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Wollwäscher aus Tirol
Im Ötztal werden 15.000 Schafspelze sauber

Eine Milliarde Schafe gibt es auf unserem Planeten - und 2,2 Millionen Tonnen Wolle werden jährlich geschoren. Handel und Verarbeitung liegen mittlerweile fast ausschließlich in chinesischer Hand, eine Wollwaschanlage in Europa ist eher eine Seltenheit. Doch im Tiroler Ötztal gibt es eines dieser Unternehmen.

Von Klaus Lockschen | 07.04.2017
    Auf den Wiesen des Landgutes Krosigk bei Brachwitz (Sachsen-Anhalt) führt die angehende Schäferin Cindy Schröder aus Orlamünde in Thüringen am 02.06.2016 Schafe der Rasse Ile de France über das Hütegelände.
    Auf der Erde leben eine Milliarde Schafe, gut 2,2 Millionen Tonne Wolle werden jährlich geschoren (dpa / Hendrik Schmidt)
    Zwei Mal im Jahr geht es ihnen an den Pelz. Im Frühling und im Herbst. Pro Schaf kommen etwa 4,5 Kilo Wolle zusammen. Doch die Schafbauern klagen, die Schur sei nur mehr wenig lukrativ. Johannes Regensburger beschreibt: "Bis 1965 hat man noch aus unserer heimischen Wolle Bekleidung gemacht und danach hat's 30 Jahre gegeben, wo mit der Wolle eigentlich nicht sehr viel passiert ist, und deswegen ist der Wollpreis sehr tief gesunken. Und da haben die Bauern gesagt: Es lohnt sich nicht."
    Veränderte Lebensgewohnheiten, Arbeiten in beheizten Räumen statt im Freien, Kunstfaserkleidung statt Norwegerpullis – der Wert der Schafwolle lag Jahrzehnte auf Ramschniveau. Mittlerweile erlebt das Produkt ein zartes Revival, erläutert Johannes Regensburger, Betreiber einer Wollwaschanlage in der Gemeinde Umhausen im beschaulichen Tiroler Ötztal – eine von ganz wenigen in Europa. Handel und Verarbeitung von Schafwolle liegen fest in fernöstlicher Hand. "Die Hauptmenge, also 90 Prozent der Weltwollproduktion, wird in China heute gewaschen, selbst nicht mehr in Australien, in Neuseeland".
    Erst Flachs, dann Wolle
    Zugegeben: Feinwollrassen wie in Down Under sind in Europa selten. Was hier geschoren wird, hat meist doppelte Faserdicke und ist damit nicht ganz so kuschelig, aber dennoch ein Rohstoff mit vielen positiven Eigenschaften – wenn erst einmal vom Schmutz befreit. Nicht von ungefähr wird frisch geschorene Wolle auch Schweißwolle genannt. "Ich muss die Wolle, wenn sie kommt, ganz auflockern und mechanisch groben Schmutz herausholen, Stroh, Kot, alles Mögliche, aber in der Wolle ist ja auch feiner Sand, Urin, Lanolin, und die muss ich im Wasser herauslösen."
    Als Flachsverarbeitungsbetrieb 1938 vom Vater des heutigen Besitzers gegründet, erfolgte 1950 aus wirtschaftlichem Grund der Umstieg auf Wolle. 1995 wurde dann die Waschstraße gebaut. Ein lichtdurchflutetes Lerchenholzgebäude, wärmegedämmt natürlich mit Schurwolle, 30 mal 20 Meter und unmittelbar am Horlachbach gelegen. Dessen kristallklares Nass kommt aus dem Urgestein, ist kalkfrei und daher als Waschwasser optimal, sagt der Mittsiebziger.
