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Kindertagesstätten
Warum in Deutschland 300.000 Kitaplätze fehlen

Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige - der existiert seit fünf Jahren. Allerdings fehlen bundesweit 300.000 Kitaplätze. Die Nachfrage steigt, eine Besserung ist nicht in Sicht, denn es mangelt an Personal. Trotzdem verzichten immer mehr Kommunen und Länder auf Kita-Gebühren.

Von Johannes Kulms und Anja Nehls | 01.08.2018
    Symbolbild Kindertagesstätte: Füße und Beine von Kindern, die in einer Reihe stehen.
    Die Kinder sollen in die Kita - manche verzweifelten Eltern bieten Prämien bis zu 1.000 Euro für eine Vermittlung (imago / wolterfoto)
    "Kitaplätze auch für die Kleinsten. Ab August haben Eltern von unter Dreijährigen einen Rechtsanspruch auf Betreuung."
    Ein Informationsvideo des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2013. Den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gibt es für über Dreijährige schon seit 1996. Der für die Jüngsten wurde vor genau fünf Jahren eingeführt.
    "Bund, Länder und Kommunen haben sich dafür stark gemacht. Aber stimmen Verteilung und Qualität?"
    Im Prinzip schon, so vor fünf Jahren die damalige Bundesfamilienministerin von der CDU, Kristina Schröder. Sie ahnte vielleicht schon, dass es Probleme mit dem Rechtsanspruch geben könnte:
    "Es gibt Gemeinden, da gibt es einen Bedarf von 20 Prozent. Es gibt Gemeinden, da gibt es einen Bedarf von 65 Prozent. Wenn vor Ort dieser spezielle Bedarf nicht richtig berücksichtigt wurde und es deshalb an der einen oder anderen Stelle knirscht, dann haben die Eltern ein Klagerecht. Und dann finde ich es auch absolut richtig von diesem Klagerecht Gebrauch zu machen."
    Eltern warten und warten
    Und heute, fünf Jahre später?
    Es knirscht an vielen Ecken und Eltern machen rege von ihrem Klagerecht Gebrauch. Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz kann für die unter Dreijährigen nicht überall in Deutschland umgesetzt werden.
    Beispiel Berlin. In einer Altbauwohnung in Friedrichshain sitzt Christine Kroke am Schreibtisch. Auf einer Krabbeldecke schläft Söhnchen Carl, zehn Monate alt. Mit der Suche nach einem Kitaplatz für ihn hat sie bereits während der Schwangerschaft begonnen. Eigentlich wollten beide, sie und ihr Mann, ein paar Monate nach Carls Geburt wieder Vollzeit arbeiten. Aber daraus wurde zunächst nichts, obwohl sie sich bei mehr als 100 Kitas in der näheren und weiteren Umgebung beworben hatten:
    "Ich wurde da schon vertröstet mit Mails, wo drin stand: Ja wir sind bis Ende 2019 belegt, wir sind bis 2020 belegt. Ich habe eine Mail bekommen von einer Kindergartenkette, wo drinstand, ja bis 2020 können wir keinen Platz anbieten, derzeit warten 700 Kinder auf einem Platz bei uns und es werden zunächst auch erst mal die Geschwisterkinder berücksichtigt."
    Also kämpfte sie sich auch während des Mutterschutzes weiter durch Computertabellen, E-Mails und Anmeldebögen. Statt sich auf Windeln wechseln, stillen oder trösten zu konzentrieren, suchte sie rund um die Uhr einen Kitaplatz.
    "Dann ist es ja so, dass man sich bei Kitas in regelmäßigen Abständen wieder melden muss. Das heißt, du musst dich dann auch daran erinnern: Aha, Kita X möchte jetzt im April, Mai, Juni, die dritte Rückmeldung haben. Und so hat man dann quasi einen Tag von 16 Stunden zu einem neugeborenen Baby und dabei ist bisher noch nichts rumgekommen."
    Kein Kitaplatz trotz Rechtsanspruch. Christine Kroke hat für Carl mittlerweile eine Tagesmutter gefunden. Den Eltern, die sich eine private Betreuung für ihr Kind organisieren, erstattet das Land Berlin inzwischen sogar die Kosten, um den Rechtsanspruch gewährleisten zu können. Andere Eltern klagen. Nach Angaben des Berliner Verwaltungsgerichts sind derzeit ca. 40 Eil- und Klageverfahren von verzweifelten Eltern anhängig, die keinen Kitaplatz bekommen haben. Obwohl ein Berliner Gericht erst kürzlich entschieden hat, dass ein Kitaplatz in der Nähe zugewiesen werden muss, wäre eine Klage für Christine Kroke nur eine Notlösung.

