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Jayrôme C. Robinet: „Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund“
Ein Plädoyer für selbstbestimmte Geschlechts-zugehörigkeit

Eine Frau wird zum Mann - eine solche Umwandlung sollte heutzutage allgemein akzeptiert sein. Aber nicht unbedingt, wenn man aus der Provinz stammt. Jayrôme C. Robinet wurde als Céline in Nordfrankreich geboren. In Berlin hat er zu seiner Identität als Mann gefunden - und ein Buch darüber geschrieben.

Von Dirk Fuhrig | 25.04.2019
Buchcover: Jayrôme C. Robinet: „Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund“
Jayrôme C. Robinets Buch ist ein persönlicher Erfahrungsbericht, aber auch eine Reflexion über Geschlechterrollen in der Gesellschaft (Buchcover: Hanser Berlin Verlag, Hintergrund: imagoIkon Images/Gary Waters)
Wird die junge Frau, die vorher Frauen attraktiv fand, heterosexuell, wenn sie sich zum Mann umwandeln lässt? Oder ist dieser Mann dann homo-sexuell? Das sind die verzwickten Fragen, die sich die Gesellschaft stellt, wenn sie mit dem Thema Transsexualität konfrontiert wird.
"In welchem Geschlecht ich mich durch die Welt bewegen will, hat nichts damit zu tun, zu welchem Geschlecht ich mich hingezogen fühle. Genauso gut könnte man fragen: ,Fährst Du lieber mit dem Zug oder nach Barcelona?' Antwort: ,Egal, Hauptsache Italien'."
Geschlecht und sexuelle Orientierung sind voneinander unabhängig - davon ist Jayrôme C. Robinet überzeugt. Schon in diesem Kunst- oder Künstler-Namen, den er nach seiner Geschlechtsumwandlung angenommen hat, klingt nicht nur das C für Céline an, als die er 1977 in Roubaix an der französisch-belgischen Grenze geboren wurde. Auch die eigenwillige Schreibweise von Jayrôme, nämlich J-A Y-R statt J-E-R, weist auf eine womöglich uneindeutige Sexualität hin: In "Jay" schwingt "gay" mit, also das französische und englische Wort für "schwul".
Ein Gestrüpp bürokratischer Hemmnisse
Der Autor schildert seinen steinigen Weg von der Frau zum Mann, auf dem nicht nur ein Berg von Vorurteilen zu überwinden war, sondern auch ein Gestrüpp bürokratischer Hemmnisse:
"Warum sollte man das eigene Geschlecht nachweisen müssen? Es ist unlogisch. Die meisten Menschen sind davon überzeugt, dass es anatomische, biologische, für das bloße Auge sichtbare Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Wenn das Geschlecht so offensichtlich ist, warum muss es dann im Geburtsregister und im Pass stehen? (…) Sehen sie die Menschheit von so viel Diversität bedroht?"
Der Autor schildert auch seine persönlichen Schwierigkeiten, nach dem Beginn der Hormontherapie seine neue Identität als Mann zu finden. Es war nicht leicht für ihn, sich anderen gegenüber zu bekennen. Selbst in einer modernen und vielen Lebensstilen aufgeschlossenen Metropole wie Berlin. Robinet beschreibt erste Versuche, als Mann zum Baden an einen See zu gehen - und das zwiespältige Gefühl, wenn der zufällige Mit-Bader von der Geschlechtsumwandlung nichts weiß. Und wenn dieser beim Anblick zweier anmutig schwimmender Frauen Zeichen der Begeisterung aussendet - und männerbündlerisch von Jayrôme dieselbe Bewunderung einfordert:
"Vermutlich findet Massimo die beiden Mädchen im Bikini heiß und geht davon aus, dass ich das auch so sehe. Er hat mir das Male-Bonding-Frisbee zugeworfen und nun erwartet er, dass ich es zurückwerfe. Ich muss an eine Stelle aus James Baldwins ,Giovannis Zimmer' denken, als David und Joey am Strand liegen und halbnackten Frauen hinterherpfeifen, um zu betonen, dass sie sich nicht zueinander hingezogen fühlen. Ob Männer vieles, was sie tun, vor allem tun, um zu zeigen, dass sie nicht schwul sind?"
