Donnerstag, 25. April 2024

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Michael Ohl: "Stachel und Staat"
Eine Naturgeschichte von Bienen, Wespen und Ameisen

Der Stachel ist die wichtigste Erfindung für die Artenvielfalt und die Lebensstrategien von Bienen, Wespen und Ameisen. In dem mit einzigartigen Makroaufnahmen bebilderten Buch erzählt Michael Ohl, wie die Tiere den Stachel einsetzen und welche Rolle der Schmerz für die Evolution der Insekten spielt.

Von Joachim Budde | 21.11.2018
    "Hau ab!" – das denken die meisten Leute, wenn sie eine Wespe oder Biene sehen. Und wohl jeder hat schon unangenehme Bekanntschaft mit der Wehrhaftigkeit einer Ameise gemacht. Der Biologe Michael Ohl vom Naturkundemuseum in Berlin hingegen ist fasziniert von diesen drei Insektengruppen und stellt sie in seinem neuen Buch "Stachel und Staat" vor.
    "Insekten, die 'hinten stechen', bilden eine artenreiche und in ihrem Körperbau und Verhalten enorm vielfältige Gruppe. Vor vielen Millionen Jahren ist bei dem gemeinsamen Vorfahren der Wespen, Bienen und Ameisen eine wichtige evolutive Neuerung entstanden: ein Stachel als Injektionsapparat für ein wirkungsvolles Verteidigungs- und Lähmungsgift."
    Bienen, Wespen und Ameisen sind eng miteinander verwandt. Wie sich die tausenden Arten dieser drei Gruppen entwickelt haben – das erforschen Taxonomen wie Michael Ohl. Denn bei Wespen und Co. gibt es alles: Parasiten, Einzelkämpfer, aber eben auch die sozialen Arten mit kleinen bis riesigen Kolonien.
    Der Autor hat sich auf Wespen aus den Wüsten Amerikas spezialisiert, er fängt die wehrhaften Insekten zu Beispiel in der Wilcox-Playa im US-Bundesstaat Arizona mit einem Netz. Dann hält er die Spitze des Netzes hoch, damit die Tiere dorthin aufsteigen.
    "Danach stülpe ich mir das ganze Netz mit elegantem Schwung über den Kopf und versperre so mit Kopf und Schultern den möglichen Fluchtweg. Nicht vergessen sollte man allerdings, dabei weiterhin mit einer Hand den Beutel hochzuhalten und sich Richtung Sonne zu wenden. Selbst die hektischste Wespe fliegt oder krabbelt dann zum Licht und damit in die Enge der Netzspitze und, was besonders wichtig ist, weg von meinem Kopf. Danach stecke ich mit der anderen Hand ein Gläschen in das Netz und kann, dank meines Kopfes im Netz mit dem allerbesten Blick auf die Geschehnisse, in Ruhe die Wespen in das Glas bugsieren. Zugegeben, diese Technik liegt nicht jedem, aber sie ist schnell und effektiv."
    Denn zum Beispiel die drei Zentimeter langen Wespen der Gattung Pepsis mit tiefschwarzem Körper und orangen Flügeln können schon Respekt einflößen. Das scheinen sie zu wissen.
    "Man kann sich ihnen ohne Weiteres nähern, und es wäre leicht, die eher schwerfällig startenden Wespen mit der Hand einzufangen. Wenn da nicht ein Problem wäre, nämlich ihr Stich."
    Der Stich dieser Wespen gehört zu den schmerzhaftesten überhaupt. Es gehört zu den angenehmen Seiten dieses Buches, dass Michael Ohl seine Leser an seiner Arbeit im Feld teilhaben lässt.
    Er beschreibt anschaulich und lebendig, erklärt genau und gut verständlich. Von den frühesten Naturforschern, die sich mit diesen Insekten beschäftigt haben, bis zu den neusten Erkenntnissen darüber, wie die Artengruppe als solche entstanden ist und wie sie so eine Vielfalt entwickeln konnte.
    Und wie groß unsere Wissenslücken noch sind.
    Zielgruppe
    Alle, die schon mal von einer Wespe gestochen wurden und den Tieren eine zweite Chance geben wollen.
    Erkenntnisgewinn:
    Wer das Leben, seine Vielgestaltigkeit und die Entstehung von Arten untersuchen will, kann und muss das anhand toter Tiere tun. Die Körper von Insekten verraten darüber mehr, als man gemeinhin annehmen mag.
    Spaßfaktor:
    Dieses großartig ausgestattete Buch mit tollen Fotos strotzt vor Wow-Momenten, wenn der Autor ganz unglaubliche Arten und ihre wundersamen Verhaltensweisen beschreibt. Ein Wechselbad von Schauder und Faszination. Absoluter Lesetipp!
    Michael Ohl: "Stachel und Staat. Eine leidenschaftliche Naturgeschichte von Bienen, Wespen und Ameisen."
    Droemer Verlag, 340 Seiten, 39,99 Euro