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Lehrermangel
Lehrerverband: Grundschullehrer müssen fairer bezahlt werden

Bayerns Lehrerverband schlägt Alarm: Vor allem an Grundschulen fehlten Lehrkräfte. Der bundesweite Mangel sei das Ergebnis von "Misswirtschaft", sagte Verbandspräsidentin Simone Fleischmann im Dlf. Der "Schweinezyklus" an Schulen könne nur mit einer gerechteren Bezahlung beendet werden.

Simone Fleischmann im Gespräch mit Sandra Pfister | 26.07.2018
    Ein leeres Klassenzimmer einer Schule am Mittwoch (04.11.2009) in Leipzig. Wegen der Schweinegrippe ist am gleichen Tag die vierte Schule in Sachsen-Anhalt geschlossen worden.
    50.000 unbesetzte Lehrerstellen in den kommenden fünf Jahren werden befürchtet (dpa / Peter Endig)
    Sandra Pfister: 50.000 unbesetzte Lehrerstellen in den kommenden fünf Jahren - das ist die Zahl, die aktuell kursiert, um klar zu machen, wie dramatisch der Lehrermangel ist und noch werden könnte. Es ist der beunruhigendste Befund im unlängst erschienen Bildungsbericht, aber: Wenn die Kultusminister zusammensitzen, dann bekommen Beobachter oft den Eindruck, das Problem wird mehr oder weniger totgeschwiegen. Warum? Weil die Länder schon jetzt ärgste Konkurrenten sind vielleicht, die um die wenigen gesuchten Lehrer auf dem Markt konkurrieren. Gerade hat die Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, noch mal auf den Punkt gebracht, dass sich abzeichnet, dass selbst im reichen Bundesland Bayern nach den Ferien auch Unterricht in den Hauptfächern ausfallen muss. Guten Tag, Frau Fleischmann!
    Simone Fleischmann: Schönen guten Tag!
    Pfister: Frau Fleischmann, warum haben eigentlich gerade die Grundschulen solche Probleme, nachzubesetzen?
    Fleischmann: Also ich glaube, es geht immer um Misswirtschaft und um fehlende nachhaltige und langfristige Personalplanung. Wir haben immer diese Schülerprognose, und irgendwie schon seit Jahrzehnten erkennt man dann, hupsi, jetzt sind doch mehr Schüler da oder weniger Schüler da und es passt nicht. Wir nennen das den Schweinezyklus. Also einmal haben wir zu viele Lehrer, einmal haben wir zu wenige Lehrer. Selbst unser Minister hier in Bayern hat gestern in einem Pressegespräch zugegeben, dass er spürt, dass die Stellen, also das Geld, das man für Lehrerstellen hat, gar nicht umgesetzt werden kann, weil eben qualifiziertes Personal fehlt, und wenn das schon mal der Minister sagt, ich meine, dann brennt die Hütte lichterloh.
    Pfister: Also frühere Minister, Bildungsminister, die hatten ja auch oft das Problem, wenn sie auf Reserve einstellen wollten in guten Zeiten, als es noch Lehrer gab, dann sind die regelmäßig an ihren Finanzministern gescheitert.
    Fleischmann: Absolut.
    Pfister: Jetzt ist es ja tatsächlich so, es sind überhaupt keine Lehrer auf dem Markt, –
    Fleischmann: Absolut.
    "Lehrer, die sagen, mein Gott, ich pack das nicht"
    Pfister: – und es ist auch nicht so, dass die Hochschulen auseinanderbersten vor Nachwuchs, der da demnächst auf den Markt kommt. Wo liegt das Problem darin, Leute zu motivieren, Lehrer zu werden?
    Fleischmann: Da muss man die Attraktivität dieses Berufs anschauen. Wir müssen schauen, dass es ein Beruf ist, der gut bezahlt wird. Es ist ja in einigen Bundesländern so, dass der Grundschullehrer deutlich weniger verdient und mehr arbeitet wie die Lehrerinnen und Lehrer an den anderen Schularten, und es ist nicht nur das Geld, sondern es ist auch die Zufriedenheit der Kolleginnen und Kollegen. Wenn ich höre, dass es so viele Herausforderungen an die Schule von morgen gibt – die Integration, die Inklusion, die Digitalisierung, die individuelle Förderung, die Ganztagsschule, die Demografiepädagogik und, und, und –, und ich höre dann immer Lehrerinnen und Lehrer, die sagen, mein Gott, ich pack das nicht, ich kann das nicht alles schaffen, dann ist das ein Beruf, der scheinbar einen nicht befriedigt, und da müssen wir hinschauen.
