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Deutschsprachiger Studiengang
Rumänien kämpft gegen Fachkräftemangel

"Brain-Drain" steht für eine Art "Völkerwanderung" der Fachkräfte. Vor allem aus osteuropäischen Ländern zieht es gut ausgebildete Experten in den Westen. Grund sind bessere Bezahlung und Lebensbedingungen. In Rumänien versucht man mit einem deutschsprachigen Studiengang etwas dagegen zu tun.

Von Thomas Wagner | 22.11.2018
    Die Flagge Rumäniens
    Der deutschsprachige Studiengang kooperiert auch mit deutschen Investoren in Rumänien. (picture-alliance / dpa/ Sari Gustafsson)
    "Hier könnten wir mit der Formel für eine Gleichung zweiten Grades weitergehen." -
    "Das kann man einfach mit Delta lösen, oder? -Ja, die Deutschen nennen das die..."
    Am Anfang steht: viel Mathematik. Einführungsvorlesung im Bachelor-Studiengang "Rechnungswesen und Wirtschaftsinformatik" an der West-Universität Temeswar. Das Außergewöhnliche daran: Der Studiengang wird an einer rumänischen Uni komplett auf Deutsch angeboten.
    "Ich spreche Deutsch, seit ich klein war."
    "Ich habe hier ein deutsches Abitur geschrieben. Und ich wollte dann halt in deutscher Sprache weiter studieren. Und ich wollte nicht nach Deutschland ziehen."
    Auf Deutsch studieren, aber in Rumänien bleiben
    Soweit Siandra Leucus und Larissa Purtätor - zwei von insgesamt 43 Studierenden, die sich für den deutschsprachigen Studiengang entschieden haben, obwohl sie Rumäninnen und Rumänen sind. Aber gerade im Westen des Landes ist Deutsch als zweite Sprache neben dem Rumänischen weit verbreitet. Das hat mit der Geschichte der Region zu tun: Einst lebten dort mit den "Banater Schwaben" viele Rumäniendeutsche, damals entstanden deutschsprachige Gymnasien, die heute von vielen jungen Rumäninnen und Rumänen besucht werden. Das wird aber zunehmend auch zum Problem:

    "Es gehen natürlich immer noch gleich nach dem Abitur, grade die Guten, zum Studieren, ins Ausland. Und die sehen wir dann meiner Meinung nur noch zu einem Bruchteil wieder."
    So Peter Hochmuth, Vorsitzender des Deutschsprachigen Wirtschaftsclubs in Rumänien, einer Investorenvereinigung. Der "Brain-Drain", also die Abwanderung er deutschsprachigen Schulabsolventen, bereitet den Investoren bei der Suche nach akademisch ausgebildeten Fachkräften zunehmend Probleme. Nun macht der deutschsprachige Studiengang "Rechnungswesen und Wirtschaftsinformatik" Hoffnung auf eine Trendumkehr. Beatrix Popoviciu gehört zu den ersten Absolventen, Siandra Leucus ist noch mitten drin im Studium:
    "Ich wollte mein Studium in deutscher Sprache machen. Aber ich wollte nicht nach Deutschland ziehen. Bei mir ist so: Ich habe eine kleine Familie, ich möchte bei denen bleiben und hier arbeiten. Es sind so viele Möglichkeiten hier in Rumänien."

    "Es sind wenige hier in Rumänien wenige Menschen, die sehr gut Deutsch sprechen und die auch gut im Bereich Wirtschaft sind. Und ich habe auch gesehen, dass es viele deutsche Unternehmen sind, die uns sozusagen suchen."
    Konzept des Studiengangs soll Absolventen in Rumänien halten
    Von den ersten 20 Absolventen, die kürzlich mit dem Bachelor abgeschlossen haben, entschied sich gerade mal ein einziger, nach Deutschland zu gehen. Das hat mit der besonderen Konzeption des Studiengangs zu tun. Einmal besteht eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen der Uni und den deutschen Investoren im Westen Rumäniens.
    "Sie bieten uns zahlreiche Praktikumsplätze an."
    Und das sei, so Uni-Lektorin Cristina Circa, für viele bereits der Einstieg in ihren zukünftigen Job.
    "Buchführung bedeutet nicht mehr Geschäftsfälle mit dem Kugelschreiber in irgendein Register einzutragen. Es gibt Kontrolle. Es gibt Wirtschaftsprüfer. Es gibt Finanzanalytisten ..."
    Hinzu kommt ein Weiteres: Wer sich für den deutschsprachigen Studiengang entscheidet, kann, wenn er dies möchte, auch für zwei Semester an die Hochschule Technik und Wirtschaft Karlsruhe gehen und dann neben dem rumänischen auch einen deutschen Abschluss machen. Dabei soll aber verhindert werden, dass die rumänischen Studierenden gleich ganz in Karlsruhe bleiben und nicht mehr nach Rumänien zurückkehren. Professor Franz Quint, selbst gebürtiger Rumäne, ist in Karlsruhe Prorektor für Forschung und Lehre:

    "Dadurch, dass wir den Aufenthalt in Karlsruhe nicht am Ende, sondern in der Mitte des Studiums platziert haben und die Studierenden danach wieder nach Temeswar zurückkommen, um ihren Abschluss zu machen, sind die dann wieder hier und können dann hier eine Arbeitsstelle finden."
    Dabei ist der Austausch keine "Einbahnstraße": Grundsätzlich können auch 'Wessis' den deutschsprachigen Studiengang in Rumänien belegen. Patrick Lauinger aus Karlsruhe absolviert in Temeswar zwei Semester.
    "Andere Leute kennenlernen, andere Mentalität: Durch die Internationalisierung sollte man auch wissen, wie die Menschen in unterschiedlichen Ländern sind - und wie man mit denen umgehen sollte."