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Nicaragua
Ein TV-Sender als letzte Bastion der Pressefreiheit

Der Nachrichtensender "100 % Noiticias" gehört in Nicaragua zu den wenigen unabhängigen Medien. Während die Zuschauerzahlen wachsen, werden die Journalisten des Fernsehkanals immer wieder angegriffen und bedroht. Davon wollen sich die Medienmacher aber nicht beeindrucken lassen.

Von Burkhard Birke | 27.11.2018
    Das Studio des TV Senders "100 % Noticias" in Nicaragua
    "100 % Noticias" berichtet unabhängig über die Vorgänge in Nicaragua (Deutschlandfunk / Burkhard Birke)
    Die Entführung von Lener Fonseca durch Vermummte auf Motorrädern: Das war an diesem Tag der Aufmacher von "100 % Noticias", dem Kanal "100 Prozent Nachrichten" in Managua. Lener Fonseca war Bauernaktivist. Wie viele Oppositionelle wurde er gewaltsam entführt. Dank Handyaufnahmen und mit Hilfe der sozialen Netzwerke kann der Sender berichten und bleibt eine der wenigen unabhängigen Stimmen in Nicaragua.
    "Abertausende Personen schicken uns Videos und wir sind natürlich mit lokalen Medien im Land vernetzt. Solche Aufnahmen müssen natürlich gefiltert werden. Wir überprüfen, wer gefilmt hat, woher die Aufnahmen stammen und wer die Nachricht bestätigen kann", erläutert die Chefin vom Dienst, Lucia Pineda, das Tagesgeschäft bei "100 % Noticias".
    Kameras entwendet und Frequenzen entzogen
    40 Mitarbeiter beschäftigt der Sender, etwa die Hälfte davon sind Reporter, Redakteure und Kameraleute. Viel Material wird für den 24-Stunden-Nachrichtensender aber auch von aufmerksamen Bürgern zugeliefert. Kein Wunder, dass "100 % Noticias" der Regierung ein Dorn im Auge ist, zumal nachts auch noch Sendungen vom Programm der "Voice of America", des US amerikanischen Auslandsfernsehens, übernommen werden.
    "Am 18. April haben sie uns eine Kamera weggenommen. Am 19. April wurden wir auf Anweisung der Regierung aus dem Kabelnetz im ganzen Land entfernt. Sechs Tage lang waren wir abgeschaltet. Die Leute haben jedoch dagegen protestiert, sind sogar auf die Straße gegangen. Durch den Druck des Volkes, der privaten Unternehmer und der katholischen Kirche wurden wir dann nach sechs Tagen
    wieder aufgeschaltet", erzählt Lucia Pineda.
    Erst neulich wurden dem Sender wieder Frequenzen entzogen. Seit April, dem Auftakt der Unruhen und Proteste im Land, ist "100 % Noticias", einer von nur noch drei unabhängigen Fernsehsendern im Land, ins Visier der Sandinisten gerückt. Das Gebäude wurde attackiert, Scheiben wurden eingeworfen und immer wieder Reporter angegriffen. Drei Kameras sind schon entwendet worden.
    Zuschauerzahlen und Internetzugriffe nehmen zu
    "Unserem Direktor wird immer wieder mit Gefängnis gedroht, weil er – wie sie behaupten – den Staatsstreich vorbereitet hätte. Dabei haben sie selbst diesen Staatsstreich inszeniert. Sie greifen an, drohen, rauben und töten. Das ist der Widerspruch. Aber die Leute bleiben nicht mehr ruhig seit dem 18. April."
    Über das Aufbegehren der Menschen, über mutwillige Entführungen und Täuschungsversuche der Regierung berichten Lucia Pineda und ihre Kollegen. Finanziert wird der Sender ausschließlich über Werbung und Spenden. Die privaten Unternehmer, die sich teilweise auch von der Regierung und Präsident Ortegas abgewandt haben, unterstützen die Verbreitung unabhängiger Nachrichten über Kabel, Internet und soziale Medien.
    Die Zuschauerzahlen und Internetzugriffe sind seit Beginn der Krise in die Höhe geschnellt. Die Menschen misstrauen dem staatlichen Fernsehen und den vier von der Familie Ortega direkt oder indirekt kontrollierten TV Sendern.
    Inszenierte Plünderungen
    "Ein regierungstreuer Journalist, der mittlerweile zurückgetreten ist, hat erzählt, wie eine Plünderung inszeniert wurde. Er wurde mit einem Team rausgeschickt, um über eine Plünderung zu berichten. Als er vor Ort war, hatte noch keine Plünderung stattgefunden. Die Plünderer und Polizei kamen erst später und dann wurde die Plünderung inszeniert."
    Gegen solche Fake News kämpfen Lucia Pineda und ihre Kollegen als eine der letzten Bastionen der Pressefreiheit im Land.
    "Wir kämpfen für den Erhalt der Freiheit. Dafür, dass es keine Beschränkungen gibt. Seit dem 18. April verteidigen wir die verfassungsrechtlichen Freiheiten. Sie haben uns einer Zensur unterzogen und wollen uns zum Schweigen bringen, uns kaputt machen."