Zehn Jahre Finanzkrise

Der Geist der Occupy-Bewegung lebt

Oliver Nachtwey im Gespräch mit Dieter Kassel · 15.08.2018
Weltweit protestierten Menschen gegen die Macht der Finanzwirtschaft und forderten eine radikaldemokratische Wende: Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise wurde Occupy zu einer globalen Bewegung. Was ist von ihr geblieben?
Die Occupy-Bewegung gibt es schon länger nicht mehr. Und dennoch ist die Philosophie, die Occupy ehemals mit den legendären Camps und einer radikalen Form von Demokratie ins Licht der Öffentlichkeit rückte, "alles andere als tot". Das sagte der Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler Oliver Nachtwey im Deutschlandfunk Kultur.
Als Beispiel nannte Nachtwey die linke Bewegung um Bernie Sanders in den USA, der im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl bei den Vorwahlen der Demokraten knapp gegen Hillary Clinton verloren hatte.
Der demokratische Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders hebt während einer Rede den rechten Arm leicht an und hat die Hand zu einer Faust geballt.
Bernie Sanders im Wahlkampf 2016: Revitalisierung der US-Linken© afp / Jonathan Alcorn
"In der Sanders-Kampagne war der Spirit von Occupy, gegen das Establishment vorzugehen, noch sehr stark sichtbar und vorhanden. Viele Aktivisten, die früher in der Occupy-Bewegung aktiv waren, sind in den Sanders-Gruppen gelandet."

Viele Occupy-Aktivisten sind heute Gewerkschafter

Auch seien viele Occupy-Aktivsten - besonders in den USA - in die Gewerkschaften gegangen. "Das hätten die sich vor sieben Jahren wahrscheinlich auch nicht vorstellen können." Diese Aktivisten hätten "eine andere Gewerkschaftspraxis" etabliert und seien viel offener und demokratischer: "So lebt dieser Geist von Occupy durchaus fort."
Trotz Trump gebe es eine "starke Revitalisierung" der Linken in den USA, betonte Nachtwey: "Occupy selbst als Bewegung ist tot. Aber der Gedanke von Occupy, darüber zu reden, dass es eine gesellschaftliche Spaltung gibt - in ökonomischer, sozialer und politischer Hinsicht - dieser Gedanke wird weitergetragen."
Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz
Der Ökonom, Globalisierungskritiker und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz: Initialzündung mit einem Aufsatz in "Vanity Fair"© AFP/ Eric Piermont
Occupy sei ehemals fast aus dem Nichts gekommen, erinnerte sich der Soziologe. Anstoss sei ein Aufsatz des Ökonomen Joseph Stiglitz in der Zeitschrift "Vanity Fair" gewesen, in dem dieser schrieb, dass die ökonomische und politische Macht bei nur einem Prozent der Bevölkerung liege.

Ein Prozent gegen 99 Prozent

Ein Prozent auf der einen gegen 99 Prozent auf der anderen Seite: Zwei Zahlen, die in kürzester Zeit zum Symbol für die gesellschaftliche Spaltung wurden.
Bald darauf sei dann in New York ein Park in Wall Street-Nähe besetzt worden, berichtete Nachtwey. Occupy wurde schnell zur globalen Bewegung, die sich gegen die dramatische Ungleichtheit zur Wehr setzte. Kritiker warfen den Aktivisten vor, nicht konkret genug zu sein. Dagegen verteidigte Nachtwey Occupy: Die Kritiker hätten sich nicht wirklich mit Occupy auseinandergesetzt, sagte er.
"Liebe ist wichtiger als Geld" steht auf dem Plakat eines Occupy-Anhängers in Frankfurt am Main.
Plakat eines Occupy-Anhängers in Frankfurt am Main: Der Gedanke wird weitergetragen© picture alliance / dpa / Boris Roessler
Andere soziale Bewegungen hätten Occupy nur beobachtet, "anstatt in einen Dialog zu treten". Und Occupy sei als Bewegung noch nicht groß und nicht reif genug gewesen, selbst diesen Dialog herzustellen. So seien die Aktivisten "in der eigenen Blase" geblieben - "die am Anfang sehr erfolgreich war, aber am Ende dann doch nicht mehr genug Energie hatte und irgendwann geplatzt ist." (ahe)
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