Crowdworker

Billige Arbeitskräfte für die deutsche Autoindustrie

06:59 Minuten
Illustration von Männern und Frauen, die in einem Großraumbüro im Kreis sitzen und an Computern arbeiten.
Crowdworking, Arbeiter in einem Großraumbüro © imago / fStop Images / Ralf Hiemisch
Von Alexandra Gerlach · 26.08.2019
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Gut ausgebildete Menschen sitzen im krisengeschüttelten Venezuela vor ihren Rechnern und verdienen zum Teil nur ein bis zwei Dollar pro Stunde. Diese Crowdworker sind froh, überhaupt Geld zu verdienen. Von ihrer Not profitiert wiederum die deutsche Autoindustrie.
"So, recording now..."
Florian Alexander Schmidt , Professor an der Dresdner Hochschule für Wirtschaft und Technik schaut konzentriert auf den Bildschirm auf seinem Schreibtisch. Per Skype ist er mit einer Crowdworkerin in Italien verbunden:
"Darf ich Sie fragen, wie alt Sie sind?"
"55, ich bin nicht besonders jung, wie die anderen auf dieser Plattform."
"Wie kommen Sie zu diesem Eindruck?"
"Na ja, aus der Gemeinschaft, ich bin da auch Moderatorin, und daher schließe ich das aus den Fragen, die die anderen stellen, und wie sie sie stellen, dass sie sehr jung sind, im Durchschnitt zwischen 18 und 25."
Crowdworker, wie diese Italienerin trainieren Algorithmen. Sie bringen Maschinen das Sehen, Hören und umsichtiges Fahren bei, indem sie Millionen von Bilddateien mit diversen Verkehrssituationen so aufbereiten, dass die lernenden Maschinen diese Daten verarbeiten und dann anwenden können. Crowdworker arbeiten im Akkord, global und meist von zu Hause.

Ein bis zwei Dollar Stundenlohn

Die Qualitätsanforderungen an die Auswertung des Bildmaterials sind hoch, Crowdworker müssen Computerafin und in der Lage sein, über viele Stunden am Bildschirm zu arbeiten. Daher haben sich spezielle Plattformen gebildet, die die Aufträge für die Automobilindustrie übernehmen und den Online-Arbeitskräften teilweise sogar bessere Entlohnung und Arbeitsbedingungen bieten, als das bei der Mehrzahl der internationalen Plattformen üblich ist. Dabei gibt es jedoch erhebliche Unterschiede – bei gleicher Arbeit, die von Land zu Land stark differieren können. Prof. Florian Alexander Schmidt:
"Grundsätzlich ist es halt so, dass die Arbeitskräfte sich jeden Morgen in den Computer einloggen und gucken, ob Arbeit für Sie verfügbar ist und die spezialisieren sich halt auf bestimmte Sonderaufgaben und dann klicken die halt stundenlang vor sich hin und kriegen sehr viel quantifiziertes Feed-back, wie genau sie arbeiten und was sie jetzt noch machen können, um sich zu verbessern usw. und dann werden sie am Ende der Woche per Paypal bezahlt, und verdienen so zwischen ein und zwei Dollar je Stunde, wenn sie richtig gut sind."
Schmidt, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden, beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit Crowdsourcing. Für die Gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat er Interviews mit Crowdworkern weltweit geführt und eine Studie erstellt. Sein Fokus lag dabei auf den Arbeitsbedingungen und der Entlohnung von Crowdworkern in Spezialplattformen für die Automobilindustrie. Eine wichtige Erkenntnis lautet:
"Dass zum einen sich diese globalen Outsourcing-Strukturen weiterentwickelt haben und komplexer geworden sind und gleichzeitig andere Länder erreichen, hier überraschenderweise Venezuela, als ein Land, das plötzlich sehr wichtig geworden ist in diesem Bereich."
Die desaströse Wirtschaftslage in dem einst wohlhabenden südamerikanischen Ölförder-Land hat ein Heer von hochqualifizierten Arbeitslosen geschaffen, die nun zu Zehntausenden ihre Arbeit zu sehr niedrigen Preisen anbieten:
"Das heißt, wir haben dort gut ausgebildete Leute, die buchstäblich plötzlich am Verhungern sind, aber Zugang zum Internet haben, und die deswegen zu Hundertausenden in diese Plattformen reinströmen, um diese Arbeit zu machen."