    "Weil es wird zur Folge haben, dass die Kitas überlastet sind. Das heißt, da werden jetzt noch mehr Kinder auf die gleichen Erzieher gesteckt, die Quote ist dementsprechend schlecht."
    Nachfrage nach Plätzen steigt
    Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem vergangenen Jahr ist der Personalschlüssel an den Berliner Krippen deutlich schlechter als im Bundesdurschnitt. In Berlin kommen auf einen Erzieher sechs Kinder unter Drei. Der Bundesdurchschnitt liegt bei etwas über vier pro Erzieher. Schlusslicht ist Sachsen mit 6,5. Am besten Baden-Württemberg mit drei Kindern pro Erzieher. Diesen Wert empfiehlt auch die Bertelsmann Stiftung, um ausreichende Betreuungsqualität sicherstellen zu können.
    Davon ist Berlin zur Zeit jedoch weit entfernt. Dennoch müssen Kinder untergebracht werden, notfalls auf Kosten der Qualität, sagt Sigrid Klebba, Staatsekretärin im SPD-geführten Bildung-, Jugend- und Familienressort der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung:
    "Aber, wir haben diese Auflage durch das Gericht bekommen, dass der Rechtsanspruch hoch und höher zu bewerten ist, als die Frage wie ist die Ausstattung."

    In Berlin fehlen noch immer 3.000 Kitaplätze. Und knapp 10.000 vorhandene Plätze können wegen Sanierung der Kita oder wegen Personalmangel nicht besetzt werden.
    Bundesweit klafft zwischen Angebot und Bedarf eine Lücke von 300.000 Plätzen, hat das Institut der Deutschen Wirtschaft in diesem Jahr berechnet. Weil im Osten die Kinderbetreuungsquote traditionell sehr hoch ist, existiert hier der größte Bedarf - besonders in Boom-Städten wie beispielsweise Leipzig. Dort waren vor zwei Jahren Mütter, die keinen Kitaplatz bekommen hatten, bis vor den Bundesgerichtshof gezogen, um Schadensersatz wegen Verdienstausfall zu erstreiten.
    Seit vor fünf Jahren der Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz auch für unter Dreijährige eingeführt wurde, sind bundesweit 166.000 Plätze neu geschaffen worden. Jedes dritte Kind unter drei wird inzwischen betreut, in Berlin sogar jedes zweite. Die Differenz zwischen Bedarf und Angebot ist in diesen fünf Jahren nicht geringer geworden. Ein Grund dafür ist die gestiegene Geburtenrate, ein anderer die gestiegene Nachfrage bei den Eltern.
    Befördert wird diese Nachfrage durch das inzwischen in einigen Ländern und Kommunen kostenlose Angebot. In Berlin beispielsweise ist der Kitabesuch für Kinder jeden Alters ab sofort kostenfrei. Für Kinder mit Sprachdefiziten ist der Kitabesuch sogar verpflichtend, aber Berlin kann nicht genügend Plätze zur Verfügung stellen. Tausende junge Eltern haben dagegen protestiert, um auf die Politik Druck zu machen - mit bislang wenig Erfolg.
    Ein Vater arbeitet mit seinem Sohn auf dem Arm an einem Computer
    Mit Kind am Arbeitsplatz? Das geht selten - berufstätige Eltern sind daher auf Kita-Plätze angewiesen (imago / Westend61)
    Keine einheitliche Gebührenregelungen
    Vom Stress der Metropole Berlin ist in Bad Oldesloe in Schleswig Holstein nur wenig zu spüren. Die 25.000-Einwohnerstadt liegt etwa 40 Kilometer nördlich von Hamburg. In einem Oldesloer Neubaugebiet eröffnete 2014 die Kita und Krippe am Steinfelder Redder. Das lang gestreckte helle Gebäude aus viel Holz, Glas und Backstein bietet Platz für 80 Kinder, davon ein Viertel im Krippenbereich. Die aus einem Elternverein hervorgegangene Oldesloer Kita ist eine von vielen, die seit Einführung des Rechtsanspruchs neu gebaut wurden. Ein Drittel aller unter Dreijährigen in Schleswig-Holstein werden von Erzieherinnen und Erziehern betreut, das sind fünf Prozent mehr als vor fünf Jahren.
    Carsten Geyer ist der Geschäftsführer der Kindertagesstätte am Steinfelder Redder. Es gibt einen Bewegungsraum mit Sportgeräten und ein Klavier für Musikpädagogen. Für ihn sind das Zeichen von Qualität und Belege dafür, dass an den zwei Standorten der Kita frühkindliche Bildung stattfindet. Und dann ist da noch die Küche.

