Bill Bryson: "Eine kurze Geschichte des menschlichen Körpers"

Ein Fleischklumpen mit erstaunlichen Fähigkeiten

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Buchcover zu Bill Brysons "Eine kurze Geschichte des menschlichen Körpers".
In seinem neuen Buch erzählt Bill Bryson die Geschichte des menschlichen Körpers, von der Haarwurzel bis zu den Zehen. © Goldmann
Von Wolfgang Schneider · 07.05.2020
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Bestsellerautor Bill Bryson wendet sich in seinem neuesten Buch dem menschlichen Körper zu. Dabei fördert er allerlei erstaunliche Fakten zutage, etwa, dass unsere Lunge auseinandergefaltet die Größe eines Tennisplatzes hätte.
Die Pandemie rückt es uns vor Augen – dass wir "in einem warmen Fleischklumpen existieren", wie Bill Bryson drastisch formuliert. Dass wir, mögen wir unseren Intellekt auch noch so sehr in die Höhe recken, durch und durch biologische Wesen sind, ein hochkomplexes Zusammenspiel aus "rund 37 Billionen Zellen". Und entsprechend anfällig.
Bryson hat nach seiner "Kurzen Geschichte von fast allem" und der "Kurzen Geschichte der alltäglichen Dinge" – beides Dauerbestseller – nun dem "Fleischklumpen" ein umfangreiches Buch gewidmet. "Eine kurze Geschichte des menschlichen Körpers" heißt es und widmet jedem Organ ein Kapitel, ohne den lebendigen Zusammenhang aus den Augen zu verlieren.
Bryson hat als Reiseschriftsteller begonnen. In gewisser Weise ist er es geblieben, nur dass er jetzt durch Bibliotheken und Zeitschriftenarchive pilgert. Anders als einem Bas Kast, der am Ende seiner Grand Tour durch die Ernährungswissenschaft mit einer Heilsbotschaft daherkommt (den "12 Regeln" zur gesunden Ernährung und Gewichtsreduktion), ist Bryson allerdings jede Mission oder Missionierung fremd.

Die Lunge ist so groß wie ein Tennisplatz

Ihm geht es um das Unterwegssein in den Wissenswelten, um die verblüffenden Fakten und die erstaunlichen Zahlen. Etwa dass eine Hand aus nicht weniger als 28 Knochen besteht und dass die Lunge, wenn man sie entfalten und ausbreiten würde, so groß wie ein Tennisplatz wäre.
Oder dass jede Zelle zusammengeknäult einen Meter DNA-Faden enthält – bei allen Körperzellen zusammen wäre das eine Strecke bis zum Ende unseres Sonnensystems. Oder dass das Herz pro Tag 6000 Liter Blut pumpt, mit kraftvollen, meterweiten Stößen. Es leistet im Lauf eines Menschenlebens so viel Arbeit, als würde man "einen Gegenstand von einer Tonne Gewicht rund 240 Kilometer in die Höhe heben".
Bryson beschäftigt sich auch mit dem Mikrobiom und dem Immunsystem sowie den Viren und Bakterien, die ihm zu schaffen machen. Die verheerendste Seuche der Menschheitsgeschichte waren die Pocken, die allein im 20. Jahrhundert ein halbe Milliarde Menschenleben kosteten. Seit vierzig Jahren gelten sie als ausgerottet; die Pocken haben sozusagen den Fehler gemacht, sich ganz auf den Menschen als Wirt zu spezialisieren.

Das Elend der Wirbelsäule

Die "Geschichtlichkeit" des Körpers wird zum einen in evolutionsbiologischen Ausführungen zum Thema, etwa wenn es um das Elend unserer Wirbelsäule geht, die ja eigentlich für Vierbeiner geschaffen wurde und für die zusätzliche Druckbelastung durch den aufrechten Gang nicht gut ausgestattet ist.
Zum anderen ergeben sich historische Perspektiven durch viele Seitenblicke auf die Forschungsgeschichte: Die tollkühnen Pioniere der Medizin und der Biologie haben es Bryson angetan.
Bryson ist ein immerneugieriger populärwissenschaftlicher Dampfplauderer, aber zugleich verfügt er über eine bemerkenswerte Ökonomie des Erzählens und einen guten Sinn für Pointen und Anekdoten. Man nimmt von der Lektüre viele verblüffende Einsichten mit. Und auch einige dezidierte, gut begründete Meinungen – zum Beispiel über die Zweifelhaftigkeit vieler Vorsorge-Untersuchungen (etwa bei Prostatakrebs) oder unseren fahrlässigen Umgang mit Antibiotika.
Multiresistente Erreger, fürchtet Bryson, werden in der Geschichte des menschlichen Körpers noch ein schreckensvolles Kapitel schreiben.

Bill Bryson: Eine kurze Geschichte des menschlichen Körpers
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
Goldmann Verlag, München 2020
672 Seiten, 24 Euro

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