Arbeitswillige Crowdworker schwemmen den Markt

Das Überangebot an Arbeitskräften bringt die Löhne unter Druck, arbeitswillige Crowdworker schwemmen den Markt wie "Erntehelfer". Wer einen Job ergattert, ist froh, so wie dieser 20 Jahre alte Venezuelaner mit Abitur und abgebrochenem Ingenieursstudium in einem Interview mit Florian Alexander Schmidt:
"Die Leute sagen, oh, lasst uns nicht noch mehr Menschen von diesen Jobs wissen, dann haben wir weniger Arbeit und weniger Geld. Wir sollten diese ´Henne, die goldene Eier legt`, schützen!"
Letztlich, so Wissenschaftler Schmidt, sei das Crowdworking in dieser Form "prekäre Arbeit", denn die Unsicherheit für die Crowdworker ist groß. Die Arbeit höchst unbeständig, sie könne jederzeit inhaltlich verändert oder in andere Länder verlagert werden. Die Plattformen ließen sich dabei ebenso wenig in die Karten schauen, wie die Auftraggeber aus der Automobilindustrie, sagt Schmidt. Nur unter großen Schwierigkeiten gelang es dem Wissenschaftler am Beginn der Studie mit einer in Deutschland beheimateten Plattform ins Gespräch zu kommen. Der Grund:
"Die Plattformen haben eigentlich die Vorgabe von den Autofirmen, nichts preiszugeben, wie das alles läuft, weil die Autofirmen unter einem mehrfachen Druck stehen: Zum Einen sind sie in einer extremen Konkurrenzsituation. Wer jetzt als erstes wirklich autonom fahrende Fahrzeuge erfolgreich auf die Straße bringen kann, das ist völlig unklar, ob das wirklich passieren wird, gerade ist da der Optimismus getrübt, da wollen sie sich nicht in die Karten blicken lassen, wer eigentlich genau wie weit ist. Aber natürlich sind sie auch nicht so wild darauf, dass man genau reinguckt, wie deren Outsourcing-Prozesse sind."

Gewerkschaft ist skeptisch

Auch die Gewerkschaft IG-Metall beobachtet die aktuellen Entwicklung im Crowdworking-Geschäft aufmerksam. Man fürchtet das wichtige, mit der Industrie fest verabredete Standards unterlaufen werden. Robert Fuß arbeitet im Projekt Crowdsourcing beim Vorstand der IG-Metall. Positiv sei zu bewerten, dass Menschen durch Crowdwork in Arbeit kämen, die ansonsten keine Chance auf dem Arbeitsmarkt hätten. Negativ sei aber:
"Das Schlimme daran ist, dass es ja noch nicht mal um Arbeitsstandards geht. Die Crowdworker sind formal Selbständige, das heißt, all das, was wir als Regeln haben, zu Mindestlöhnen, sozialer Absicherung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das gilt in diesen Feldern gar nicht und von daher hat das auch ein enormes Potential, Lohndumping weltweit zu befördern. Da muss dringend etwas getan werden."
Diese Gefahr sieht auch der Dresdner Wissenschaftler Schmidt. Auch sein Fazit fällt ambivalent aus:
"Also eine einfache Antwort auf diese Ausbeutungs-Frage, die natürlich über allem drüber schwebt, gibt es einfach nicht und man sieht ganz deutlich, wenn man mit den Leuten in Venezuela spricht, die sich zwar der Problematik bewusst sind, aber gleichzeitig unglaublich dankbar für diese Arbeit sind."
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