    "In dieser Küche kochen wir für 200 Kinder jeden Tag das Essen und bereiten hier mit modernen Geräten hier selber das Essen vollwertig zu. Auch das gehört eben zur Qualität in einer Kita."
    Doch diese Qualität hat ihren Preis: 562 Euro kostet am Steinfelder Redder ein Ganztags-Krippenplatz. Rechnet man Essens- und Wirtschaftsgeld dazu, summiert sich der Beitragssatz für die Eltern auf knapp 640 Euro im Monat. In Berlin musste für Kinder unter einem Jahr bis Ende Juli maximal 400 Euro bezahlt werden.
    Laut der Studie der Bertelsmann Stiftung hat Schleswig-Holstein bundesweit die höchsten Kita-Gebühren. Knapp neun Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens geben Familien hier für die Betreuung ihrer Kleinkinder aus, in Berlin bis jetzt gerade mal zwei Prozent. Dass die Gebühren in Schleswig-Holstein so hoch sind, könnte auch daran liegen, dass es bisher keine einheitliche landesweite Gebührenordnung gibt. Jede Gemeinde kann hier selber die Elternbeiträge festlegen.
    Kleiderhaken mit Namen von Kindern in einer Kita in Berlin.
    Viele Eltern akzeptieren Kita-Gebühren, wünschen sich aber, dass sie bundesweit einheitlich sind (picture alliance / dpa / Volkmar Heinz)
    Michaela Buchwald ist Mutter von vier Kindern, die derzeit allesamt die Oldesloer Einrichtung besuchen. Buchwald weiß, dass sie im nahen Hamburg inzwischen einen kostenlosen Halbtagsplatz bekommen könnte.

    "Also grundsätzlich finde ich einmal die Ungleichbehandlung in dieser engen regionalen Grenze sehr extrem. Also, wenn ich mir überlege, meine Kollegen zahlen nichts, wir zahlen 800 Euro, finde ich das schon heftig. Ich würde es einfach schöner finden, wenn es bundesweit geregelt wäre, weil die Leute auch einfach dasselbe Geld verdienen. Und ich fände es völlig in Ordnung, wenn man auch einen Teil dazu bezahlt. Weil irgendwo muss das Geld auch herkommen"
    Zwar sind die Wartezeiten auf einen Betreuungsplatz in Bad Oldesloe kürzer als in Berlin, die hohen Gebühren haben in Schleswig-Holstein allerdings weder zu einem besonders guten Personalschlüssel, noch zu einem ausreichenden Platzangebot geführt. Schon für Normalverdiener werden die hohen Gebühren zur Belastung. Und vor allem Familien mit niedrigem Einkommen denken darüber nach, ihren Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz nicht wahrzunehmen und mit dem Kind stattdessen zu Hause zu bleiben, sagt Kita-Geschäftsführer Carsten Geyer.
    "Also, eine Diplomingenieurin oder Ingenieur, der eben 6.000 Euro verdient, für den ist das eben kein Thema, ob ich mein Kind in die Krippe geben kann und 650 Euro bezahle. Aber für eine Fleischereifachverkäuferin in Teilzeit, die eben selbst nur 650 Euro netto hat, wenn sie Glück hat, die sagt sich eben: 'Ich bleib' lieber noch bis mein Kind drei ist zu Hause und geh' nicht arbeiten'. Und insofern hat das eine soziale Komponente."
    Zwar gilt der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz bundesweit, die finanzielle Belastung für die Familien aber unterscheidet sich erheblich: So müssten ärmere Familien trotz sozial gestaffelter Beiträge circa zehn Prozent ihres Einkommens für die Kinderbetreuung aufbringen, wohlhabendere dagegen nur fünf Prozent, rechnet Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung vor.

