Japanische Girlgroups und ihre Fans

Erwachsene Männer im Teenie-Modus

07:54 Minuten
Zwei junge Japanerinnen, verkleidet als Anime-Charaktere, werden von Fans und Fotografen umringt.
Werden von den oft älteren Fans verehrt: Idols - junge japanische Mädchen. © EPA / Dai Kurokawa
Dinah Zank im Gespräch mit Azadê Peşmen · 16.04.2019
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Millionen japanische Männer himmeln Idols an: junge Mädchen, die tanzen, singen, knappe Kostüme tragen und jeden ihrer Fans persönlich kennen. Es geht um den Verkauf "von Zuneigung und persönlicher Bindung", erklärt Japanologin Dinah Zank das Phänomen.
"Ich hatte aufgehört zu arbeiten, war depressiv. Ich brauchte jemanden zum Reden", erzählt einer der Fans. Bis er dann die Idols entdeckte. Das sind junge Mädchen, die tanzen, softe Pop-Songs singen, sich als Anime-Charaktere verkleiden oder kurze Schuluniformen tragen.

"Es ist keine Modeerscheinung, es ist eine Religion"

In Japan gibt es rund 10.000 solcher Idols, die ihre Fans begeistern: Millionen von japanischen Männern – hauptsächlich mittleren Alters – verbringen einen großen Teil ihrer Freizeit auf Konzerten ihrer kleinen Idole. Otaku werden solche Männer auch genannt.
"Es ist keine Modeerscheinung, es ist eine Religion", sagt einer dieser Otaku in dem Dokumentarfilm "Tokyo Idols – Die Pop Girls von Japan" von Kyoko Miyake. "Ich war dieses Jahr bei 700 Auftritten", erzählt ein anderer Fan. "Für dieses Geld hätte ich mir eine Wohnung kaufen können."
Weswegen Männergruppen zu den Auftritten ihrer Idols pilgern, mit ihnen tanzen und sie anfeuern, ist schwer zu erklären, meint die Japanologin Dinah Zank. In der japanischen Gesellschaft hätten aber gerade Männer mittleren Alters nur wenige Möglichkeiten, "aus sich herauszugehen". Stattdessen gehe es für sie darum, ein akzeptables Mitglied der Gesellschaft zu sein, einem Job nachzugehen, eine Familie zu haben. "Und da ist es natürlich ein Gegenkonzept, dass man aus sich rausgehen kann, frei tanzen kann und eben auch anfeuern."

Der Verkauf von Träumen, von Zuneigung

Die Idols pflegen direkten Kontakt zu jedem Fan, bei Meet-and-Greet-Veranstaltungen nach den Shows. Oder sie laden per Internet-Live-Stream zur Make-up-Show in ihr eigenes Zimmer ein. "Man darf das nicht als Musikgruppe verstehen oder als Sänger und Tänzer", erklärt Zank. "Es geht eher um das Gesamtkonzept und um das Verkaufen von Träumen, von Zuneigung und einer eher persönlichen Bindung." Am ehesten ließen sich die Idols daher noch mit Influencern vergleichen.
Die wichtigste Regel für jedes Idol ist deswegen: Jeder Fan soll gleich viel Beachtung bekommen. "Die Fans sind so etwas wie meine Kinder für mich", sagt eine der jungen Frauen, die im Dokumentarfilm "Tokyo Idols" porträtiert wird. "Ich mag sie alle gleich gern. Sie sind das wichtigste in meinem Leben. Ohne sie bin ich nichts."

Eine Art Tochter-Freundin-Mutter-Gefühl

Und genau dies sei das Erfolgsrezept der Marketingmaschinerie, die Fans dazu bringt, alles von ihren Idol zu kaufen, sagt Zank: "Dass die Idols Personen sind zum Anfassen, dass jeder das Gefühl hat, wenn er zu diesem Mädchen geht, das Mädchen weiß genau, wer er ist, weiß genau, wie lang er schon Fan ist, bedankt sich natürlich hunderttausendfach."
Dabei gehe es zwischen älteren männlichen Fans und den jungen Mädchen eher um eine Art "Tochter-Freundin-Mutter-Gefühl in einem", meint Zank. Die Idole seien eine "Zuneigungsperson für diese oftmals alleinstehenden Männer" und verpflichten sich, keinen Freund zu haben. "Und das ist natürlich etwas, das überhaupt nicht mehr zum modernen Lebensmodel passt." (lkn)
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