Kirche St. Severin auf Sylt

Auf der Wattseite des Lebens

Die evangelischen Kirche St. Severin aufgenommen am 15.09.2011 in Keitum auf Sylt
Die evangelischen Kirche St. Severin in Keitum liegt auf dem höchsten Punkt des Sylter Geestrückens. © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Von Klaus Deuse · 05.08.2018
Auf Sylt herrscht ein ständiges Kommen und Gehen – durch die Touristen, aber auch den nicht immer freiwilligen Wegzug der Alteingesessenen und den Zuzug von Neuinsulanern. Die Pfarrerin der Gemeinde St. Severin in Keitum sieht darin auch eine Chance.
Man hört sie nicht nur weithin, man sieht sie auch von weitem: die auf dem höchsten Punkt des Sylter Geestrückens gelegene St. Severin-Kirche in Keitum. In diesem malerischen Friesendorf verbringt Marion Wiemann aus Bochum mit der Familie seit Jahren ihren Sommerurlaub. Einschließlich innerer Einkehr.
"Immer wenn wir nach Sylt fahren, gehört der Gottesdienst dazu. Mittwochs die Orgelkonzerte. Ja, das ist sehr vertraut. Das ist eine sehr, sehr schöne Kirche. Auch von außen schon sehr schön gelegen. Ich habe die sogar mal malen lassen. Hängt bei mir zu Hause."

Gastronomie ist ein Gewerbe, Gastfreundschaft eine Tugend

Urlauber wie Marion Wiemann schätzen aber nicht nur die Lage und die Atmospähre dieser Kirche, die 1240 erstmals urkundlich erwähnt wurde.
"Man hat immer das Gefühl, man sitzt da mit den Seemannsfrauen oder Kapitänsfrauen zusammen. Also irgendwie gehört die sehr zu der Landschaft, zu dem Meer. Und es ist natürlich auch ganz spannend, dass da eine Pastorin ist, die da sehr gute Predigten, sehr zeitgemäße Predigten hält."
Seit 2005 predigt Susanne Zingel auf der Kanzel von St. Severin. Zum Beispiel über das Thema "Gastfreundschaft" in der Bibel. Ausgerechnet auf einer Urlaubsinsel wie Sylt, auf der sich, einem Klischee zufolge, vor allem die Prominenten, Reichen und Schönen tummeln und sich ihr ausgelassenes Leben eine Stange Geld kosten lassen. Doch Gastronomie und Tourismus sind Gewerbe, die Gastfreundschaft aber sei eine Tugend, sagt Susanne Zingel. Beides könne zwar nah beieinander liegen, aber es brauche doch eine gewisse Weisheit, um das eine im anderen zu finden. Für Sylt-Urlauber Reinhard Wehmeier aus Bremen spricht Pastorin Zingel damit auch Themen an, "die über den Alltag hinweg gehen. Und auch über dieses besondere Urlaubsfeeling hinweg gehen. Und so versucht sie, die Menschen an einer ganz bestimmten Stelle zu berühren und auch zu sensibilisieren."

Urlaub macht den Horizont frei

Auf ihre Gemeinde im Gottesdienst müsse sie sich jeden Sonntag neu einlassen, denn Urlauber kommen und gehen erfahrungsgemäß im zweiwöchigen Rhythmus. Als Pastorin in Hamburg hat sie vor ihrem Pastorat auf Sylt im Rahmen des Programms Urlauberseelsorge der EKD deutsche Feriengäste in Polen, der Tschechei und Österreich betreut. Warum kommen die Menschen gerade im Urlaub zu ihr?
Pastorin Susanne Zingel sitzt am 15.09.2011 in ihrer evangelischen Kirche St. Severin in Keitum auf Sylt. Seit 2005 predigt Susanne Zingel an St. Severin in Keitum auf Sylt und kümmert sich um die Gemeinde.
Pastorin Susanne Zingel kam von Hamburg auf die Insel Sylt.© picture alliance / dpa / Christian Charisius
Susanne Zingel: "Man hat Zeit, man denkt über sein Leben nach. Wenn es einen Umbruch gibt oder irgendwelche Konflikte kommen hoch. Urlaub kann auch eine Zeit sein, in der man Dinge im Leben klärt oder klarer bekommt. Und Sylt mit seinem freien Horizont und seiner Weite ist gerade dafür ein ganz guter Ort, den viele Menschen nutzen. Nicht nur im Sommer, sondern auch gerade in der ruhigeren Zeit."
Sylt, das ist nicht nur Kampen und Westerland mit Trubel und Schicki-Micki-Szene-Treffpunkten. Viele Gäste suchen gezielt die Ruhe in St. Severin in Keitum.
"Wir sind ja die Kirche auf der Wattseite. Wir sind nicht die Wellenseite, sondern wir sind die ruhige Seite. Also auch in der Hochsaison. Hier ist kein Badetrubel."

