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EU-Asylpolitik
"Solidarität ist ein Kernprinzip Europas"

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat die Flüchtlingspolitik der EU als spalterisch und wirkungslos kritisiert. Mit seinen Aussagen spiele er vor allem den Visegrad-Staaten in die Hände, sagte Andrea Despot, Direktorin der Europäischen Akademie Berlin, im Dlf. Viele osteuropäischen Staaten hätten sich schon von der EU entsolidarisiert.

Andrea Despot im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann  | 14.12.2017
    Menschen waschen ihre Kleidung von Hand in einem provisorischen Flüchtlingslager im Hafen von Piräus in Griechenland.
    In Griechenland sind Zehntausende Flüchtlinge gestrandet - wie hier im Hafen von Piräus. Die Verteilung von Flüchtlingen ist ein strittiger Punkt innerhalb der EU. (picture alliance / dpa / Simela Pantzartzi)
    Dirk-Oliver Heckmann: Zugehört hat Andrea Despot. Sie ist Direktorin der Europäischen Akademie Berlin. Schönen guten Abend!
    Andrea Despot: Guten Abend!
    Heckmann: Frau Despot, Ratspräsident Donald Tusk sagt, Europa ist gespalten, und zwar beim Euro in Nord und Süd und bei der Flüchtlingspolitik in Ost und West. Teilen Sie diese Analyse?
    Despot: Auf der Beschreibungsebene hat Donald Tusk recht. Man muss sagen, es ist fast wie das Kind in des Kaisers neue Kleider. Er beschreibt den Zustand, den Istzustand eigentlich sehr treffend, denn die Migrationsagenda, die Migrationspolitik - der Kollege hat es gerade erläutert -, das war ja nur eine Behelfslösung, eine Krücke, die seit 2015 installiert worden ist, also die quotierte Umverteilung. Und jetzt stehen wir an der Schwelle, daraus eine nachhaltige, eine kohärente Politik zu stricken.
    Was natürlich die politische Dimension anlangt, da spielt Donald Tusk den Visegrad-Staaten in die Hände. Das heißt, sie leiten diese Sprengkraft darauf ab, weil sie sich natürlich dadurch bestärkt fühlen, während diejenigen, die Flüchtlinge und Asylsuchende aufgenommen und umverteilt haben, salopp gesagt, eine lange Nase gefühlt bekommen.
    "Regime schlagen politisches Kapital aus Parolen"
    Heckmann: Frau Despot, diese Spaltung, die da zu beobachten ist seit 2015, die ist ja weiß Gott nicht neu. Was ist denn der Grund dafür, aus Ihrer Sicht der ausschlaggebende Grund, dass es da noch überhaupt keinen Fortschritt offenbar gegeben hat?
    Despot: Weil es eine innenpolitische Dimension gibt vor allem in den Visegrad-Staaten. Wir haben es zum Teil mit Regimen zu tun oder mit Lenkern – Orbán sei hier stellvertretend genannt, oder auch Kaczynski -, die politisches Kapital schlagen aus diesen, zum Teil rechtspopulistischen Parolen und aus den Ressentiments, die sich ableiten, gegen Muslime, gegen vermeintliche Terrorgefahr, die "eingeschleppt" wird durch Flüchtlinge. Aus der Gemengelage heraus und dann auch aus der gewissen Asymmetrie innerhalb Europas, wonach man sich gegängelt, gedrängelt fühlt von den größeren Staaten, in dem Falle jetzt Deutschland, das ja im Vorfeld der Dublin-Regelung nicht immer ja solidarisch war mit anderen, jetzt aber Solidarität einfordert, ist das Ganze ein bisschen in die Schieflage gekommen.
    Heckmann: Donald Tusk hat heute auch gesagt, diese Quotenregelung, die ist wirkungslos und spalterisch. Das steht in seinem Dokument drin. Hat er aber in der Sache nicht wirklich recht, oder ist spalterisch diese, von Ihnen beschrieben egoistische Haltung der Visegrad-Staaten?
