Riesiges Katzenbild in Perus Wüste

Seelenruhe im Überirdischen finden

04:17 Minuten
Die Katzenzeichnung in der peruanischen Wüste wurde erst 2020 entdeckt.
"Cat Content" aus der Vergangenheit: eine 2000 Jahre alte Katzenzeichnung in der peruanischen Wüste, die erst 2020 entdeckt wurde © picture alliance / AP Photo / Peru's Ministry of Culture-Nasca-Palpa
Von Wolfram Eilenberger · 01.11.2020
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In Perus Wüste wurde ein riesiges Katzenbild gefunden. Wolfram Eilenberger sieht in der 2000 Jahre alten Bodenzeichnung nicht nur ein archäologisches Rätsel, sondern auch einen heilsamen, philosophischen Anstoß - gerade inmitten der Pandemie.
Nun, da uns die mannigfachen Sorgen unmittelbarster Gegenwart einmal mehr in einen mentalen Lockdown zu zwingen drohen, da Infektionsupdates im Stundenrhythmus gleich einem Gottesgericht auf uns hernieder gehen und minütliche Push-Meldungen das endgültige Ende der Demokratie oder gar "des Systems" ankündigen, mag es heilsam sein zu erinnern, dass man eigentlich nur aus der Distanz ein klares Bild der Dinge zu erlangen vermag.

Der Blick von ganz weit oben

Wie vom Himmel selbst geschickt erschien so vor etwas mehr als einer Woche die Nachricht von der Entdeckung eines überdimensionierten Katzenbildes auf meinem Display, das ein längst vergessenes Volk vor mehr als 2000 Jahren in die trockene Salzsteppe der peruanischen Pazifikküste geritzt hatte. Als ein weiteres Wunderzeugnis der sogenannten Nazca-Kultur, deren kunstvolle Scharrbilder und abstrakte Linienarrangements Forschende seit Jahrzehnten in tiefes Rätseln und Staunen versetzen. Schließlich sind einige dieser Werke bis zu 20 Kilometer groß und damit so riesig, dass kein menschlicher Betrachter ihrer von Erden aus je ganz ansichtig zu werden vermag.
Warum aber unter größten Mühen ein Bild erschaffen, das kein Mitglied der eigenen Gegenwart sehen wird? Man kann diese Frage als rein archäologisches Rätsel auffassen. Aber eben auch als philosophischen Impuls. Tatsächlich darf der Drang, sich aus der Mitte des Hier und Jetzt auf eine weitaus höhere Betrachtungsstufe zu schwingen, um so ein wirklich klares Bild der Lage zu gewinnen, als philosophisches Grundsehnen schlechthin gelten. Der göttergleich distanzierte Blick von ganz weit oben, gar nirgendwo, als Ziel allen Denkens. Die Betrachtung der Welt "sub specie aeternitatis", unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit, als Modell wahrer Erkenntnis und Seelenruhe.

Versöhnung mit der Ewigkeit

Wie etwa im Falle des Lebensphilosophen Ludwig Wittgenstein, der 1930 in sein Tagebuch notierte: "Nun scheint mir aber, gibt es außer der Arbeit des Künstlers noch eine andere, die Welt sub specie aeterni einzufangen. Es ist – glaube ich – der Weg des Gedankens, der gleichsam über die Welt hinfliege und sie so lässt, wie sie ist – sie von oben im Fluge betrachtet."
Wolfram Eilenberger
Gelassener Gedankenflug: Wolfram Eilenberger© Deutschlandradio / Manfred Hilling
Ob dieser, wie es scheint, grundmenschliche Impuls einst auch die Nazca-Künstler zu ihrem Katzenbild motivierte? Als Werk des weisen, immer auch schöpferischen Willens, diese Welt allzu alltäglicher Sorgen und Nöte besser von oben, aus dem Fluge heraus zu betrachten? Als Ausdruck vollendeter geistiger Wachheit und Klarheit, deren letztes und eigentliches Ziel die gelassene Versöhnung mit eben jener Ewigkeit bleibt, die uns alle dereinst erwartet?

Corona-Empfehlung: Nazca-Katze statt Cat-Content

Wollte man jedenfalls an nur ein Erdentier denken, das diese paradox anmutende Mischung aus vollendeter Klarheit des Blicks mit einer geradezu göttlich schnurrenden Gelassenheit vermittelt, es könnte, heute wie damals, nur die Katze sein. Die Katzen, die haben den Trick raus.
Anstatt sich also, geschätzte Hörende des Moments, im Internet für die kommenden, gewiss nicht einfachen Wochen mit einem Katzenvideo nach dem anderen den Wüstenwind ins Hirn zu blasen, rufen Sie sich zur Seelenberuhigung dann und wann besser das übermenschlich schöne Luftbild der Nazca-Katze von Peru vor das geistige Auge. Gewiss, die Rettung selbst wäre auch das noch nicht. Aber doch ein erster, selbstklärender Schritt in die richtige Richtung.

Wolfram Eilenberger ist Philosoph, Publizist, Schriftsteller und ehemaliger Chefredakteur des Philosophie Magazins. Nach seinem Bestseller "Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929", erschien jüngst von ihm "Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933-43)".

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