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"Landscapes" mit Haydn, Takemitsu, Bartók
Die Lust, es bis zum Äußersten zu treiben

Das 2007 in Köln gegründete Schumann-Quartett spielt jetzt für drei Jahre am New Yorker Lincoln Center - die Karriereträume der vier jungen Musiker scheinen sich zu erfüllen: Ihre gerade erschienene dritte CD ist eine "klangmalerische Reise" zu den - teils japanisch beeinflussten - Ursprüngen des Ensembles.

Von Norbert Hornig | 02.04.2017
    "In der japanischen Musik ist das Wichtigste der Raum, nicht der Ton". Toru Takemitsu wiederholte in "Landscape I" das Thema vierzehnmal. Die Musik entwickelt sich quasi aus dem Nichts, driftet in eine entrückte Atmosphäre der Zeitvergessenheit.
    "In der japanischen Musik ist das Wichtigste der Raum, nicht der Ton". Toru Takemitsu wiederholte in "Landscape I" das Thema vierzehnmal. Die Musik entwickelt sich quasi aus dem Nichts, driftet in eine entrückte Atmosphäre der Zeitvergessenheit. (imago/Chromorange)
    Wettbewerbe können für junge Musiker von großer Bedeutung sein, wenn es darum geht, dauerhaft auf dem Konzertpodium Fuß zu fassen. Aber ein Garant für Erfolg sind sie noch lange nicht. Das Schumann Quartett ist ein gutes Beispiel dafür, wie positiv sich die Dinge entwickeln können.
    Nach dem Gewinn des 1. Preises beim renommierten internationalen Streichquartett-Wettbewerb in Bordeaux 2013 öffneten sich für das heute in der Besetzung mit den Brüdern Erik, Mark und Ken Schumann sowie der aus Tallinn stammenden Bratschistin Liisa Randalu spielende Ensemble weltweit die Türen der Konzertsäle, jetzt änderte sich plötzlich alles.
    Für drei Jahre sind die vier Musiker in Residence am New Yorker Lincoln Center, auch das ist eine Auszeichnung. Die jahrelange harte Aufbauarbeit zahlt sich für das 2007 in Köln gegründete Ensemble nun aus, die Karriereträume der vier jungen Musiker scheinen sich zu erfüllen. Gerade hat das Schumann Quartett seine dritte CD vorgelegt, die gleichzeitig sein Debüt beim Label Berlin Classics ist. Das Album trägt den Titel "Landscapes" und die Musiker sehen darin eine "Klangmalerische Reise" zu den Ursprüngen ihres Ensembles, wie im Booklet zu lesen ist.
    Joseph Haydn, Streichquartett B-Dur op. 76, 4 "Sonnenaufgang", 1. Satz (Allegro con spirito), Schumann Quartett
    Ganz natürlich, ohne Schnörkel und wie selbstverständlich intoniert das Schumann Quartett diesen thematisch markanten Anfang des 1. Satzes aus dem Streichquartett op. 76 Nr. 4 von Joseph Haydn. Die sich in mehreren Anläufen aufschwingende Geigenmelodie hat dem Werk den Beinamen "Sonnenaufgangs-Quartetts" eingebracht.
    Man deutete diesen Beginn als ein romantisches Klangerlebnis, ein Streben ins Licht in Analogie zu einer ganz ähnlichen Stelle in Haydns Oratorium "Die Schöpfung". Diese Stelle duldet keine Übertreibung, keinen Manierismus, all dies würde den Sinngehalt verfälschen und die Passage aus der Balance bringen, sie geradezu ungenießbar machen.
    Das Schumann Quartett weiß, worauf es hier ankommt: nämlich sich zurückzuhalten, die Musik einfach für sich sprechen zu lassen und ihr nichts aufzuzwingen. Es ist regelrecht wohltuend, wie sich dieses Ensemble jeder Übertreibung enthält, wie stilsicher und kultiviert es mit der so fein ausbalancierten Klangsprache Haydns umgeht. Im Finale lässt es dann auch der Spielfreude freien Lauf.
    Joseph Haydn, Streichquartett B-Dur op. 76, 4 "Sonnenaufgang", 4. Satz (Finale)
    "Landscapes", das neue Album des Schumann Quartetts, bringt Werke zusammen, die das Ensemble gern und häufig auch in Konzerten spielt. Inhaltlich hat es aber auch mit der Herkunft der Musiker zu tun. Die Mutter der Brüder Erik, Mark und Ken ist Japanerin. Und so steht die Komposition "Landscape I" für Streichquartett des legendären japanischen Komponisten Toru Takemitsu im Zentrum der Aufnahme.