    Despot: Na ja. Die Spaltung ist ja schon vorhanden. Das ist ja die Beschreibung des Istzustandes. Die Visegrad-Staaten, also Ost und West, haben sich ja in der Sache bereits gespalten. Wir hantieren ja bereits mit dem EuGH, mit dem Europäischen Gerichtshof. Es wird von Kürzungen der Finanzmittel gesprochen und gedroht. Das heißt, das ist ja schon eine Eskalationsstufe, die ja schon vorhanden ist und die schon existiert.
    Heckmann: Das ist richtig. Aber die Frage ist ja, wer ist dafür verantwortlich. Ist es der Egoismus der Visegrad-Staaten, oder trägt diese Quotenregelung, auf die man sich verständigt hatte, zur Spaltung bei?
    Despot: Es ist auf jeden Fall so, dass die Visegrad-Staaten sich entsolidarisieren und auch von ihrer Politik nicht abrücken, auch wenn man hier kleine Nuancen schon erkennen kann. Die 35 Millionen Euro, die sie heute im Gepäck hatten zum Thema Grenzschutz Italien/Libyen, das kann man schon auch deuten als Geste, wo man ausweicht auf finanzielle Solidaritätsleistungen, die über Ausgleichszahlungen hinausgehen für nicht aufgenommene Flüchtlinge. Man könnte darin einen Ansatz für eine Kompromissformel sehen.
    "Solidarität ist ein Kernprinzip Europas"
    Heckmann: Daraus könnte am Ende auch eine kohärente Politik entstehen?
    Despot: Es wäre zumindest ein Ansatz, wenn man jetzt nicht darauf beharrt, auch wenn Solidarität natürlich ein Kernprinzip Europas ist. Darauf fußt Europa. Aber man könnte durchaus überlegen, vielleicht muss Solidarität nicht auf demselben Feld entgegengebracht werden, sondern man könnte über Solidaritätsleistungen auf anderem Gebiet hinweisen. Und der Grenzschutz, da zeigen die Visegrad-Staaten ja mit ihrer Geste, dass sie in die Richtung denken und auch bereit sind, einen Obolus zu bezahlen, dass das vielleicht eine Ausgleichsformel sein könnte.
    Heckmann: Das ist allerdings auch ein Beitrag zum Ausbau der Festung Europas. So würden die Kritiker sagen.
    Despot: Genau! Das birgt gewisse Risiken, weil man natürlich diese beiden Komponenten hat. Man muss aus meiner Sicht sehr wohl zu einer internen Lösung kommen, zu einer kohärenten Asyl-, Flüchtlings-, Visa- und Arbeitsmarktpolitik. Man braucht reguläre Mobilitätsoptionen einerseits. Andererseits braucht man den Grenzschutz. Wenn man jetzt nur delegiert an Drittstaaten und an Grenzschutz, dann wird man der Sache nicht gerecht und springt zu kurz.
    Heckmann: Angela Merkel hat Solidarität nach innen eingefordert. Das tut auch der SPD-Chef Martin Schulz. Gleichzeitig hat ja Schulz die Vereinten Nationen von Europa bis 2025 gefordert, und wer da nicht mitmacht, der fliegt raus. Wie passt das aus Ihrer Sicht zusammen mit der Forderung nach Solidarität?
    Despot: Aus meiner Sicht kommt diese Forderung aus einer anderen Richtung. Aus meiner Sicht ist das an die Adresse der SPD gerichtet. Die Forderung ist ja jahrhundertealt, kann man sagen. Seit dem 18. Jahrhundert in den 19/20er-Jahren hat die SPD 1925, um genau zu sein, diese Forderung ja schon formuliert. Es ist eher eine Botschaft an die eigene Partei zum 100-jährigen Jubiläum dieses politischen Schlagwortes der Vereinigten Staaten von Europa, aktiv zu werden. Er ist in bester Gesellschaft, muss man sagen. Churchill hat das 1946 gefordert.
    Heckmann: Aber das ist keine realistische Option, ganz kurz noch?
    Despot: Es ist keine realistische Option. Das ist im Moment nicht durchsetzbar. Im Moment sind die Hälfte aller Deutschen dagegen. Das ist im Moment illusorisch.
    Heckmann: Andrea Despot war das, Direktorin der Europäischen Akademie Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch am späten Abend.
    Despot: Ja, sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.