    Wir brauchen zwei Lehrer, wir brauchen multiprofessionelle Teams, wir brauchen eine Schule, die ganz neu denkt, Schule vielleicht nicht als Schulhaus, sondern als Lebenshaus. Die ganzen Herausforderungen der Gesellschaft spiegeln sich in Schule, und wenn man spürt, dass man dem nicht gerecht wird, dann fährt man nach Hause als Lehrerin – so ging es mir oft – und sagt sich, Mann, heute hast du es nicht geschafft, du wurdest den Kindern nicht gerecht, und diese Meinung kursiert in der Gesellschaft, und ich weiß nicht, ob das ein attraktiver Beruf ist. Deswegen, glaube ich, muss die Attraktivität, die Arbeitsbedingungen und die Besoldung im Blickfeld genommen werden, und da gilt es jetzt für alle Minister in alle Bundesländern, hinzuschauen.
    Pfister: Bei der Besoldung muss man sagen, geht es jetzt wieder darum, noch mehr zu verbeamten und das Grundschullehrergehalt auf Studienratsgehalt anzuheben. Da werden viele den Kopf schütteln und sagen, das kann allein es nicht sein, denn das ist ja eine derartige Ausnahme im europäischen und auch im internationalen Vergleich. Finanziell geht es unseren Lehrern ja relativ gut.
    Fleischmann: Absolut. Also wie ich argumentiert habe, ist in die Richtung, wir hier in Bayern und auch in anderen Bundesländern, bezahlen die Grundschullehrer deutlich schlechter als die anderen, auf welchem Niveau auch immer. Bayern bezahlt die Lehrer relativ gut, wenn man das jetzt mal so einskalieren darf, und natürlich, die können immer mehr verdienen, das ist nicht die Frage. Es geht um die Relation. Wir fragen uns jetzt gerade, warum gibt es kaum einen Mann in der Grundschule, und warum studieren insgesamt das Grundschullehramt weniger, und da ist es schon ein Punkt – das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen –, wenn das Grundschullehramt als einziges dann eine andere Besoldung hat wie das Gymnasial- und Realschullehramt, dann würde ich gerne mal mit jemandem sprechen, der mir erklären kann, ob denn die Grundschulkinder weniger wert sind. Sie studieren allen Bachelor-Master-Strukturen nach dem Bologna-Prozess. Also da lasse ich nicht locker, es geht um eine Ungleichheit zwischen den Lehrämtern, und da will der BLLV seit Jahrzehnten die Gleichwertigkeit der Lehrämter.
    Ziel: Bildungsqualität in Deutschland halten
    Pfister: Einheitliche Bezahlung, auch im Grundschulbereich einheitlich hohe Bezahlung. Die Lösung ist ja jetzt, die vorübergehende Lösung für viele Bereiche, sind die Quereinsteiger. Die Lehrerverbände, die Gewerkschaften waren da immer kritisch und haben immer sinngemäß gesagt, zu viele von ihnen untergraben die Qualität des Berufs. Lässt sich die Position noch halten?
    Fleischmann: Also ich meine, die Qualität des Berufs einerseits, andererseits aber die Bildungsqualität - ich habe lange eine Ganztagsschule geleitet, externe Experten, Quereinsteiger, andere Berufe in der Schule, das ist nichts Schlechtes, aber für was. Nicht für den regulären Unterricht, nicht für Mathe, Deutsch und Englisch, nicht für die grundlegende Bildung und Erziehung, sondern für ergänzende, wunderbare Sonderangebote, besondere Angebote in der Schule, und da passiert jetzt wirklich was, wenn wir sozusagen hier rückwärts marschieren und aufgrund der Notsituation externe oder Seiteneinsteiger in die Schule holen und dann sagen, alles ist wunderbar, das geht nicht. Also wir müssen wirklich schauen, dass wir mittelfristig und langfristig wieder genügend Lehrerinnen und Lehrer auf dem Markt haben, damit die Bildungsqualität in Deutschland gehalten werden kann.
    Pfister: So lange Sie diese Lehrer aber nicht haben, befinden sich auch die Bundesländer insbesondere in den Regionen, wo zwei Länder aneinander angrenzen, in einem Überbietungswettbewerb. Verbeamten, abwerben, mehr Geld, bessere Arbeitsbedingungen – wie kommen Sie mittelfristig aus diesem Teufelskreis wieder raus?
    Fleischmann: Ich kann Ihnen kurzfristig keine Lösung bieten. Wir haben hier zum Beispiel in Bayern keine Maus mehr, die da draußen rumläuft und als Grund-, Mittel- oder Förderschullehrerin unterrichten könnte. Langfristig muss sich die Lehrerbildung flexibilisieren, sie muss so aufgesetzt sein, dass die fertigen Lehrerinnen und Lehrer sehr flexibel auf die unterschiedlichen Schularten eingesetzt werden können, es müssen sich die Arbeitsbedingungen in Schulen verbessern, und ich bleibe dabei: Wir brauchen eine Gleichwertigkeit in der Besoldung.
    Pfister: Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayrischen Lehrerverbandes, zu Lehrermangel, zu Unterrichtsausfall in Bayern. Vielen Dank, Frau Fleischmann!
    Fleischmann: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.