    "In der japanischen Musik ist das Wichtigste der Raum, nicht der Ton", mit nur wenigen Worten charakterisierte Takemitsu diese Quartettkomposition von 1960, in der das Thema vierzehnmal wiederholt wird. Die Musik entwickelt sich quasi aus dem Nichts, und der Hörer wird in eine meditative Stimmung versetzt, er driftet in eine entrückte Atmosphäre der Zeitvergessenheit. Einflüsse von Impressionismus, Serealismus und Avantgarde begegnen sich hier, von Takemitsu kunstvoll verwoben mit Stilmitteln der traditionellen und zeitgenössischen japanischen Musik. Das Schumann Quartett destilliert diesen spezifischen Tonfall heraus, kristallin und ganz klar nimmt Takemitsus Klangwelt unter seinen Händen Gestalt an.
    Toru Takemitsu, "Landscapes" für Streichquartett
    In seiner neuen Aufnahme ruft das Schumann Quartett sein Können in einer sehr weit gefassten stilistischen Bandbreite ab. Nach dem ätherischen Klangerleben in Toro Takemitsus "Landscape I" betritt es mit Béla Bartóks zweitem Streichquartett zwar wieder festen Boden, doch raffinierte Klangwirkungen spielen auch in diesem frühen Werk Bartóks eine wesentliche Rolle. Es entstand während des Ersten Weltkrieges und ist noch deutlich von Spätromantik und Expressionismus beeinflusst. Mit einem weit ausschwingenden Thema, das auch folkloristische Einfärbungen erkennen lässt, hebt der erste Satz schwermütig an, auch hier blickt das Schumann Quartett tief bis auf den Grund.
    Béla Bartók. Streichquartett Nr. 2 SZ 67, 1. Satz (Moderato)
    Die Melancholie des ersten Satzes überträgt Béla Bartók auch in den dritten Satz seines zweiten Streichquartetts, noch tief gehender allerdings und noch schwärzer wird die Stimmung dort ganz am Ende. Zwischen die finsteren Außensätze des Werkes hat er jedoch ein "Allegro molto capriccioso" gestellt, das vor Brillianz und Virtuosität förmlich explodiert.
    Auch hier ist das Schumann Quartett ganz in seinem Element. Die Präzision und technische Souveränität, mit der die vier Musiker hier aufspielen, sind einfach enorm. Aus der Melancholie und Schwermut des ersten Satzes heraus entfachen sie ein loderndes Feuer an Temperament und rasanter Spielfreude.
    Béla Bartók, Streichquartett Nr. 2 SZ 67, 2. Satz (Allegro molto capriccioso)
    Die Musiker des Schumann Quartetts empfinden den Fortgang ihrer künstlerische Entwicklung in den letzten Jahren als regelrechten "Quantensprung". Das Ensemble habe Lust darauf, schreibt der zweite Geiger Ken Schumann im Begleittext zur CD, es bis zum Äußersten zu treiben und zu probieren, wie die Spannung und die gemeinsame Spontaneität tragen. Die vier Musiker seien heute bereit, mehr denn je Risiken einzugehen.
    Ein Werk entwickle sich nur "live", meint Schumann. Auf der Bühne falle jede Imitation weg, und man werde automatisch ehrlich zu sich selbst. Dann könne man eine Verbindung mit dem Publikum herstellen und kommunizieren. Und so war dem Schumann Quartett ein wichtiges Anliegen, den Zauber eines Livekonzertes auch in seine neue Aufnahme zu übertragen. An einem der beiden Aufnahmetage spielte es deshalb auch "live" im Konzert vor Publikum.
    Und etwas von einem Live-Gefühl teilt sich auch im letzten Werk der CD mit. Das Schumann Quartett setzt hier mit "Fratres" von Arvo Pärt einen beeindruckenden Schlusspunkt. Das Werk ist an kein Instrument gebunden, seit 1977 hat es in mannigfaltigen Besetzungen seine Reise um die Welt angetreten.
    Der Titel "Fratres", was übersetzt "Brüder" heißt, ist der sinngebende Fokus dieser klangsinnlich-esoterischen und direkt zugänglichen Musik. Könnte er besser passen als zum Schumann Quartett, in dem drei Brüder zusammen musizieren und eine Bratschistin, die ebenfalls aus Estland stammt wie der Komponist Arvo Pärt, mit dem die Musiker das Werk einstudierten?
    Arvo Pärt, Fratres
    "Fratres" von Arvo Pärt, eine Musik bei der man beim Zuhören Raum und Zeit vergessen möchte. Das Schumann Quartett hat das auch in anderen Instrumentierungen bekannte Werk zusammen mit Kompositionen von Joseph Haydn, Toru Takemitsu und Béla Bartók für Berlin Classics eingespielt.