Gentrifizierung als Chance?

Zeit nimmt sich die Pastorin für jeden Besucher, der den Weg ins Pastorat findet. Dazu gehören neben den Urlaubern auch immer wieder bekannte Gesichter, die sich aus der Gemeinde verabschieden müssen. Des Geldes wegen.
"Das ist ein großes Problem. Wenn man durch unser Dorf geht, sieht man überall Baustellen. Das heißt: alte historische Friesenhäuser werden entkernt. Fast immer ist es ein Zeichen: die Familie, die da ursprünglich mal wohnte, konnte es sich nicht mehr leisten, das Haus zu unterhalten und hat sich verabschiedet."
Im Durchschnitt verlassen pro Jahr 200 Mitglieder die Gemeinde, während zeitgleich 200 neue Mitglieder hinzukommen. Die meisten durch den Erwerb einer nicht gerade preiswerten Immobilie. Da kommt es darauf an, keinen Graben aufreißen zu lassen. Dem langjährigen Sylt-Besucher Reinhard Wehmeier sind die Veränderungen in der Gemeinde beim Gottesdienst jedenfalls nicht verborgen geblieben:
"Man sieht ja auch schon vom Habitus vieler Kirchgänger, dass man weiß, die kommen eben aus einem besseren Milieu, auch einem wohlhabenderen Milieu. Ob die Kirche das zusammenführen kann, das ist letztlich für mich nicht zu beantworten."

Tourismushochburg als gutes Lernumfeld

Davon, quasi mit der Keule von der Kanzel auf die Reichen einzupredigen und zum Teilen aufzufordern, hält Susanne Zingel nicht viel. Denn das von Boulevardmedien vermittelte Bild von Sylt spiegele nicht die Realität des Miteinanders der Menschen auf dieser Insel wider.
"Sylt ist eine sehr gute Schule, um aus solchen Klischees auszusteigen. Also ich schätze sehr das Gespräch und den Dialog und lerne auch viel von Menschen, die viel Verantwortung tragen. Auch für andere Menschen und sehr achtsam umgehen mit Ressourcen. Mit Arbeit, mit Vermögen, mit Geld, mit Rohstoffen. Also ein gelingendes Miteinander hat mit Respekt, mit Wahrnehmung, mit Verantwortung zu tun. Und das ist ein Dauerthema, was uns gemeinschaftlich verbindet. Und ich glaube, dass wir hier auch ein gutes Lernumfeld haben."
Ein Umfeld, das die Kirche bereitet. Eine Art fruchtbarer Gottesacker. Glaubt jedenfalls der Sylter Sigurd Born.
"Die St. Severin Gemeinde ist ein sehr lebendige Gemeinde und auch eine sehr integrative. Allein schon dank der Pastorin Frau Zingel, die viele Veranstaltungen organisiert. Man fühlt sich wirklich sehr gut aufgehoben. Ich glaube, dass eine Integration durchaus stattfindet zwischen Einheimischen und Gästen auf der Insel."
In St. Severin können Alteingesessene wie Urlauber und Zugezogene ihren persönlichen Seelenfrieden finden. Ob die Kirche jedoch in der Lage sein wird, die oft seelenlose Vermarktung der Insel aufzuhalten, darf bezweifelt werden.
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