    "Das ist sehr unfair, dass Eltern so ungleich belastet werden und dass der Wohnort darüber entscheidet. Das Hauptproblem dabei sind die Kinder, denn gute Kita heißt gute Bildungschancen. Und wenn die Barrieren da sind durch die Gebühren heißt das ja auch, dass Kitagebühren Bildungsbarrieren darstellen können."
    Kommunen brauchen die Gebühren
    Dem widerspricht Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Die finanzielle Belastung der Kommunen durch die Bereitstellung von Kitaplätzen habe sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht. Viele Kommunen seien deshalb finanziell am Limit. Durch die Elternbeiträge kämen ohnehin nur etwa 1/7 der Gesamtkosten für Kindergärten und Horte wieder herein.
    "Und jetzt gibt es ja eine breite Diskussion, sollte man das nicht abschaffen, nach dem Motto: Bildung muss kostenlos sein. Meine Antwort: Nein, wir brauchen das Geld, damit die Qualität besser wird, damit die Einrichtung besser wird, damit die Leute besser ausgebildet werden. Und ganz wichtiges Argument: Wer sich das nicht leisten kann, zahlt ja gar keine Kindergartenbeiträge. Ich wundere mich darüber, dass das ein bundespolitisches Thema ist, denn zuständig für Kindergartenbeiträge ist nicht der Bund, sondern die Kommune beziehungsweise die Länder.
    Children and teacher playing with musical instruments and toys in kindergarten.
    Die Qualität der Betreuung ist entscheidend: Es geht nicht allein um Aufsicht, sondern um frühkindliche Bildung (imago / Westend61)
    In der Tat hat sich SPD-Bundesfamilienministerin Franziska Giffey in die Diskussion eingemischt. Die Förderung frühkindlicher Entwicklung ist Bestandteil des Koalitionsvertrags von CDU, CSU und SPD. Giffey will mit 3,5 Milliarden Euro aus dem sogenannten "Gute-Kita-Gesetz", Länder und Kommunen unterstützen. Diese können das Geld nach eigenem Ermessen verwenden, wenn sie damit die Ziele des Gesetzes umsetzen: Das sind ein guter Betreuungsschlüssel in der Kita, qualifiziertes Personal, bedarfsgerechte Betreuungszeiten und mittelfristig auch die Beitragsfreiheit. Denn letztere ist der ehemaligen Bezirksbürgermeisterin des Berliner Brennpunktbezirks Neukölln besonders wichtig.

    "Ich habe erlebt vor Ort, was es bedeutet, wenn Kinder in die Schule kommen und extreme Sprach- und Entwicklungsverzögerungen haben, eben nicht das mindeste können, Schere halten, Stift halten, mit Knete umgehen. Und es ist wichtig, dass wir es schaffen, dass jedes Kind es packt und dafür braucht es eine gute frühkindliche Bildung."
    Die Mäusekatergruppe der Kita ZAK im Berliner Südwesten feiert kurz vor den Sommerferien die Verabschiedung der "Großen" in die Schule. Die Füchse-Gruppe backt Muffins, die Wilde 13 tobt im großen Garten. Für das Kitajahr 2019 stehen hier bereits 40 Kinder mehr auf der Warteliste als aufgenommen werden können. Bei den zwei anderen Kitas, die der Träger betreibt, sieht es ähnlich aus, sagt Claudia Mühlmann von Tandem, einer gemeinnützigen GmbH.
    "Wir haben das Problem, dass wir zum Teil auch vorhandene Plätze nicht belegen können, weil uns einfach die Fachkräfte fehlen. Also, zum Beispiel in unserer größten Kita ist es so, dass wir derzeit ungefähr 50 Plätze nicht belegt haben."
    Kita-Personal hängeringend gesucht
    Bis zum Jahr 2020 müssten in der Stadt gut 5.000 Erzieher neu eingestellt werden, um den Bedarf zu decken, sagt die Senatsbildungsverwaltung - vom Rechtsanspruch ganz zu schweigen. Berlin versucht das Problem zur Zeit mit Quereinsteigern in den Griff zu bekommen. Webdesigner oder Einzelhandelskaufleute werden umgeschult, aber voll auf den Personalschlüssel angerechnet, obwohl sie an mehreren Tagen in der Woche Fortbildungen absolvieren müssen. Wie sie so den Wunsch der Eltern nach frühkindlicher Bildung und Qualität erfüllen soll, ist der Leiterin der Kita ZAK, Evelin Giese, unklar:
    "Wir haben eine totale Überbelegung an Kindern, ohne Fachkräfte. Wir haben aktuell eine Stelle mit 35 Stunden nicht besetzt, wir haben Dauererkrankungen und wir haben vor allem das riesige Problem des Quereinstiegs. Diese Menschen sind sehr selten da und das schrottet unseren Einsatzplan."
    Kein Einzelfall in Berlin. Kita-Personal wird händeringend gesucht. Laut einer Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung waren im vierten Quartal des Jahres 2017 bundesweit über 14.000 Stellen im Bereich der Kindertagesbetreuung nicht besetzt. Der Beruf gilt als unattraktiv. 2.600 Euro brutto im Monat verdienen Erzieherinnen und Erzieher als Einstiegsgehalt. Für die Ausbildung muss bei den meisten freien und privaten Schulträgern sogar bezahlt werden, kostenfrei sind nur die staatlichen Erzieherschulen. Damit sich fünf Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz auch für unter Dreijährige die Situation nun endlich verbessert, soll das Gute-Kita-Gesetz von einer Fachkräfte-Offensive begleitet werden, verspricht Familienministerin Franziska Giffey.