Reflexion über Geschlechterrollen
Mit "Male-Bonding" meint der Autor das eingeübte Einverständnis zwischen Männern, die maskulinen Rituale, das Kumpelhafte. An solche dem Jargon der Sozial- und Genderwissenschaften entlehnten Begriffe muss man sich gewöhnen bei der Lektüre. Jayrôme C. Robinet ist nicht nur Autor und Spoken-Word-Künstler, sondern unterrichtet auch an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, die überregional bekannt wurde, weil sie das als sexistisch gebrandmarkte Fassaden-Gedicht "Avenidas" von Eugen Gomringer entfernen ließ.
Robinets Buch ist kein rein persönlicher Erfahrungsbericht. Sein Weg von Frau zu Mann ist lediglich der Rahmen, um Reflexionen und Analysen in Bezug auf angeborene, anerzogene oder frei gewählte Geschlechterrollen in der Gesellschaft anzustellen. Etwa am Beispiel leicht bekleideter Frauen in der Boulevardpresse:
"Sind die BILD-Girls nicht vielleicht ein zweischneidiges Schwert, auch für Männer? Geschlecht wird tagtäglich gemacht: Männer werden durch Plakate mit halbnackten Frauen ständig aufgefordert, Lust zu empfinden. sie werden daran erinnert, dass sie ausdauernd und potent - und heterosexuell - sein müssen. Trieb gilt als männlich. Im Umkehrschluss ist ein Mann kein Mann, wenn er nicht ständig erregt ist. Männer dürfen nicht nur begehren, sie müssen es auch tun."
Jayrôme C. Robinet stammt aus einer ähnlich ruralen Region in Nordfrankreich wie Édouard Louis, der in seinem Bestseller "Das Ende von Eddy" seine eigene grausame Kindheit als Homosexueller in Form eines autofiktionalen Romans geschildert hat. Anders als Louis, der sich als von seinem Vater und der Dorfgemeinschaft in brutaler Weise gedemütigt dargestellt hat, trifft Robinet in seiner Familie auf großes Verständnis. Auch wenn er zunächst, vor seinem Umzug in die Großstadt, das kleinbürgerliche Elternhaus ebenso verabscheute wie Edouard Louis - oder der andere Star der neuen französischen Klassen-Literatur:
"Wie es auch Didier Eribon in ,Rückkehr nach Reims' beschreibt, wurde ich mit der Zeit immer wütender auf meine Eltern, weil sie waren, wie sie waren, und nicht die Gesprächspartner!nnen, die ich mir wünschte, oder die, die meine Kommiliton!nnen in ihren Eltern fanden. Mein Vater, der in Schlips und Kragen arbeitete, kannte sich weder mit Politik aus, noch mit Geschichte oder Literatur."
Die Klassen-Frage nur am Rande
Die Referenzen auf Eribon oder auch Pierre Bourdieu bleiben bei Robinet jedoch punktuell. Die Klassen-Frage wird nur am Rande thematisiert. Robinet geht es vor allem um das Geschlechter-Verhältnis und die gesellschaftlichen Rollenbilder. Nicht jeder Gedanke in dem Buch ist dabei neu oder originell:
"Männer gelten meist erst einmal als kompetent, es sei denn, sie beweisen das Gegenteil. Bei Frauen ist es genau umgekehrt: Frauen gelten so lange als inkompetent, bis sie vom Gegenteil überzeugen."
Sprachlich ist das Buch eher zähe Kost. Robinet bemüht sich zwar an vielen Stellen, heiter zu formulieren. Der akademische Jargon kommt jedoch immer wieder durch. Man mag einwenden, bei einem so kontroversen Thema wie Transsexualität, bei dem Vorurteile, gesellschaftliche und institutionelle Diskriminierung sowie auch körperliche Gewalt eine Rolle spielen, verbiete sich ein leichter Ton. Wobei "leicht" ja nicht das Gegenteil von seriös sein muss.
Vieles von dem, was in dem Buch geschildert wird, glaubte man längst überwunden. Robinet macht deutlich, wie stark auch in unseren modernen, liberalen, offenen westlichen Gesellschaften viele von uns in bewussten oder unbewussten Rollenklischees gefangen sind. Der Weg zu einer für alle selbstbestimmten Sexualität und Geschlechtszugehörigkeit ist noch weit.
Jayrôme C. Robinet: "Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund"
Hanser Berlin, Berlin. 213 Seiten, 20 Euro.