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Doping-Opfer Birgit Dressel
Ein Tod ohne Folgen

Heute vor 30 Jahren starb die Mainzer Siebenkämpferin Birgit Dressel qualvoll an einem laut rechtsmedizinischem Gutachten toxisch-allergischen Schock. Danach bekam die Öffentlichkeit eine Idee davon, mit welchen Mitteln der Leistungssport im Westen funktioniert. Eine Lehre war das nicht.

Von Andrea Schültke | 10.04.2017
    Siebenkämpferin Birgit Dressel überspringt die Latte in einem Hochsprungwettkampf.
    Birgit Dressel überspringt die Latte beim Hochsprung. (imago)
    Der Tod Birgit Dressels war ein Schock. Wer die Schuld daran trägt, wird nie mehr geklärt werden. Fest steht: die Athletin hat sehr viele Medikamente genommen, darunter auch Anabolika. Dopingmittel. Die könnten mit verantwortlich gewesen sein für ihr schreckliches, qualvolles Sterben unter höllischen Schmerzen. Vieles spricht dafür.
    Nach diesem tragischen Tod war es auch für die breite Öffentlichkeit kein Geheimnis mehr: Auch der Westen hat gedopt. Nur nicht so systematisch und staatlich verordnet wie in der DDR. Opfer gibt es unzählige - auch Tote. Der Dopingopferhilfeverein spricht von bis zu 1000 Dopingtoten in den vergangenen 30 Jahren. Birgit Dressels Tod hat vor 30 Jahren vorübergehend für ein Nachdenken gesorgt. Wollen wir wirklich Leistung um jeden Preis? War die Frage.
    Leistung um jeden Preis
    "Ja", muss die Antwort damals gelautet haben. Denn der Tod von Birgit Dressel hat nichts geändert. Weltweit müssen immer wieder Gewinner olympischer Medaillen diese zurückgeben. Bei Nachtests wurden sie als Doper entlarvt. Das Unrechtsbewusstsein hält sich häufig in Grenzen. Es machen doch alle – die gern bemühte Rechtfertigung. Und auch hierzulande müssen die Athletinnen und Athleten eigentlich so denken. Denn die Reform des Leistungsportsystems verlangt von ihnen: 30 Prozent mehr Medaillen. Gegen eine internationale Konkurrenz, die uneinholbar scheint. Dabei sein ist alles, ist längst eine Farce. Wer nicht ins Finale kommt, fällt aus der Förderung.
    Schämt Euch, hr Funktionäre, die ihr alle Jahre wieder zum Todestag von Birgit Dressel auf betroffen macht. Ihr wisst doch, was ihr tut. Woher sollen sie denn kommen, die mehr Medaillen? Wie sollen saubere Athleten die absurdesten Normen schaffen? Mit noch mehr und noch härterem Training? Und wer soll das aushalten?
    Credo: Nur nicht erwischen lassen
    Das geht nur mit Schmerzmitteln, lernt schon der Nachwuchs. Der Einstieg ins muntere Schlucken mit dem Credo: "Nur nicht erwischen lassen". Was sollen sie tun, die Athleten, die dabei sein und Erfolg wollen? Für sie gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Trainern und Ärzten vertrauen und hoffen, dass ihnen Gesundheit mehr wert ist, als Medaillen, oder aussteigen aus einem System bei dem die Gefahr besteht, dass es krank macht.
    Vor fünf Jahren haben Anti-Doping-Kämpfer vom Deutschen Leichtathletik Verband eine Birgit-Dressel-Stiftung gefordert, die sich für Dopingprävention stark macht. Diese Stiftung gibt es bis heute nicht. Auch das zeigt: Nichts hat sich geändert. Birgit Dressel und all die anderen Dopingtoten - sie sind umsonst gestorben. Wollen wir Leistung um jeden Preis? So lautet immer noch die Frage. Und die Antwort von Politik und Sport lautet immer noch: Ja.