    "Und das bedeutet, wir müssen in Ausbildung investieren. Es geht nicht, dass an einigen Stellen in Deutschland sich Erzieherinnen und Erzieher fragen, kann ich es mir leisten, diesen Beruf zu ergreifen. Junge Leute, die noch Geld mitbringen müssen. Das heißt, ein erster Schritt ist die Befreiung von den Schulgeldern und eine anständige Ausbildungsvergütung, es geht um das Anwerben von Erzieherinnen und Erziehern und es geht um eine bessere Bezahlung."

    Bis diese Maßnahmen allerdings greifen, werden Jahre vergehen. Bis dahin wird sich die Situation in Berlin weiter verschärfen, denn die Geburtenrate steigt. Und auch die beitragsfreie Kita-Betreuung wird die Nachfrage nach Plätzen sicherlich erhöhen. Übrigens nicht nur in Berlin. In Hessen und Niedersachsen fallen die Kindergarten-Gebühren ebenfalls ab sofort weg - allerdings nur für über Dreijährige.
    Und auch in Schleswig-Holstein sind kostenlose Kita-Plätze längst Thema. Doch hier ist Matthias Badenhop von der FDP Realist. Eine Beitragsbefreiung sei frühestens in der nächsten Legislaturperiode möglich, sagt der Staatssekretär im schleswig-holsteinischen Jugend- und Sozialministerium.
    Seit knapp einem Jahr regiert in Kiel eine Jamaika-Koalition. CDU, Grüne und FDP haben die Kinderbetreuung zu einem ihrer Kernprojekte erklärt. Das heißt, in den nächsten vier Jahren sollen rund 480 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und die Kita-Gebühren gedeckelt werden.
    "Und insofern ist es wichtig, dass ein Angebot vorhanden ist, dass es eine gute Qualität ist und dass es eben zu vertretbaren Kosten angeboten wird. Und das ist das, was die Eltern wollen. Und wir werden eben natürlich auch, wenn sich weitere finanzielle Ressourcen erschließen lassen, sowohl in noch mehr Qualität als auch in eine noch schnellere Herbeiführung der Beitragsfreiheit investieren."
    In Berlin demonstrieren Eltern und Erzieher für mehr Plätze in den Kitas und eine bessere Bezahlung der Erzieher.
    In Deutschland fehlt Kita-Personal - eine bessere Bezahlung könnte dem Mangel abhelfen (dpa / Carsten Koall)
    Beitragsfreiheit würde 15 Milliarden kosten
    Der finanzielle Bedarf ist hoch. Nicht nur in Schleswig-Holstein. Die Bertelsmann Stiftung hat ausgerechnet, dass für eine bundesweite Beitragsfreiheit plus Qualitätsverbesserung pro Jahr ungefähr 15 Milliarden Euro nötig wären.
    Der Bund stellt mit dem Gute-Kita Gesetz allerdings "nur" 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Hinzu kommt etwas über ein Milliarde Euro aus einem Investitionsprogramm für den Ausbau von Betreuungsplätzen. Die Zeit drängt, denn schon jetzt werden bundesweit weitere 300.000 Kitaplätze benötigt, für die - das weiß man schon heute - das Erzieherpersonal fehlt.
    Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige existiert seit fünf Jahren. Zuverlässig umgesetzt werden allerdings kann dieses Recht bis heute nicht. Auch fünf Jahre nach dessen Einführung gilt stattdessen vielfach das Recht des Stärkeren. Auch des Finanzstärkeren, erzählt diese junge Mutter, die in Berlin jetzt auf einen Kitaplatz geklagt hat.

    "Alle suchen, sind ein bisschen verzweifelt und diejenigen, die einen gefunden haben, haben dann vielleicht einen Kuchen gebacken oder haben die Bereitschaft signalisiert in den Förderkreis einzusteigen. Also, so verzweifelt sind wir Eltern jetzt schon. Wenn man bei ebay-Kleinanzeigen guckt, ich habe gesehen 1.000 Euro Prämie, wenn jemand einen Kitaplatz findet für eine Familie. Es gibt Agenturen, die damit jetzt Profit machen, 300 Euro Vermittlungsgebühr. Und das macht mich auch wütend, dass jetzt noch Leute da sind, die Kapital aus dieser Situation schlagen wollen."
    Und so zeigt sich an diesem 1. August 2018: Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz bedeutet nicht automatisch, diesen Platz auch wirklich zu bekommen.