Liedermacherin Barbara Thalheim

"Die deutsche Einheit steckt immer noch in den Säuglingsschuhen "

35:04 Minuten
Porträt von Barbara Thalheim.
Geprägt durch ihren Vater, der das KZ Dachau überlebte: die Berliner Sängerin und Liedermacherin Barbara Thalheim. © Picture Alliance / Tagesspiegel / Mike Wolff
Moderation: Britta Bürger · 06.11.2020
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Singen könnte sie eigentlich nicht, sagt Barbara Thalheim. Sie verstehe sich mehr als „rhythmische Ruferin“. Trotzdem hat die Liedermacherin mehr als 20 Alben veröffentlicht. Ihr neues Programm war für den "geschichtsträchtigen" 9. November geplant.
Ein Programm mit dem Titel "NOVEMBERblues" im Februar spielen? Seit Tagen ist Barbara Thalheim mit dieser Frage beschäftigt, seitdem auch ihr Konzert abgesagt wurde. "Mich beschleicht so ein Magengrummeln, dass es nicht mehr passt."
Der 9. November, dieser Tag sollte für die Liedermacherin noch einmal ein ganz besonderer werden. Mit befreundeten Musikerinnen und Musikern hatte sie seit Monaten ein neues Programm geprobt. Entstanden waren Lieder, die sich mit diesem denkwürdigen Datum der deutschen Geschichte beschäftigen. Ob 1848, 1918, 1923, 1938 oder auch 1989 immer spielte der 9. November eine entscheidende Rolle. "Kein anderes Datum steht mehr für das Auf und Ab der deutschen Demokratie, das muss mal besungen werden!", so hatte Thalheim die Konzertreihe angekündigt.

"Gehört der zur Familie?"

In ihrem neuen Programm ginge es ihr vor allem auch um die, "die in den Geschichtsbüchern keine Rolle spielen, die nicht genug bekannt sind". Der Hitler-Attentäter Georg Elser zum Beispiel, dessen Anschlag im November 1939 scheiterte. Oder Robert Blum, eine zentrale Figur der Revolution von 1848, erschossen am 9. November desselben Jahres. Seinen Namen hatte sie schon als Kind gehört, aber keine Ahnung, wer das sein soll.
"Meine Oma war ein Star in meinem Leben. Wenn die von ihrer Arbeit kam, die war Reinigungskraft, kam die nach Hause, schloss die Tür auf, klatschte sich auf einen der Küchenstühle und stöhnte: `Ach, ich bin erschossen wie Robert Blum.` Ich war sieben oder acht Jahre alt und ich dachte, gehört der zu unserer Familie? Warum wurde der erschossen? Das hat mich verfolgt, verfolgt über Jahre."
Geboren 1947, aufgewachsen in Ost-Berlin, lernte Thalheim erst Stenotypistin und Sekretärin, studierte später an der Hochschule für Musik Hanns Eisler.

"Ich bin eine rhythmische Ruferin"

Als Künstlerin gehörte sie in der DDR zu den großen Namen, Konzerttourneen führten die Liedermacherin auch in den Westen. Mehr als 20 Alben hat Thalheim bis heute veröffentlicht. Und immer noch behauptet sie: "Ich bin eine rhythmische Ruferin. Ich weiß natürlich, dass ich eigentlich nicht singen kann."
Mit der Zeit nach 1990 hadert die heute 73-Jährige. Die Wiedervereinigung ist für die Musikerin bis heute "ein Anschluss", bei dem "zu vielen Menschen mit sehr, sehr tollen Potenzialen hinten runtergefallen sind. Ich glaube, dass nach über 30 Jahren die deutsche Einheit immer noch in den Säuglingsschuhen steckt".
An die Erfolge vor 1989 konnte Thalheim im vereinten Deutschland nicht mehr anknüpfen. Doch auch in der DDR erlebte die Sängerin schwierige Phasen. 1978 wurde sie Mitglieder der SED, flog zwei Jahre später wieder raus.

"Stasimitarbeit ist mir unverständlich"

Schon 1972 unterschrieb sie eine Verpflichtungserklärung beim Ministerium für Staatssicherheit. In den 1990er-Jahren machte Thalheim dies öffentlich. Warum sie beim MfS mitgearbeitet hat, das sei ihr bis heute "unverständlich".
Die Musiker, mit denen sie heute zusammenarbeitet, würde das nicht stören. "Die haben nicht einmal eine Bemerkung gemacht. Die machen ihren Frieden mit der Barbara, die sie in der Arbeit kennenlernen." Frieden könne die eigene Tochter nicht mit ihr machen, sie würde der Mutter noch heute die Stasi-Vergangenheit vorwerfen.
Thalheim vermutet, ihr damaliges Handeln hätte auch viel mit der Biografie ihres Vaters zu tun, ein Kommunist, der in Dachau im KZ saß: "Ich habe viele Sachen nicht hinterfragt. Der Vater stand sozusagen als nicht überwindbare Persönlichkeit. Ich glaube, wenn mein Vater Pfarrer in Templin gewesen wäre, wäre mein politischer Lebenslauf anders gewesen. Aber mein Vater war Häftling in Dachau, das macht einiges mit einem."
(ful)
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