Donnerstag, 18. April 2024

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Reform des Verfassungsgerichts
Europarat sieht Polens Demokratie in Gefahr

Eine Expertenkommission des Europarats hat die umstrittene Reform des polnischen Verfassungsgerichts als Gefahr für die Demokratie bewertet. Die Änderungen könnten das Gericht "als Hüter der Verfassung wirkungslos machen", heißt es in dem Bericht. Ob die EU-Kommission weitere Schritte einleiten wird, ist noch nicht klar.

11.03.2016
    Das polnische Verfassungsgericht in Warschau am 9. März 2016
    Das polnische Verfassungsgericht in Warschau am 9. März 2016 (imago stock & people)
    Das Gericht sei gelähmt worden, urteilte die Europäische Kommission für Demokratie - auch Venedig-Kommission genannt - in ihrem am Freitag veröffentlichten Bericht. Dies unterminiere Demokratie, Menschenrechte und die Herrschaft des Rechts. "So lange das Verfassungsgericht seine Arbeit nicht wirksam ausführen kann, ist nicht nur die Herrschaft des Rechts in Gefahr, sondern auch die Demokratie und die Menschenrechte", hieß es in dem Bericht.
    Die in Polen seit Herbst regierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit hatte die Reform des Verfassungsgerichts im Dezember mit ihrer Parlamentsmehrheit beschlossen. Kritiker sehen das Verfassungsgericht dadurch praktisch lahmgelegt, so dass es als Kontrollinstanz der Regierung ausfällt. In Polen protestierten Zehntausende gegen die Politik der Regierung. Auch die EU und die USA äußerten sich besorgt.
    Regierung will Urteil des Gerichts nicht umsetzen
    Die sogenannte Venedig-Kommission des Europarats rief die nationalkonservative Warschauer Regierung auf, die Entscheidungen des Gerichts zu achten. Das Verfassungsgericht hatte das Gesetz über die Arbeit seiner Richter gerade selbst für verfassungswidrig erklärt. Die Regierung will dieses Urteil aber nicht im Amtsblatt veröffentlichen und damit unwirksam machen.
    Dies wäre ein nie da gewesener Schritt, der die Verfassungskrise weiter vertiefen würde, warnte die Kommission bei ihrem Treffen in Venedig. Die Stellungnahme hat auch Bedeutung für das Prüfverfahren der EU-Kommission zur Rechtsstaatlichkeit in Polen.
    Zwei zentrale Kritikpunkte der Kommission
    Die Verfassungsexperten kritisieren vor allem zwei Punkte: Eine Zwei-Drittel-Mehrheit der 15 Richter für Urteile und die Pflicht, Klagen chronologisch nach ihrem Eingang bei Gericht abzuarbeiten. Umstrittene Gesetze könnten so womöglich erst nach Jahren zur Verhandlung kommen. Die Änderungen könnten "zu einer ernsthaften Verzögerung der Aktivität des Gerichts führen und es als Hüter der Verfassung wirkungslos machen", heißt es in der Stellungnahme.
    Der polnische Europaminister Konrad Szymanski kritisierte, die Venedig-Kommission habe lediglich die "Argumentation der einen Seite wiederholt". "Ein Verfassungsproblem ist kein Match, bei dem einer gewinnt und einer verliert", sagte er in Venedig. "Ich fürchte, dass das nur die Meinung der Opposition erhärtet, die Sache mit Hilfe von Einmischung, internationalen Instrumenten und europäischen Organisationen zu regeln."
    Die Venedig-Kommission

    Die Venedig-Kommission berät Staaten in verfassungsrechtlichen Fragen. Sein Urteil ist nicht bindend, könnte aber Einfluss auf eine separate Untersuchung der EU haben. Sie wurde am 10. März 1990 vom Ministerkomitee des Europarates nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gegründet. Die Venedig-Kommission hat 58 Mitglieder. Auch Staaten, die nicht zum Europarat gehören, können Vollmitglieder werden. Das Verfahren der Behörde ist bislang beispiellos. Es beruht auf einem erst 2014 geschaffenen Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten.
    EU-Kommission entscheidet nach Ostern
    Die EU-Kommission wird erst nach Ostern über den weiteren Verlauf ihres Prüfverfahrens entscheiden und will dazu nach Angaben eines Sprechers auch die Einschätzung der Europarats-Experten auswerten. In dem Verfahren soll geprüft werden, ob es eindeutige Anzeichen für eine "systembedingte Gefahr" für die Rechtsstaatlichkeit in Polen gibt. Nur wenn dies der Fall ist, könnte die Regierung in weiteren Schritten offiziell aufgefordert werden, Änderungen herbeizuführen.
    Vor der Regierungskanzlei der polnischen Regierungschefin Beata Szydlo hatten auch in der Nacht zu Freitag Demonstranten ausgeharrt und die Veröffentlichung des Urteils des Verfassungstribunals zu dem umstrittenen Gesetz verlangt. Die Venedig-Kommission wies darauf hin, dass Hintergrund der Reform ein Streit um die Besetzung des Gerichts sei. Sie rief Regierung und Opposition daher auf, alles für eine Lösung der Krise zu tun.
    (nch/tzi)