John McCain: "The Restless Wave"

Vermächtnis eines Politikers, der Präsident werden wollte

"The Restless Wave: Good Times, Just Causes, Great Fights and Other Appreciations" von John McCain
Hinfallen, aufstehen, weitermachen. Bis heute liebt und pflegt McCain sein Image als "Maverick" - als Einzelgänger. © Simon & Schuster/picture alliance/dpa/Foto: Helmut Meyer zur Capellen
Von Markus Ziener · 18.08.2018
Der republikanische US-Senator John McCain wurde im Vietnamkrieg gefangen genommen und später von Trump als Verräter beschimpft. Der Politiker leidet an Krebs. Vor seinem Tod hat er mit "The Restless Wave" ein mahnendes Buch geschrieben.
Es war in dem kleinen Örtchen Gilford in New Hampshire, als John McCain mein Herz gewann. In einem roten Feuerwehrhaus. Dort steht der 70-jährige Senator an diesem Sommertag im Jahr 2007, mit hochgekrempelten Ärmeln, umringt von Besuchern, die einen Kreis um ihn bilden. Ganz vorne in einer der ersten Reihen sitzen die Stanleys: Amy, Lynn und Jim. Die Hinterbliebenen des 22-jährigen Matthew, der ein halbes Jahr zuvor in Bagdad von einer am Straßenrand platzierten Bombe getötet worden war. McCain kennt die Stanleys – und sagt nur diesen einen Satz: "Ich habe nicht genug Worte, um meine Trauer zu beschreiben." Als spürte er, dass jeder weitere Satz das große Unglück dieser Familie nur zerreden, relativieren würde. Zuvor hatten ihm die Stanleys einen Armreif überreicht, auf dem der Name des Sohnes eingraviert ist. Er trägt ihn bis heute.
Dass John McCain dem Impuls widerstand und in der Feuerwehrhalle nicht über den Krieg im Irak und über den Soldatentod als das höchste Opfer für das Vaterland sprach, das Matthew Stanley erbracht habe – das nahm mich für den Mann ein. Und: Dass McCain nicht aufgab.
Denn im Grunde war McCains Kampagne in diesem Sommer 2007 bereits klinisch tot. Der Senator aus Arizona hatte kein Geld mehr, keinen Plan und kaum noch Leute. Sein zweiter Anlauf, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, schien schon nach wenigen Monaten gescheitert. McCain galt vielen der Journalisten, die ihn wie ich begleiteten, als abgeschrieben. Doch er machte weiter, tingelte mit seinem "Straight Talk Express"-Bus über die Lande und sprach zu den Menschen. Nicht in großen Arenen, sondern in Feuerwehrhäusern wie in Gilford. Der Kerl hat Charakter, dachte ich mir.

Verloren, ohne ein Loser zu sein

Bei den Präsidentschaftswahlen im folgenden Jahr ging Barack Obama als Sieger hervor. Und McCains Rede, in der er dem ersten afroamerikanischen Präsidenten gratulierte, gehört wohl zum Nobelsten, was ein Wahlkämpfer im Moment der Niederlage zu bieten hat. McCain gelang ein wahres Kunststück: Er hatte verloren, ohne ein Loser zu sein.
Hinfallen, aufstehen, weitermachen. Wenn man John McCains Leben in drei Worten beschreiben müsste, dann wären es diese. Zweimal ist er dabei gescheitert, das höchste Staatsamt der USA zu erobern: 2008 gegen den Demokraten Barack Obama – und 2000 bereits im republikanischen Vorwahlkampf gegen den parteiinternen Rivalen George W. Bush.
Als persönliches Scheitern empfand er auch die Tatsache, dass er 1973 nach Jahren in nordvietnamesischer Gefangenschaft ein Geständnis unterschrieb. Das geschah in einem anderen Leben, bevor John McCain Politiker wurde. Als Pilot eines Kampfjets war McCain 1967 über Nordvietnam abgeschossen worden. Er rettete sich mit dem Schleudersitz, brach sich dabei beide Arme und kam in das berüchtigte Gefängnis Hòa Lò. "Hanoi Hilton" nannten es die Inhaftierten sarkastisch. Dort wurde McCain regelmäßig gefoltert, verhört, wieder gefoltert. Bis zu dem erzwungenen Geständnis, in dem er sich selbst als Verbrecher denunzieren und dem nordvietnamesischen Volk für die Hilfe danken musste.
Als er nach fünfeinhalb Jahren entlassen wurde, kehrte er zurück in die USA. Als Kriegsheld gefeiert, wird er ins Weiße Haus eingeladen. Auf einem Foto ist er neben Präsident Richard Nixon zu sehen. Auf Krücken und mit ergrautem Haar. Da war John McCain gerade mal 36 Jahre alt – und hatte eigentlich schon ein ganzes Leben hinter sich.