    Riesige Waschanlage mit vier Waschbädern
    Der Geräuschpegel im Gebäude ist enorm. Gebläse, Förderbänder, Pumpen, Hydraulikanlagen und Motoren machen ein Arbeiten ohne Gehörschutz unmöglich. Zwei Mitarbeiter der neunköpfigen Belegschaft sind in einem separaten Hallenteil gerade dabei, die in Säcken und als Pressballen gelagerte Wolle der Ötztaler Bergschafe nach Farbe zu sortieren und von Walzen aufkämmen zu lassen. Per Hand werden dabei die gröbsten Verunreinigungen entfernt. "Da wird die Wolle mechanisch geöffnet und von da geht die Wolle in die eigentliche Waschstraße".
    Per Förderband und mengengesteuert, damit sich die Waschanlage nicht an zu großen Brocken verschluckt. "Die Nasszone hat vier gleichmäßige Waschbäder, wo die Wolle durchschwimmt, wo die einzelnen Reinigungsstationen passieren", erklärt Regensburger.
    Wuchtige Industrieaggregate, Druckmaschinen ähnelnd, stehen in einer Linie auf einer Länge wie eine Autowaschanlage. Wo eine Maschine endet und die nächste beginnt, das verschließt sich dem Laienblick. In den oben offenen Waschwannen massiert eine Mechanik die Wolle. Trommeln, durch die ein Wasserstrom geht, halten sie dabei unter Wasser. "Man sieht schon nach dem ersten Waschbad, dass die Wolle heller wird. Das Wasser ist sehr schmutzig, geht jetzt da in den Keller hinunter in eine Filteranlage und kommt zum großen Teil wieder in den Waschprozess zurück, um Wasser und Energie zu sparen".
    40 Parameter sind zu berücksichtigen, damit nichts verfilzt
    Dennoch machen diese Posten ein Drittel der Kosten aus. Bis auf 60 Grad wird das Wasser geheizt. Dann öffnet sich die Schuppenstruktur der Fasern leicht, der Schmutz löst sich. Bevor die Wolle automatisch ins nächste Bad geht, drücken Walzen das Schmutzwasser aus. Waschbad zwei ist eine Lauge aus biologischer Seife, die auch einen großen Teil des Fettes Lanolin herauslöst. In den Stationen drei und vier wird die Wolle schließlich vielfach gespült. "Die Grundmaschine haben wir gekauft", erzählt der Wollwäscher, "aber die Feinheiten, die haben wir selber müssen erarbeiten, weil es fast kein Know-how gibt".
    An die 40 Parameter sind je nach Wolle und Verschmutzungsgrad zu berücksichtigen, auch damit nichts verfilzt, sagt der Firmenchef. Eine halbe Stunde dauert der Waschprozess. Dann geht die blütenfrische Wolle noch in den Trockner, um abschließend in einer Riesentrommel aufgewirbelt zu werden. Filter trennen dabei die langen von den kurzen Fasern. Letztere sind für Wollprodukte ungeeignet, lassen sich aber mit Hornspänen vermischt und zu Pellets gepresst als hochwertiger Dünger verwenden.
    60 Kilo nutzbare Wolle pro Stunde
    Ausgelegt ist die Waschanlage auf 100 Kilo Rohwolle pro Stunde, im Ergebnis sind das etwa 60 Kilo nutzbare Wolle. "Wir haben ungefähr an die 500 Schafbauern, wo wir die Wolle übernehmen, sammeln ungefähr in unserem Gebiet an die 60 Tonnen."
    Also von knapp 15.000 Tieren. Wirtschaftlich lukrativ ist die Anlage allerdings nur dadurch, dass das Unternehmen selbst einen Großteil weiterverarbeitet und daraus neben Strickwolle auch Dämmstoffe, Filz, Decken und Teppiche herstellt. 700.000 Euro Jahresumsatz kommen so zusammen, erklärt Johannes Regensburger und wünscht sich: "Es wäre schon Zeit, dass man wieder einen Teil unserer heimischen Wollen nicht nach China schickt und dort verarbeitet und halb fertige Produkte wieder aus China bezieht".
    Das sieht die Tiroler Bergrettung ebenso. Deren 4.500 Mitglieder werden zukünftig mit Einsatzbekleidung aus Ötztaler Wolle ausgestattet.