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Belgrad
Anhaltender Widerstand gegen Mega-Bauprojekt

Seit Wochen demonstrieren in Belgrad Menschen gegen den neu gewählten Präsidenten Aleksandar Vučić. Kürzlich jährte sich die "Nacht der Phantome", bei der in einer geheimen Aktion Häuser im Hafengebiet weichen mussten. Vermutlich, um einem geplanten Luxusviertel zu weichen. Ermittlungen der Justiz scheinen im Sande zu verlaufen.

Von Christoph Kersting | 04.05.2017
    Proteste gegen das Belgrade Waterfrond am 11.06.2016.
    Waterfront soll ein neues, von arabischen Investoren finanziertes Hafenviertel mit Luxuswohnungen und Shopping-Malls werden - in Belgrad protestierten die Menschen 2016 und auch 2017 dagegen. (AFP PHOTO / ANDREJ ISAKOVIC)
    Es sind wieder Maskierte unterwegs an diesem Abend in Savamala, Belgrads altem Hafenbezirk am Fluss Save. Marta und Jan, beide um die 40, haben ihre Phantom-Verkleidung spontan zu Hause aus alten T-Shirts genäht, ihre Form des Protests gegen das, was sich in Savamala in einer Nacht vor einem Jahr abgespielt hat:
    "Warum wir Masken tragen? Weil in jener Nacht Maskierte mit Bulldozern kamen und einfach mehrere Häuser platt gemacht haben. Und Leute, die gerade zufällig da waren, Passanten also, wurden zu Boden gestoßen, festgehalten, mussten ihr Handy abgeben. Viele konnten trotzdem die Polizei rufen, aber die kam einfach nicht. Niemand kam. Es war offensichtlich, dass die Polizei Order hatte, nicht einzugreifen. Das war eine illegale Aktion, gegen unsere Bürgerrechte, ein offener Angriff auf unsere Verfassung.”
    Proteste in Belgrad: "Die Stadt gehört uns"
    Rund 4.000 Menschen haben sich versammelt auf einem Platz in Savamala, Redner auf einer Bühne wettern gegen Aleksandar Vučić, der am 2. April zum neuen serbischen Präsidenten gewählt worden ist. Seitdem reißen die Proteste in Belgrad gegen den Premier nicht ab. Und auch an diesem Abend sind wieder Plakate zu sehen, auf denen steht: "Vučić, du Bandit” oder "Die Stadt gehört uns”. Aus der Menge ragt eine fünf Meter hohe gelbe Plastikente hervor, das Symbol der Proteste gegen die "Nacht der Phantome” vor einem Jahr und das damit verbundene Mega-Bauprojekt an der Save: die "Waterfront”.
    Auf einer 180 Hektar großen Fläche soll in Savamala, ein völlig neues Luxuviertel mit Wohnungen, Shopping-Malls und Parkanlagen entstehen, für angeblich drei Milliarden Euro. Doch die Verträge mit den arabischen Investoren sind geheim, niemand kennt die genauen Baupläne und: Niemand habe vor allem die Bürger Belgrads um ihre Meinung gefragt, kritisiert Slobodan Georgiev. Der Journalist vom unabhängigen, balkanweit tätigen Medien-Netzwerk BIRN steht genau an der Stelle, wo im Jahr 2016 Häuser zerstört wurden:
    "Am Anfang richteten sich die Proteste ja nur gegen die "Waterfront" selbst, weil die Regierung einfach entschieden hat: Wir nehmen uns diesen Teil der Stadt und überlassen das Ganze irgendwelchen Investoren. Niemand wurde da gefragt, weder wir als Bürger der Stadt Belgrad noch Experten oder Architekten. Die zerstörten Häuser, die hier auf dem umzäunten Gelände standen, haben die Proteste dann nur noch mehr angeheizt. Vučić hat sich dann einige Tage später vielsagend zu der Sache geäußert: Man hätte das am Tage machen sollen, dann hätte er selbst, der Ministerpräsident, sich auf einen Bulldozer gesetzt und beim Abriss der Häuser geholfen zum Wohle und Fortschritt des Landes.”
    Ermittlungen der Justiz scheinen im Sande zu verlaufen
    Noch-Premier und Präsident in spe Vučić hat sogar mehrfach eingeräumt, er wisse, dass hinter der Nacht-und-Nebel-Aktion hochrangige Vertreter der Stadt steckten. Geschehen ist seitdem allerdings nichts, die Ermittlungen der Justiz scheinen im Sande zu verlaufen. Zu wichtig scheint das Prestige-Objekt im Herzen Belgrads, eine der aktuell größten Baustellen Europas. Und so klingt auch die Einschätzung Mihailo Vesovićs, Vizechef der serbischen Industrie- und Handelskammer:
    Belgrad ist für Serbien die wichtigste Marke
    "Das Waterfront-Projekt ist ein wichtiger Baustein, wenn es um Belgrad als Business-Standort und Touristenziel geht. Und: Belgrad ist für Serbien nun mal die wichtigste Marke, die wir verkaufen: 99 Prozent der Menschen, die etwas mit unserem Land zu tun haben, die hierher kommen, machen ihre erste und wichtigste Erfahrung in Belgrad. Und darum sind solche Projekte wichtig, weil sie auch eine Sogwirkung auf neue Investoren aus dem Ausland haben.”
    Die Demonstranten ziehen an diesem Abend noch durch die Belgrader Innenstadt. Studenten aus ganz Serbien, die seit einem Monat in der Hauptstadt gegen den 'despotischen' Regierungsstil von Aleksandar Vučić protestieren, schließen sich dem Zug an. Auch der 30-jährige Vladen ist mit einigen Mitstreitern aus Novi Sad nach Belgrad gekommen:
    "Wir haben keinen Rechtsstaat in Serbien, keine freien Medien. Darum sind wir heute hier. Wir wollen nicht, dass alle Macht in den Händen eines Mannes liegt, in den Händen von Vučić!”