Gefeiert und verhöhnt

Hinfallen, aufstehen, weitermachen: McCains Autobiographie erzählt nicht nur US-amerikanische Geschichte. Sie macht auch deutlich, wie sich innerhalb einer Lebensspanne der politische Ton verschärfte. Falsche Behauptungen, verbale Tritte unter die Gürtellinie: McCain hat viel davon aushalten müssen, als Soldat und später als Politiker.
Schon bei seinem erstem Anlauf auf das Präsidentenamt im Jahr 2000. McCains parteiinterner Widersacher hieß damals George W. Bush. Und der zog alle schmutzigen Register, um den bis dahin führenden McCain aus dem Rennen zu werfen. Aus Angst, die entscheidenden Vorwahlen South Carolina zu verlieren, unterstellte die Bush-Kampagne McCain alles, was konservative Wähler verschrecken sollte: Er habe ein uneheliches Kind mit einer Afroamerikanerin, er sei homosexuell, seine Frau Cindy leide an Drogensucht. Doch was McCain vielleicht am härtesten traf: Er, der gefeierte Kriegsheld, habe Verrat an den Veteranen des Vietnam-Krieges begangen. Ausgerechnet McCain. Verglichen mit dem jüngsten Wahlkampf des Donald Trump wirken solche Dispute heute beinahe harmlos. Doch McCain erholte sich nie mehr von diesen Tiefschlägen. Bush gewann South Carolina und wurde Spitzenkandidat der republikanischen Partei.
Hinfallen, aufstehen, weitermachen. Bis heute liebt und pflegt McCain sein Image als "Maverick", als unberechenbarer Einzelgänger, als konservativer Liberaler, der ausschließlich seinem eigenen Kompass folgt – und irgendwie immer überlebt. Genau dafür wird er von so vielen Amerikanern geliebt und verehrt. Oder aber, wie von Trump, beschimpft und verhöhnt. McCain sei doch kein Kriegsheld, schließlich sei er gefangen genommen wurde, höhnte Trump im Wahlkampf. Ihm seien Kriegshelden lieber, die nicht gefangen würden.

Welches Amerika er seinen Landsleuten wünscht

Der Ton ist rau geworden. Als der mittlerweile schwer krebskranke McCain die Politik Donald Trumps kritisierte, erklärte eine Mitarbeiterin des Weißen Hauses: McCains Worte seien ohne Belang, da er ohnehin bald sterbe. Zur Beerdigung ist Donald Trump explizit nicht eingeladen.
McCains Lebensbilanz ist dennoch versöhnlich – und kämpferisch: "´Die Welt ist ein schöner Ort und wert, dass man um sie kämpft. Und ich hasse es, sie zu verlassen.` Das sagt mein Held Robert Jordan in ´Wem die Stunde schlägt`. Und ich, ich tue das auch. Ich hasse es, sie zu verlassen. Aber ich erhebe keine Klage. Keine einzige." Das schreibt John McCain in "The Restless Wave". Dass er hier auf Robert Jordan Bezug nimmt, ist kein Zufall. Jene Buchfigur, die Ernest Hemingway für seinen Bestseller über den spanischen Bürgerkrieg erfand, ist seit jeher John McCains persönliches Vorbild. Weil dieser selbst in aussichtsloser Lage nicht aufgibt.
Was McCain in seinen Memoiren notierte, ist mehr ein Blick zurück als einer nach vorne. Aber aus diesem Rückblick lässt sich erkennen, welches Amerika McCain liebt und seinen Landsleuten für die Zukunft wünscht. Es ist ein Amerika, das Gutes tun will, das Verantwortung übernimmt und Solidarität zeigt. Dass dies wenig mit dem Land zu tun zu hat, wie es sich aktuell präsentiert, ist bitter. Und dass er jetzt umso mehr gebraucht wird, weiß John McCain. Und erhebt, solange es irgendwie möglich ist, seine Stimme: "Wir brauchen Freunde in der Welt – und sie brauchen uns. Uns schlägt die Stunde, meine Freunde."

John McCain: "The Restless Wave: Good Times, Just Causes, Great Fights and Other Appreciations"
Simon & Schuster, 2018
416 Seiten, 18,99 Euro

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