausfällt, dann erschrecken sich die Patienten. Es herrscht dann totale Verwirrung, auch bei den Ärzten."
    Manchmal, sagt Samara, fallen auch die Generatoren aus. Die Dialysegeräte und die Intensivstation werden dann mit Batterien versorgt. Die halten aber nur für eine Stunde. Glücklicherweise, sagt der Arzt, kam der Strom bisher immer rechtzeitig zurück.
    Mohammed Samara an seinem Schreibtisch
    Mohammed Samara, Chefarzt und Leiter des Krankenhauses in Tubas im Westjordanland (Deutschlandradio / Benjamin Hammer)
    Stromausfälle wie in Tubas soll es bald nicht mehr geben. Das zumindest sieht ein neuer Vertrag zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde vor. Fast der gesamte palästinensische Strombedarf wird von Israel gedeckt. Die staatliche israelische Elektrizitätsgesellschaft hatte in der Vergangenheit jedoch mehrfach die Stromlieferungen verringert oder unterbrochen. Der Grund: Die Palästinenser hatten Schulden in Höhe von umgerechnet einer halben Milliarde Euro angehäuft. Israels Finanzminister Moshe Kahlon:
    "Mit dieser Einigung sichern wir die Stromversorgung für die Palästinenser. Wir stärken damit auch die dortige Wirtschaft. Und das wiederum liegt in Israels Sicherheitsinteresse."
    Der Vertrag beendet einen jahrelangen Disput. Er sieht vor, dass die israelische Elektrizitätsgesellschaft den Palästinensern 40 Prozent der Schulden erlässt. Künftig verhandeln die Israelis nicht mehr mit einzelnen Kommunen und Haushalten, was zu viel Chaos führte, sondern nur noch mit der Palästinensischen Energiebehörde. Außerdem sollen die Tarife gesenkt werden. Diese seien viel zu hoch, so sieht das Fuad Amleh, der Direktor der Palästinischen Energiebehörde. Er hofft, dass faire Preise zu pünktlichen Zahlungen führen. Und die Israelis verlässlich liefern.
    "Jeder Ausfall macht die Palästinenser sehr nervös. Sie spüren die Besatzung. Die Israelis politisieren die Energie. Und sie nutzen das als Teil einer Bestrafung."
    Ein Vorwurf, den die zuständige israelische Behörde zurückweist. Strom liege außerhalb des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern.
    Fuad Amleh von der Energiebehörde bewertet die Einigung mit den Israelis noch mit Vorsicht. Die Details müssten noch verhandelt werden. Außerdem sei man mittelfristig weiterhin komplett abhängig von den Israelis und das sei schlecht.
    Doch dabei soll es nicht bleiben. Die Palästinenser sollen die Kontrolle über die Stromnetze erhalten und schließlich eigene Kraftwerke im Westjordanland betreiben. Bisher gibt es dort kein einziges. Amleh träumt von einer Hochspannungsleitung zwischen den beiden voneinander abgeschotteten palästinensischen Gebieten: dem Gazastreifen an der Küste und dem Westjordanland.
    "Das alles hat positive politische Auswirkungen. Ein eigenes Energiesystem: Das ist ein sehr wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem eigenen palästinensischen Staat."
    Im Krankenhaus von Tubas hoffen sie, dass die vielen Stromausfälle bald ein Ende haben. "Wir wollen einfach nur vernünftig unsere Arbeit machen", sagt Chefarzt Samara, "und den Patienten helfen".